Liebeserklärung an den Starnberger See

Wer den Starnberger See vor der Haustür hat, braucht kein Meer, findet Wolfgang Till. Deshalb ist er jetzt in dessen wunderbare Geschichten eingetauc
von  Christa Sigg
Der in Dachau aufgewachsene Volkskundler, Jahrgang 1944, wohnt seit den 60er Jahren in München und hat von 1987 bis 2009 das Stadtmuseum geleitet.
Der in Dachau aufgewachsene Volkskundler, Jahrgang 1944, wohnt seit den 60er Jahren in München und hat von 1987 bis 2009 das Stadtmuseum geleitet. © privat/Chromlithografie nach einer Fotografie/Verlag Lorenz Fränzl

Wer den Starnberger See vor der Haustür hat, braucht kein Meer, findet Wolfgang Till. Deshalb ist er jetzt in dessen wunderbare Geschichten eingetaucht.

München - Wenn in München ein Radl vorbei fährt, sitzt mit einiger Wahrscheinlichkeit Wolfgang Till auf dem Sattel. Kaum vorstellbar, dass der ehemalige Direktor des Stadtmuseums schon mal um den Starnberger See geradelt ist. Man muss es fast glauben, denn an Münchens Badewanne hat er eine Liebeserklärung geschrieben.

AZ: Herr Till, Sie pappen doch an München fest, was treibt Sie an den Starnberger See?
WOLFGANG TILL: Das ist ein Sehnsuchtsort seit meiner Kindheit. Ich kann mich noch an den allerersten Ausflug 1950 erinnern. Ich war als Firmling mit meinem Paten da, und wir haben ausprobiert, ob die neue Armbanduhr auch wirklich wasserdicht ist.

Andererseits bezeichnen Sie die Nähe zu München als problematisch.
Das ist doch klar, bei schönem Wetter kommen zehntausende Münchner, "bieseln an See voi und fahrn wieder hoam". Bei schlechtem Wetter: tote Hose! Das ist ein Dilemma.

Sind Sie oft am See?
Nur so viel: Hat jemand während meiner Museumszeit zum Beispiel aus Berlin angerufen, und ich war nicht da, haben die immer gefragt, ob ich schon wieder am Starnberger See sei.

Gehen Sie eigentlich baden?
Mein Traumberuf war und ist Bademeister! Geübt dafür hatte ich als Wasserwachtler am Karlsfelder Baggersee.

Und segeln?
Ich fahr lieber mit dem Dampfer. Segeln ist schön, aber nicht ganz ungefährlich.

Gibt es ein bestimmtes Ritual, wenn Sie an den See kommen?
Natürlich. Frisch geräucherte Renken kaufen beim Fischer Gastl in Leoni.

"Starnberg muss sich seiner Vorzüge lange nicht bewusst gewesen sein"

Wo gefällt’s Ihnen am besten?
Eindeutig auf der Roseninsel – außer an Tagen, an denen im Casino geheiratet wird. Das soll jetzt groß in Mode sein, kostet aber ohne Überfahrt und Ringe etwa 700 Euro.

Dann lassen Sie uns zu den weniger schönen Ecken kommen.
Wer das Spitzweg-Bild "Ankunft in Seeshaupt" vor Augen hat, wird von der Ecke enttäuscht sein. Ein künftiger "Hideaway"-Komplex kann da keinen Schaden mehr anrichten.

Auch in Starnberg fehlt so manches, was man in einem Seebad erwarten würde.
Starnberg muss sich seiner Vorzüge lange nicht bewusst gewesen sein. Als der Stadt in den 1970er Jahren die erste Liste denkmalwürdiger Bauten zur Zustimmung vorgelegen hat, wurde mit Ausnahme der Stadtpfarrkirche so ziemlich alles wieder rausgestrichen. Die meisten Abrisse und Bausünden stammen aus dieser Zeit. Man hätte damals auch den See noch trockengelegt, um des schönen Baugrunds willen, aber der See gehört, Gott sei Dank, dem Freistaat Bayern.

Herbert Achternbusch schrieb, "diese Gegend hat mich kaputt gemacht, und ich bleibe so lange, bis man ihr das anmerkt".
Mit einer so gesunden Einstellung kann man eigentlich alles überleben. Aber den verstärkten Zuzug von Leuten, die wir aus den "Herzblättern" kennen, konnten weder mein geliebter Herbert Achternbusch noch Sepp Bierbichler aufhalten.

Früher hat der See interessante Leute angezogen. Es gab zwar keine Dollarprinzessin ...
Dafür aber eine Dollarkönigin, ja. Die gutherzige Wilhelmina Busch-Woods, eine amerikanische Brauereierbin, ist absoluter Hollywood-Filmstoff. Und der Titel steht schon auf dem Sarg im Park von Höhenried: "LOVE NEVER ENDS"!

Sie ließ sich dort ein Traumschloss bauen.
Ihr lebensgroßes Porträt hängt im Eingang des Bernrieder Restaurants "Marina" – nicht im Badeanzug, dafür im sehr chicen Abendkleid. Meryl Streep wäre die Idealbesetzung.

Wie schaut es sonst mit dem echten und dem Geldadel aus?
Der Adel ist ja leider Gottes etwas verblüht. Die Schlösser Possenhofen oder Ammerland, einstmals vorzeigbare Herrensitze, sind in Eigentumswohnungen portioniert, ein Jammer! Und der Geldadel strengt sich in keinster Weise an, Beiträge fürs Starnberger Gemeinwohl zu leisten.

Dann müssen wir wieder in die Vergangenheit. Der Affenmax ist doch eine tolle Figur. Allein für seine "Affen als Kunstrichter" muss man ihn großartig finden.
Gabriel von Max, das hat die Kunstgeschichte spätestens mit der Ausstellung im Münchner Lenbachhaus herausgefunden, ist eine Prachtgestalt von internationalem Rang. Sein gefährdetes Haus in Ammerland zu erhalten, ist Pflicht!

Apropos, heute könnte sich kein normaler Künstler mehr den Starnberger See leisten.
Für einen Campingplatz beim Hirth in Ambach könnte es reichen – die Nacht für 6,50 Euro.

Was sagt der Museumsmann zum Buchheim Museum?
Der Bau gefällt mir, die Wiese drum herum gehört entrümpelt. Aber mit seinem Museum soll Lothar Günther Buchheim selber nicht zufrieden gewesen sein. Was fehlt, ist eine kritische Biografie über ihn.

Allerdings. Mal davon abgesehen, dass Buchheim nach dem Krieg am eigenen Bild gefeilt hat, war er schon auch ein Typ mit Unterhaltungswert.
Weil die Feldafinger sein Museum nicht haben wollten, hat er sie als "Gullyratten" beschimpft. Das reichte aber nicht zum Wappentier der Gemeinde. Aus Rache ist jetzt sein Anwesen abgerissen worden.

Wie schneidet der Starnberger See im Vergleich zum Tegernsee und zum Chiemsee ab?
Am Starnberger See leben die, die es nicht bis hierher geschafft haben, sagen die Tegernseer Oligarchos. Der Chiemsee besticht durch seine viel sympathischeren Anwohner, ist größer, näher an den Bergen, aber bei weitem nicht so reich an Geschichten.

Die beste Starnberger-See-Story liefert immer noch Ludwig II. Sie haben ja auch ein Buch über den Kini geschrieben.
Seit es 2013 herauskam, sind schon wieder über 100 neue Titel erschienen. Es wird langsam Zeit für einen Lehrstuhl "Kiniforschung" an der Uni.

Schon, um die Todesumstände zu klären. Ihre Theorie?
Erst nach einer Volksabstimmung leg ich mich endgültig fest. Nur so viel: Vergessen Sie die Verschwörungstheorien.

Wie schaut die Zukunft des Starnberger Sees aus?
Die Renken sollen kleiner werden, weil die Nahrung wegen der Wasserreinheit knapp wird. Im Winter wird der See nie mehr zufrieren. Und meine Hoffnung wäre, dass die Übermotorisierung des Westufers, die fast zum Wahrzeichen gewordenen "Starnberger Lieferwagen" – das ist Ausdruck für all die allradgetriebenen Kleinpanzer – ihren Zenit überschritten hat. Zum Segen des Starnberger Sees und seiner Liebhaber.


Wolfgang Till, Gerhard Trumler (Fotos): "Starnberger See", 224 Seiten, 200 Abb., Christian Brandstätter Verlag, 49,90 Euro

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