Mahlzeiten für Bedürftige im Westend
München - Es ist elf Uhr vor dem Gemeindehaus der evangelischen Auferstehungskirche im Westend. Stühle schlängeln sich über den Innenhof, sie sind mit Absperrband verbunden. Menschen sitzen darauf, mit großem Abstand zueinander. Sie warten auf Rindersauerbraten und Blaukraut.
"Die meisten kommen schon um halb elf", sagt Sibylle Stöhr. "Dass es etwas frisch Gekochtes für sie gibt, das ist eine ganz große Wertschätzung für die Menschen."
Stöhr engagiert sich seit 18 Jahren im Bezirksausschuss Schwanthalerhöhe. Zusammen mit Andrea Huber, die das Kulturhaus Kösk des Kreisjugendrings leitet, und dem Wohnprojekt Ligsalzstraße 8 hat sie "Westend tafelt" gestartet. Seit der Kommunalwahl hat die Grünen-Politikerin Stöhr einen Sitz im Stadtrat.
Vor dem Kösk in der Schrenkstraße packt sie weiterhin mit an und verteilt Mittagessen zum Mitnehmen. Das Essen kochen Köchinnen der Augustiner Bräustuben. Das Geld für die Lebensmittel kommt von verschiedenen Spendern, einen Großteil zahlen Bezirksausschuss und Obdachlosenhilfe.

Zu "Westend tafelt" kann jeder kommen, der Hunger hat
Zwölf Uhr, die Essensausgabe beginnt. Vor dem Eingang bespaßt eine Helferin die Wartenden auf Italienisch und Deutsch und ermahnt sie zum Abstandhalten. "Es ist schon lustig mit Ihnen", scherzt ein Wartender, bevor er Desinfektionsmittel in die Hände gespritzt bekommt.
"Ganz am Anfang haben die Leute immer ihren Ausweis gezeigt", erinnert sich Kulturhausleiterin Huber. Sie seien die Abläufe der Tafel gewöhnt. Zu "Westend tafelt" jedoch kann jeder kommen, der sagt, dass er Hunger hat. Das hat sich rumgesprochen. Mittlerweile holen Obdachlose aus ganz München hier ein Essen ab, ebenso wie Menschen, die ihre Arbeit wegen der Coronakrise verloren haben. Es sind "bulgarische Gastarbeiter unter ihnen, die darauf angewiesen sind, dass sie Bauaufträge kriegen", sagt Huber, genauso wie ein Medizinstudent, der beschämt erklärt habe, dass er sich kaum etwas leisten könne.
Viele Essensausgaben mussten in der Corona-Krise schließen
Huber und ihr Helferteam behandeln alle gleich. "Wir wollen nicht, dass über andere geurteilt wird", sagt sie. "Es geht uns einfach nichts an." Das Projekt haben sie ins Leben gerufen, als die Tafel im Viertel wegen Corona schloss.
Viele Münchner Essensausgaben schlossen Mitte März, da sowohl ehrenamtliche Mitarbeiter als auch die Gäste zur Risikogruppe gehören. In der Schrenkstraße sei es zudem sehr beengt, sagt Jasmin Hasiba, Leiterin der dortigen Tafel. Das Infektionsrisiko sei zu hoch gewesen. Die knapp 320 Lebensmittelempfänger versorge sie weiterhin. Manche von ihnen, aber lang nicht alle, würden zu "Westend tafelt" gehen. Viele bräuchten Lebensmittel, um beispielsweise ihre Familien zu ernähren.
Wer bisher bei den Tafeln Obst, Brot und Gemüse bekommen hat, kann zu einer zentralen Tafel-Ausgabestelle in der Großmarkthalle fahren und seine Lebensmittel dort abholen. Wem der Weg zu weit ist, bekommt Supermarktgutscheine im Wert von zehn Euro.
Niemand darf ohne Schutzmaske ins Gemeindehaus im Westend
Vor der Auferstehungskirche warten die Menschen nun fast ein Mal um das Gebäude herum. Drinnen, in dem weitläufigen Gemeindesaal, weisen Helferinnen mit großen Gesten jeweils zwei Wartenden den Weg vor den Ausgabetisch.
Das Gemeindehaus darf niemand ohne Schutzmaske betreten. Für jene, die keine haben, nähten Bewohner des Syndikathauses Ligsalz 8 welche. Huber lobt die Hilfsbereitschaft: "Heute Morgen habe ich gedacht: Wahnsinnig – wie schnell das geht! Du machst so ein kleines Ding und plötzlich hast du viele Leute, die helfen!"
Unter den Helfern sind viele Künstler und Besucher des Kösk, Viertelbewohner, Mitglieder der Kirchengemeinde. Ein wichtiger Helfer ist Belal Jumaa (35). Hinter dem Tisch der Essensausgabe schöpft er die warmen Speisen in einzelne Boxen. Er ist Koch, nur Köche dürfen ausschöpfen. Heute gibt es Rinderbraten mit Knödeln, dafür entscheiden sich die meisten. Für Vegetarier stehen Ofenkartoffeln mit Quark bereit.
"Von dem Schweinebraten haben die Leute drei Tage später immer noch geschwärmt", sagt Huber und lacht. Eine Italienerin finde die Pasta so lecker wie in ihrer Heimat. Um 13.05 Uhr gehen die letzten Ofenkartoffeln über den Tisch, die Schlange der Wartenden hat sich aufgelöst. Mehr als 250 Menschen waren da schon dort. Bis 14 Uhr hat "Westend tafelt" täglich geöffnet.
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