LKA-Chef Harald Pickert: "Kriminelle nutzen Corona"
München - Harald Pickert war lange Jahre beim Polizeipräsidium München. Er wechselte als Vizepräsident ins Präsidium Oberbayern Süd nach Rosenheim. Zuletzt war er Inspekteur der bayerischen Polizei im Innenministerium. Seit einigen Monaten ist er Präsident des Landeskriminalamtes.
AZ: Herr Pickert, Corona-Subventionsbetrug. Das LKA ermittelt in 1.400 Fällen. Haben es Schwindler zu leicht?
HARALD PICKERT: Wo Geld im Spiel ist, sind Kriminelle und Betrüger nicht weit. Für Leistungen aus Coronahilfsprogrammen müssen gewisse Unterlagen vorgelegt werden. Wir haben im Vorfeld die Ministerien dahingehend beraten. Dass es Missbrauch gibt, war zu erwarten. Wir ermitteln in jedem Fall, der uns bekannt wird. Nichtsdestotrotz sind diese Hilfen wichtig. Viele Menschen sind auf sie angewiesen. Corona bietet Gaunern völlig neue Möglichkeiten. Das beginnt bei falschen Polizisten, beim klassischen Enkeltrickbetrug, setzt sich aber auch mit Schockanrufen fort, wenn behauptet wird, ein Angehöriger sei an Corona erkrankt, für Medikamente und Behandlungen müsse Geld bezahlt werden.
Neue Betrüger-Maschen während Corona
In Niedersachsen hat jemand telefonisch Impfstoff angeboten, natürlich gegen Geld. Sind das neue Maschen?
Wir hatten schon Fälle, bei denen Betrüger vor der Tür standen und sich als Mitarbeiter des Gesundheitsamtes ausgaben. Letztendlich läuft es immer auf dasselbe raus, die Leute wollen Geld oder in fremde Wohnungen.
Wie reagiert man richtig?
Keinesfalls sollte man Fremde in die Wohnung lassen. Zudem sollte man niemals an Fremde Geld, Wertgegenstände oder ähnliche Dinge übergeben.
Corona scheint die Internetkriminalität anzuheizen?
Cybercrime-Delikte steigen in der Statistik. Durch Corona bestellen die Menschen viel mehr online. Sie sind viel mehr im Internet unterwegs. Kriminelle versuchen, über Fakeshops Kasse zu machen, oder sie liefern minderwertige Ware. Das geht bis in den Aktienhandel und Optionsgeschäfte. Da wird versucht, mit hohen Gewinnmargen Leute dazu zu bringen, Geld zu überweisen. Corona hat das Einkaufsverhalten verändert und das fördert die Zunahme von Betrug im Netz.
Online-Stalking und Mobbing nehmen zu
Eine weitere Form ist Cyber-Mobbing: Tina Schüssler, eine frühere Spitzensportlerin, wird gestalkt.
Dieser Fall ist besonders gravierend, weil die Frau auf unterschiedlichsten Wegen und in einer Intensität behelligt wurde, die nicht alltäglich ist. Man findet das aber auch in Partnerschaften, wo der oder die Ex alle Register zieht. Da werden kompromittierende Fotos ins Netz gestellt und Informationen aus dem Privatleben weitergegeben. Stalker verfolgen ihre Opfer beispielsweise über Facebook. Die Täter stellen ihren Opfern wie im echten Leben nach. Vor allem Mandatsträger und Politiker erleben das immer wieder. Bei Hate Speech sind die Betroffenen massiven verbalen Attacken bis hin zu Morddrohungen ausgesetzt. Das hat Dimensionen erreicht, die hätte früher keiner für möglich gehalten. Da ist eine generelle Veränderung zu beobachten. Die Hemmschwelle sinkt.
Passiert so etwas nur Prominenten?
Im Prinzip kann es jeden treffen. Das passiert unter Schülern oder auch bei Streitigkeiten unter Nachbarn.
Was treibt die Täter an?
Das sind Menschen, die Macht über andere ausüben wollen. Leute, die demonstrieren, was man tun kann, um andere zu diskreditieren, um jemandem Schaden zuzufügen. Es sind sicherlich auch frustrierte Menschen, die ihre Wut an irgendjemandem quasi als Sündenbock auslassen. Es können aber auch verletzte Gefühle sein, geschäftliche Interessen, um sich einen finanziellen Vorteil zu verschaffen. Die Motive sind sehr breit gefächert.
Wer sind die Opfer?
Oft sind Frauen betroffen, aber auch Männer. Bei Cybermobbing und Stalking sind es deutlich mehr Frauen. Im Schutz der Anonymität des Internets nehmen Hass und Hetze zu.
Was hilft dagegen?
Ein wichtiger Schritt ist, dass das Netzwerkdurchsetzungsgesetz in Kraft tritt. Es soll Betreiber beispielsweise von Twitter und Facebook dazu bringen, dass sie bei strafbaren Inhalten betreffende Personen der Polizei melden. Das ist aus meiner Sicht ein ganz wichtiger Schritt, die Täter aus der Anonymität zu reißen. Die Betreiber der Plattformen stehen auch ganz klar in der Verpflichtung, deutlich mehr personelle Ressourcen einzusetzen, um dem Ganzen Einhalt zu gebieten. Dem Thema Opferschutz muss zudem in der virtuellen Welt mehr Bedeutung zugemessen werden.
So steht es um Verschwörungsmythen
Verschwörungsmythen verbreiten sich in Zeiten von Corona wie ein Lauffeuer. Lässt sich dieser Trend stoppen?
Leute, die solchen Dingen anhängen, gab es schon immer, die wird es auch in Zukunft geben. Für uns ist wichtig, die Menschen im Auge zu behalten, die solche Dinge verbreiten. Vor allem wenn es strafbare Inhalte sind, antisemitische oder rassistische Äußerungen. Oft sind die Fakten klar. Da lässt sich leicht der Gegenbeweis antreten, so wie bei den 'Flacherdlern', die behaupten, die Erde sei eine Scheibe.
Führungsfiguren der Querdenken-Bewegung sollen in Baden-Württemberg vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Was halten Sie davon?
Ob der Verfassungsschutz eine Bewegung beobachtet, ist seine Entscheidung und an rechtliche Voraussetzungen geknüpft. In Bayern haben Polizei und Verfassungsschutz diese Bewegung und die handelnden Personen jedenfalls im Blick. Die Sicherheitsbehörden sind bei den Demonstrationen vor Ort.
Muss jeder, der auf eine Querdenken-Demo geht, damit rechnen, vom Verfassungsschutz beobachtet zu werden?
Nein. Natürlich gilt für alle das Grundrecht der Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Man erkennt aber bei den Demonstrationen sehr wohl die Nähe bestimmter Personen zum rechten Spektrum.
Ermittlungen in den eigenen Reihen
Die Soko "Nightlife" im LKA ermittelt gegen Beamte des Präsidiums München. Überrascht es Sie, welche Dimension der Fall inzwischen hat?
Das Ausmaß ist groß und das, was an Vorwürfen im Raum steht, ist nicht zu tolerieren.
Was empfinden Sie dabei?
Das hat uns alle betroffen gemacht. Solche Fälle rütteln am Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei.
Wie ist es, unter Kollegen zu ermitteln?
Es ist unsere Aufgabe, alles lückenlos aufzuklären. Wir verwenden dieselben Methoden wie in jeder anderen Ermittlung auch. Trotzdem ist es ein besonderes Aufgabenfeld. Die Kollegen, die in solchen Fällen ermitteln, helfen damit, das Vertrauen in die Polizei wieder herzustellen. Das ist die Herausforderung.
Wie denken Sie, wird sich die Arbeit des LKA künftig verändern? Wo sehen Sie neue Schwerpunkte?
Eine große Aufgabe in der Zukunft wird Cybercrime. Kriminalität verlagert sich ins Netz. Das belegen steigende Fallzahlen. Auch das Darknet gehört dazu. Wir werden uns organisatorisch darauf einstellen. Denn die große Herausforderung ist die Kriminalität in der virtuellen Welt. Nehmen Sie das Thema Smarthome, bei dem viele Bereiche der Wohnung, des Privatlebens miteinander vernetzt sind. Das bietet Kriminellen völlig neue Ansatzmöglichkeiten. Immer wichtiger wird deshalb auch der Bereich der Prävention, um die Menschen aufzuklären, über die Risiken und die Möglichkeiten, sich zu schützen. Davon abgesehen wird uns natürlich auch die Kriminalität auf der Straße weiter beschäftigen.
- Themen:
- München
- Polizei
- Polizeipräsidium München