Landtagswahl in Bayern: Politik-Experte verrät Tipps zur Wahlentscheidung
München - Wer als verantwortungsbewusster Demokrat zur Wahlurne schreitet, muss natürlich informiert sein. Aber müssen dafür wirklich 20 (CSU) bis zu über 100 Seiten (FDP und Grüne) an Text zu allen Parteien aufmerksam gelesen werden? Oder kann man auch anderweitig zu einer ausgewogenen Wahlentscheidung kommen?
"Es wird Ihnen das gesamte Spektrum an Informationskanälen angeboten. Das fängt an bei den alten, klassischen Wahlplakaten, geht über Werbespots im Fernsehen bis zu den neueren elektronischen Kanälen", sagt Werner Weidenfeld, Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung und Professor für Politische Wissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Jedes Mittel, eine Meinung zu bilden, kann hilfreich sein."
Wie findet man die richtige Partei für sich? "Wahlprogramme sind eine erste Orientierung"
Die eine überlegene Art, sich zu informieren, gibt es dem Politikwissenschaftler zufolge nicht. Nicht einmal das akribische Durchforsten von Wahlprogrammen. Aber: "Wahlprogramme sind eine erste Orientierung, was eine Partei so machen will." Dadurch, dass es heutzutage keine absoluten Mehrheiten mehr gäbe, müssten jedoch Koalitionsverträge ausgehandelt werden. Die erfordern Kompromisse.
Das wiederum heißt, dass Wahlprogramme nicht eins zu eins verwirklicht werden können. "Natürlich werden einige Punkte umgesetzt, aber viele Punkte auch nicht." Das zeigt auch eine Studie der Uni Stuttgart, laut der Regierungsparteien im Durchschnitt etwa 20 Prozent der vor der Wahl gemachten Versprechen nicht einhalten. Sich auf einzelne inhaltliche Aspekte zu versteifen, könnte dementsprechend zu falschen Erwartungen führen.
38 Thesen zum Durchklicken: Der Wahl-O-Mat bietet eine schnelle Entscheidungshilfe
Neben den dicken Wahlprogrammen gibt es aber auch die neuen, schlanken digitalen Entscheidungshilfen. So etwa den Wahl-O-Mat. Dabei handelt es sich um eine Website der Bundeszentrale für Politische Bildung, in der sich Wahlinteressierte durch 38 Thesen klicken können, um zu überprüfen, wie stark sie mit den Plänen der Parteien übereinstimmen.
Diese lauten dann etwa: "Die ökologische Landwirtschaft soll vom Land vorrangig gefördert werden." Dem kann man dann zustimmen, dagegen sein oder neutral gegenüberstehen. Ein Team aus Experten entwickelt die Thesen, die Generalsekretäre der Parteien segnen sie ab.
Auch Gespräche mit den Kandidaten helfen: "Die laufen Ihnen mehr oder weniger über den Weg"
Ein anderes Online-Orientierungswerkzeug ist der aus einem politikwissenschaftlichen Aufsatz hervorgegangene Politnavi. Der ist weniger auf einzelne Wahlen bezogen, sondern zeigt anhand einer Reihe von Fragen die eigene Positionierung auf dem Links-Rechts-Spektrum und das der Parteien auf. Bei der Beurteilung der Parteien fließen sowohl deren aktuelle als auch grundsätzliche Einstellungen mit ein.
Zu diesen Online-Instrumenten sagt Experte Weidenfeld: "Auch die sind Teile der Orientierungshilfe."
Zu dieser Orientierung können aber auch ganz klassisch Gespräche mit den Direktkandidaten beitragen. "Die laufen Ihnen ja mehr oder weniger über den Weg, wenn Sie sich dafür interessieren", sagt der Politikwissenschaftler.
Landtagswahl in Bayern: Die eigene Stimme als Zünglein an der Waage?
Ein weiterer Aspekt, der für die eigene Wahlentscheidung eine Rolle spielen kann, ist die Übereinstimmung der eigenen Weltansichten und der der Parteien. Das, wofür eine Partei steht, könne man nicht artifiziell ausblenden, sagt Weidenfeld. "Es wäre schon vernünftig, dass Sie selbst wissen, was Sie als Zielsetzungen und an normativen Perspektiven haben. Und dann zu überlegen: Mit welcher Entscheidung komme ich dem am nächsten?"
Außerdem sollte dem Politikwissenschaftler zufolge der Bürger Prognosen, wie die Wahl ausgehen könnte, für die eigene Entscheidung nicht überbewerten. Aufgrund hoher Wählerschwankungen ist laut Weidenfeld bei keiner Partei das Wahlergebnis in Stein gemeißelt. Wenn etwa eine Partei, die einem gefällt, womöglich nicht die für den Einzug ins Landesparlament nötige Fünf-Prozent-Hürde knackt, könne man gerade dann dieser eine Stimme geben, um das Ruder doch noch herumzureißen.
Wen soll ich wählen? Der Experte empfiehlt: "Überall mal reinschauen und den Finger reinlegen"
Die Vielzahl an Informationsmöglichkeiten kann für den Wähler durchaus erschlagend sein. Aber gerade dieses breite Angebot braucht es laut Weidenfeld: "Wenn die Orientierungsleistung der politischen Kultur so überzeugend wäre, dann würden all diese weiteren Nachfrageelemente ja ihre Bedeutung verlieren. Das ist aber nicht der Fall."
Deshalb seien all jene, die sich interessieren, mehr oder weniger gezwungen, sich intensiv mit allem zu befassen. Von Wahlprogrammen über Spitzenkandidaten-Interviews bei der AZ bis hin zu Online-Werkzeugen wie dem Wahl-O-Mat. "Überall mal reinschauen und den Finger reinlegen", empfiehlt Weidenfeld. Den einen Königsweg gibt es also nicht. Oder wohl eher: Er besteht aus mehreren hoheitsvollen Straßen.