Lahme Radentscheid-Umsetzung in München: "Wir sind 2050 noch nicht fertig"

München - "München wagt die Radlrevolution" - so hieß es vor einem Jahr. Tatsächlich klang damals, was die Stadt für Radler plante, revolutionär: 1,6 Milliarden Euro würde München innerhalb der nächsten fünf Jahre in neue Radwege stecken, um das Bürgerbegehren Radentscheid zu erfüllen. 160.000 Münchner hatten dafür unterschrieben, dass das Radnetz ausgebaut und dass die Wege breiter und sicherer werden sollen.
Radentscheid: Die Umsetzung braucht Geld
Heute - gut ein Jahr und eine Kommunalwahl später, in der die Grünen die Mehrheit des Stadtrates eroberten und in der Initiatoren von damals zu Stadträten wurden - taucht diese Zahl im Haushalt nicht auf. Was ist passiert?
"Uns war immer klar, dass die Umsetzung des Radentscheids nicht so teuer sein muss", sagt Andreas Schön, Vorsitzender des ADFC in München. Und das sagen auch ÖDP-Stadträtin Sonja Haider und SPD-Stadtrat Andreas Schuster, die beide beim Radentscheid Sprecher waren. Glücklich darüber, wie die Umsetzung des Bürgerbegehrens läuft, klingt allerdings niemand von ihnen.
Die Stadt beschloss zwar eine Liste von gut 40 Straßen, auf denen sie neue, breitere und sichere Radwege verwirklichen will. Darauf stehen unter anderem die Brienner Straße, die Rosenheimer Straße und auch die Landsberger Straße. Fertiggestellt wurde davon jedoch bislang noch nichts.
Radentscheid: Der ADFC übt Kritik
"Der Stadtrat hat noch nicht über die konkreten Pläne abgestimmt", sagt Sonja Haider (ÖDP). "Wir haben noch nicht einmal Varianten gesehen."
"Wenn wir in dem Tempo weitermachen, sind wir 2050 noch nicht fertig", meint Andreas Schön vom ADFC. Und sogar die Zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden von den Grünen antwortet auf eine AZ-Anfrage: "Die Umsetzung des Radentscheids geht zu langsam voran. Ich kann den Ärger darüber gut verstehen."
Zufrieden klingt einzig der Oberbürgermeister. Es sei nicht der Meinung, dass wenig passiert sei - "im Gegenteil": "Auch Radwege bedürfen einer vernünftigen Planung. Diese wird gerade, wie vom Stadtrat beschlossen, von den Fachreferaten erstellt." Das Problem ist jedoch, dass in der Verwaltung bislang zu wenig Menschen an diesen Plänen arbeiten. 30 Stellen hatte der Stadtrat im Dezember 2019 bewilligt.
Alternativ könnten jetzt "kreative Lösungen" für Radler kommen
Besetzt sind ein Jahr später laut Bürgermeisterin Habenschaden "leider noch immer wenige". "Wegen Corona mussten Vorstellungsgespräche abgesagt werden." Wie viele Stellen noch offen sind, beantwortet die Stadt nicht. Für viele seien inzwischen die Bewerbungsgespräche abgeschlossen. "Wir gehen davon aus, dass wir die meisten Stellen in den nächsten Wochen besetzen können", antwortet ein Sprecher.
"Natürlich gibt es Unverständnis darüber, warum die Besetzung der Stellen so lange dauert", meint SPD-Stadtrat Schuster. Doch leider sei das auch vor Corona so gewesen: Der Radbeauftragte der Stadt habe zwischen seiner Bewerbung und seiner Einstellung seine Doktorarbeit geschrieben - so lange dauerte der Prozess.
Mehr Öffentlichkeit ist gewollt
Hinzu komme: Bei der Umsetzung des Radentscheids ist eine größere Öffentlichkeitsbeteiligung geplant. Denn wenn die Stadt den Radlern mehr Platz geben will, wird sie Autofahrern etwas wegnehmen müssen. Ärger ist da absehbar.
Streit ist auch beim Geld programmiert. Denn - auch wenn selbst die Initiatoren des Bürgerbegehrens glauben, dass 1,6 Milliarden nicht nötig sein werden - ganz umsonst gibt es Radwege nicht. Für die kommenden Jahre plant die Stadt, das neue Radnetz im Wesentlichen über die Nahmobilitätspauschale zu finanzieren. Diese enthält 25 Millionen Euro.
Radentscheid: Die großen Projekte stehen erst noch an
Doch dieses Geld werde schon jetzt komplett ausgegeben, sagt ÖDP-Stadträtin Haider. Und dabei stehen die großen Baumaßnahmen noch an.
Dass die Stadt in ihrer Planung für die nächsten drei, vier Jahre nicht mehr Geld einplante, sei aus ihrer Sicht kurzsichtig. Auch Andreas Schuster von der SPD glaubt, dass 25 Millionen im Jahr nach 2021 nicht reichen werden.
Gleichzeitig wird das Geld immer knapper: 600 Millionen Euro wird die Stadt im nächsten Jahr mehr ausgeben, als sie einnimmt. Wie viel dann noch für den Radverkehr übrigbleibt? "Ich hätte gerne eine Glaskugel", meint Schuster. Für vorstellbar hält er aber, dass nicht überall gleich Bagger anrücken muss, um für viel Geld neue Radwege zu errichten.
Auch "kreativere Lösungen" seien denkbar - zum Beispiel Barrieren, die Straße und Radweg trennen, und die sich leicht auf und wieder abbauen lassen. Ein solches Element brachte Andreas Schön vom ADFC dem Oberbürgermeister als Weihnachtsgeschenk im Rathaus vorbei. Was er davon halten soll, weiß der OB aber selbst nicht so richtig - so klingt es zumindest. Die Verwaltung prüfe den Einsatz solcher "Protektionselemente" gerade, schreibt er. "Wichtig ist mir dabei, dass wir die Sicherheit für die Radfahrenden verbessern, wie auch immer das am besten zu bewerkstelligen ist."