Moderner Heiratsschwinder: Der Betrug mit der Liebe - Münchner berichten

Mit gefälschten Fotos und Profilen betrügen Kriminelle Münchner um viel Geld – indem sie ihre Gefühle ausnutzen.
von  Nina Job
Die Bilder der angeblichen Traumfrauen und Traummänner sind im Internet zusammengeklaut.
Die Bilder der angeblichen Traumfrauen und Traummänner sind im Internet zusammengeklaut. © Christliche Partnersuche/az

München - Millionen Singles suchen auf Datingseiten im Internet nach einem Partner. Es gibt viele Geschichten von einsamen Herzen, die auf diesem Weg ihr neues Glück finden und sogar heiraten. Auf diesen Portalen tummeln sich allerdings auch massenweise Betrüger, die die Sehnsucht von Alleinstehenden, sich wieder zu binden, schamlos ausnutzen.

Die Täter gaukeln vor, ebenfalls nach einem neuen Partner zu suchen – mit sogenannten Fake-Accounts. Dafür benutzen sie Fotos von Menschen, die sie im Internet – bevorzugt von Social-Media-Seiten – klauen und gefälschte Profile erstellen. Allein die Betreiber der Datingseite Christliche Partnersuche in Wien listet mehr als 1.000 Profile von Love Scammern (to scam = schwindeln, ergaunern) auf.

Die Betrüger, die fast immer im Ausland sitzen, sprechen schnell von großer Liebe. Manchmal, wenn sie die Adresse kennen, schicken sie sogar rote Rosen per Blumenbote. Im schlimmsten Fall, der die Münchner Polizei bislang beschäftigt hat, verliebte sich eine Frau so sehr in ihr virtuelles Gegenüber, dass sie ihm 120.000 Euro schickte.


Architektin (49) schickt Schwindler 120.000 Euro

Die Frau verliebt sich in einen Mann, den sie nie gesehen hat – und fällt auf seine Masche herein.

Sabine C. (Name geändert) hatte sich auf einem Datingportal angemeldet. Bereits nach kurzer Zeit schrieb sie ein Mann an, der sich als Angehöriger der Nato ausgab. "Er hat mir geschrieben, dass ihm mein Profilfoto gefällt", berichtete sie, als sie viel später bei der Polizei anrief.
Da wusste sie bereits, dass sie betrogen worden war.

Der Kontakt zwischen der Architektin und dem angeblichen Major wurde schnell intensiver. Sie berichtete ihm immer mehr aus ihrem Leben. Er gab sich verständnisvoll und interessiert. Und er erzählte ihr eine Legende, die gut zu ihrer Lebensgeschichte passte. Bald schrieben sie sich jeden Tag.

Ohne ihm jemals begegnet zu sein, entwickelte die Architektin starke Gefühle für den Mann. Bald fieberte sie jeder neuen Nachricht von ihm entgegen. Nach ein paar Wochen war sie sicher, ihren Traummann gefunden zu haben. Sie träumte sogar schon von einer Hochzeit.

Etwa zwei Monate nach dem ersten Kontakt steuerte der Betrüger die Zielgerade an: Er schrieb ihr, dass er bei einem Einsatz mit Kameraden Waffen sichergestellt hätte und diese verkaufen wolle. Mit dem Erlös wäre die gemeinsame Zukunft gesichert, von dem Geld könnten sie sich ein Haus kaufen.

Einziger Haken: Um die Waffen verkaufen zu können, müsse er Leute bestechen – und dafür bräuchte er Geld. Blind vor Liebe fiel die Architektin auf die Lügenstory herein. Über verschiedene Geldtransfer-Unternehmen schickte die 49-Jährige dem "Major" insgesamt 120.000 Euro.

Das Geld ist unwiederbringlich verloren. Der Prinzen-Traum ist geplatzt. Als die Frau beim Cybercrime-Experten der Polizei, Cem Karakaya (siehe Interview unten), anrief, lautete einer ihrer ersten Sätze: "Ich bin so blöd!" Es kostete sie große Überwindung, über das, was ihr widerfahren war, zu sprechen. Sie schämte sich.

"Nein, Sie sind nicht blöd!", sagte Karakaya. "Die Täter sind sehr professionell." Dann sagte er: "Auch ich könnte zum Opfer werden! Wenn Sie wüssten, dass ich für Süßigkeiten fast alles machen würde." Die Frau lachte. Das Eis war gebrochen.


Interview mit Cybercrime-Cop: "Die Opfer fühlen sich benutzt"

AZ-Interview mit Cem Karakaya. Der 43-Jährige war früher bei Interpol. Seit 2014 ist er Experte für Cybercrime im Kommissariat Opferschutz und Prävention in München.

Das verlorene Geld ist die eine Sache – die verletzten Gefühle sind oft noch schlimmer. 

AZ: Herr Karakaya, fallen eher Männer oder Frauen auf Love-Scammer herein?
CEM KARAKAYA: 90 Prozent der Opfer sind Frauen. Sie denken, dass sie Kontakt zu Menschen haben, die tatsächlich existieren. Dabei verwenden die Scammer zwar Profilfotos, die tatsächlich existieren, stricken sich aber eine Legende dazu. Es gibt sogar Fake-Profile mit Fotos des ehemaligen NSA-Chefs.

Wie viele Menschen rufen bei Ihnen an, die auf diese Masche hereingefallen sind?
Ich bekomme etwa 30 bis 40 Anrufe dieser Art im Jahr. Aber die Dunkelziffer ist viel höher.

Wie geht es den Menschen, denen klar wird, dass sie auf diese Weise betrogen wurden?
Bei vielen höre ich ein Zittern in der Stimme. Zu dem finanziellen Schaden kommen die verletzten Gefühle. Sie haben gedacht, sie hätten ihren Traumprinzen oder ihre Traumprinzessin gefunden. Sie sind sehr enttäuscht, gekränkt und schämen sich. Manche Frauen fühlen sich nach so einer Erfahrung auch darin bestätigt, dass alle Männer Schweine sind. Sie fühlen sich benutzt und missbraucht. Das braucht Zeit, um das verarbeiten zu können.

Wozu kann so eine Erfahrung schlimmstenfalls führen?
Das Leben macht keine Freude mehr. Der Mensch zieht sich völlig zurück und bricht soziale Kontakte ab.

Wo sitzen die Täter?
Die weiblichen Täter sitzen meist in Russland. Die männlichen Täter rufen aus Afrika, Irak, Syrien oder Asien an. Interpol hat herausgefunden, dass dort gezielt Wohnungen für zwei bis drei Monate angemietet werden, wo dann 20 bis 30 Leute zusammen in einem Zimmer sitzen und chatten.

Was verdienen diese Leute?
Die Scammer, die chatten, verdienen bis zu 1.000 US-Dollar pro Tag. Aber sie haben auch nichts zu lachen. Sie werden massiv unter Druck gesetzt, Pässe und Smartphones nimmt man ihnen ab.

Welche Maschen gibt es?
Bei Frauen zieht vor allem die Masche von dem allein lebenden Mann mit Kindern. Er fragt dann ziemlich bald: "Warum heiraten wir eigentlich nicht?" Ab diesem Moment ist es um die Frau geschehen: Liebe macht blind.

Als was geben sich die Scammer aus?
Oft geben sie vor, bei der Nato oder in der US-Army zu sein. Der angebliche Angehörige der US-Army erzählt dann gern die Story von Saddam Hussein: Dass er bei der Festnahme dabei gewesen sei und dass sie in dem Haus ein geheimes Zimmer entdeckt hätten, in dem Millionen Dollar und Goldbarren lagern. Die gemeinsame Zukunft sei gesichert. Aber um an die Summen zu kommen, müsse er Leute bestechen. Und dafür brauche er Geld.

Und darauf fallen Frauen herein?
Die Täter gehen sehr geschickt vor. Neben ihren Laptops liegt ein Leitfaden, was sie antworten und wie sie fragen sollen.

Und bei den Männern?
Die Männer tun mir fast mehr leid als die Frauen.

Wieso das denn?
Die stehen dann mit roten Rosen und Luftballons am Flughafen und warten stundenlang auf ihre Angebetete. Aber die kommt natürlich nicht. Auch bei einem Mann setzt der Verstand aus, wenn er sich verliebt.

Wie viele Opfer erstatten Anzeige?
Die wenigsten. Und die Männer noch seltener. Die schämen sich noch mehr.

Welche Summen verlieren die Opfer an solche Betrüger?
Diejenigen, die bei mir anrufen, durchschnittlich von 1.000 bis zu 15.000 Euro.

Gibt es eine Schätzung wie viel Geld insgesamt durch Love-Scamming ins Ausland fließt?
Das lässt sich schwer schätzen. Aber man geht davon aus, dass durch die gesamte Internetkriminalität und Wirtschaftsspionage 104 Milliarden in den vergangenen zwei Jahren aus Deutschland ins Ausland geflossen sind.

Kann die Münchner Polizei überhaupt etwas ausrichten gegen diese Täter?
Diese Form der Kriminalität können wir nur mit Aufklärung bekämpfen.

Verfolgen Sie, ob die Anrufer Anzeige erstatten?
Ich sage ihnen immer, dass sie unbedingt Anzeige erstatten müssen.

Worin sehen Sie Ihre Aufgabe? Sind Sie der Seelentröster der Münchner Polizei?
Ich sehe mich als digitale Schulter am Internet-Telefon. Und ich halte viele Vorträge.

Cem Karakaya ist erreichbar unter 089 29103434 (AB)

Lesen Sie hier Teil 1 der Serie: Die fiesen Maschen der Betrüger

Lesen Sie hier Teil 2 der Serie: 20 Stunden in den Fängen der Microsoft-Betrüger

Lesen Sie hier Teil 3 der Serie: "Jeder zehnte Autounfall ist manipuliert"

Lesen Sie hier Teil 4 der Serie: Schlüsseldienst-Abzocke - Einmal Tür öffnen 723 Euro!

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