AZ–Rückblick: 1966 – Beatles kommen auf ihrer einzigen Deutschlandtour nach München
Auch nach 57 Jahren kann der Haidhauser Walter Greifenstein noch voller Begeisterung von winzigen Details berichten. So einprägsam war es für ihn, als Elfjähriger die Beatles im Circus Krone zu erleben: Wenn der spätere BR-Redakteur davon erzählt, klingt er wie ein Gläubiger, der berichtet, wie einmal vier Heilige in seiner Heimatstadt Halt gemacht haben. Aber auch ganz profan betrachtet fand in München nie wieder ein Pop-Konzert statt, das derart die kollektive Erinnerung prägte. Dabei konnten bei den beiden Shows am 24. Juni 1966 gerade mal 6.000 Zuschauer dabei sein.
Die führende Teenie-Zeitschrift Bravo hatte die Band nach München, Essen und Hamburg geholt. Diese Konzertreise nannte sie, zwei Jahrzehnte nach dem Krieg, etwas geschichtsvergessen "Bravo-Beatles-Blitztournee". Sie startete in München.

Die Stadt: aufgeregt
Die Karten kosteten zwischen zehn und 25 Mark plus Gebühren. "Die Beatles waren teuer", sagt Walter Greifenstein. Die Stones hat er 1965 für acht Mark gesehen. Aber, klar, die Beatles spielen in ihrer eigenen Liga, die Karten sind begehrt. Seine größeren Geschwister stellen sich deshalb nachts um vier vor dem Circus Krone an, dem einzigen Vorverkaufsort. Als sie um acht in die Schule müssen, löst ihre Beatles-begeisterte Mutter sie in der Schlange ab. Und ergattert Karten für sich und alle fünf Kinder.
Gemeinsam fährt die Familie dann auch – wie Hunderte andere Fans – am Tag vor dem Konzert zum Flughafen nach Riem, wo die Beatles landen. Dort steigen die Musiker in Mercedes-Limousinen, und ihr Chauffeur muss Fans verscheuchen, die auf den Kofferraum gesprungen sind. Auf dem Weg zum Bayerischen Hof stehen zahllose weitere Fans am Straßenrand Spalier. Der Autokorso erinnert an den Staatsbesuch Elizabeths II. im Jahr zuvor.
Als nun ihre vier populärsten Untertanen am 23. Juni 1966 im Hotel ankommen - bei dem sich in den Tagen zuvor außergewöhnlich viele junge Menschen als Zimmermädchen oder Liftboy beworben haben - säumen zahllose Fans den Promenadenplatz. Sie rufen "Beatles auf den Balkon", und irgendwann grüßen die Fab Four kurz aus einem Fenster des fünften Stocks. "Nur zehn Sekunden lang waren sie zu sehen: vier stecknadelgroße Pilzköpfe", kommentiert ein BR-Kommentator bräsig-herablassend in einem Beitrag. Beim Konzert filmen dann unter anderem das ZDF – und die Polizei, um mögliche Straftäter identifizieren zu können.
Die Polizei: alarmiert
Beim Konzert der Stones in der Berliner Waldbühne im Jahr zuvor hat es Ausschreitungen gegeben. Und die Schwabinger Krawalle liegen auch erst vier Jahre zurück, damals lieferten sich junge Leute fünf Tage lang Straßenschlachten mit der Polizei. Auf Randalierer will diese nun besser vorbereitet sein. Sie bietet Hundertschaften auf, dazu berittene Beamte, Hundestaffeln und zur Verstärkung sogar 25 Ringer des ESV Neuaubing. Und der junge Polizist Kurt Gstattenbauer filmt mit einer 16 mm Arriflex-Kamera, um Straftaten zu dokumentieren. Zuvor hatte der Volksmusik-Liebhaber aus Niederbayern einen einwöchigen Schnellkurs als Kameramann absolviert.

Am Tag der beiden Konzerte um 17.15 und 21 Uhr fürchtet die Polizei zudem Chaos am Einlass: Gefälschte Karten sind im Umlauf. "Beatle-Kartenfälscher in Schwabing verhaftet"; titelt die AZ. Aber anders als in Hamburg, wo ein paar Tage später 117 Randalierer festgenommen werden, bleibt in München alles friedlich.
Die Beatles: entspannt
Bei all der Aufregung bleiben immerhin vier Menschen cool: die Beatles. Sehr cool sogar, geprobt haben sie für ihre Auftritte erst am Vorabend im Hotelzimmer, und zwar im Hotelzimmer. Das merkt man: John muss Paul die erste Zeile von "I’m Down" soufflieren, aber der bringt den Text trotzdem durcheinander. Dafür vergisst Lennon den Gitarrenbreak. Sie spielen zwar kraftvoll, aber es klappt nicht alles. Und George Harrison kündigt "Yesterday" – auf Deutsch – als Stück von "Beatles For Sale" an, dabei erschien es erst acht Monate später auf "Help": Die Beatles sind herrlich wurschtig.
Vom Studio zur Bühne: Die Beatles' Revolution in der Popmusik
Aber wann hätten sie sich auch auf die Tour vorbereiten sollen? Noch zwei Tage vor ihrem Aufbruch nach München haben sie bis zum Morgengrauen die letzte Nummer für ihr Album "Revolver" aufgenommen, "She Said She Said". Dabei haben sie sich gezofft, Paul hat wütend das Studio verlassen, die anderen drei haben den Song allein fertiggestellt. Doch zwei Tage später ist alles vergessen, John und Paul strahlen sich auf der Bühne an. Sie legen mit Chuck Berrys "Rock’n’Roll Music" los, spielen "Nowhere Man" und die aktuelle Single "Paperback Writer", vor allem aber Rock-Nummern wie "She’s A Woman" oder "I Feel Fine": Die sind zwei Jahre alt, stammen aber schon aus einem anderen Musikzeitalter. Denn in den letzten Monaten haben die Beatles den Pop revolutioniert. Doch was sie im Studio gezaubert haben, können sie mit dem Equipment der Zeit nicht auf die Bühne bringen.
Die Anfänge des Rockstars-Daseins: Beatles auf der Bühne
Es gibt nicht mal einen Soundcheck. Die Weltstars, die nach mehreren Vorbands auf die Bühne kommen, müssen auf der Bühne sogar ihre Mikrofone in die richtige Höhe schrauben und ihre Gitarren selbst stimmen. Immerhin: Man kann sie im Kronebau gut hören, anders als bei vielen anderen Konzerten, bei denen das Fan-Gekreische lauter war als die Lautsprecher-Anlage. "Der Sound war okay", erinnert sich der heute 69-jährige Walter Greifenstein. "Und die Wirkung des Konzerts war überwältigend, ein einmaliges Erlebnis. Trotzdem war ich enttäuscht: Es war zu kurz!" Nach einer halben Stunde sind die Auftritte jeweils vorbei, die Beatles spielen keine Zugabe.

Bravo, Circus Krone! Historische Beatles-Auftritte in letzter Minute
Am nächsten Morgen stehen schon wieder Hunderte Fans am Bahnhof, um ihnen noch einmal zuzuwinken. Um 8.25 Uhr steigen die vier in einen Sonderzug ins Ruhrgebiet, in dem im Jahr zuvor Queen Elizabeth gereist war. Nach den Konzerten in Essen und Hamburg fliegen sie nach Tokio und Manila, im August touren sie durch die USA, dann haben sie keine Lust mehr. Am 29. August spielen sie in San Francisco ihr letztes Tourkonzert.
Die historischen Auftritte im Circus Krone finden also gerade noch rechtzeitig vor Toresschluss statt. Im Namen der Musikstadt München und im Namen von Fans wie Walter Greifenstein, die einen historischen Tag erlebten, kann man da dem Veranstalter nur nochmals hinterherrufen: Bravo!

Gewinnspiel: Plätze für die AZ-Dinner-Party gewinnen
75 Jahre Abendzeitung - 7 + 5 Erlebnisse für Sie. Die AZ feiert: Gewinnen Sie und feiern Sie mit! Wir verlosen 8 x 2 Plätze für unsere Dinner-Party am 26. Oktober in der Alten Kongresshalle. Jetzt mitmachen und mit etwas Glück mitfeiern.