Künstlern in München droht das Aus – Ateliers in Gefahr, weil die Stadt Profit machen will?
München - In den hohen Regalen sind Unmengen an Farben und Pinseln aufgereiht. Vor dem Fenster, das den hohen Raum mit Licht flutet, liegen auf einem Tisch mehrere Fotos von Mohnblüten, farblich bearbeitet und bereit, als Vorlage für Andreas Stolls nächste Kunstwerke zu dienen.
An den Wänden hängen schon zwei seiner großflächigen Gemälde. Eines davon zeigt die halb geschlossene Blüte in kräftigen Pinktönen vor schwarzem Hintergrund. Stoll will damit die Energie der Natur vermitteln – und gleichzeitig ihre zarte Schönheit. Doch Stolls Reich im Atelierhaus an der Dachauer Straße ist bedroht. Wie es mit dem Gebäude im Kreativquartier am Leonrodplatz weitergeht, ist unklar. Mit Stoll bangen 25 weitere Künstler um ihre Räumlichkeiten.

Denn das Haus soll demnächst renoviert werden. Die Künstler fürchten daher, dass sie mit Beginn der Arbeiten ihre Ateliers räumen müssen. Wann das sein wird, und ob sie ihre kleinen Studios nach der Renovierung wieder beziehen dürfen, wissen sie nicht.
Kreativquartier an der Dachauer Straße in München: Renovierung "aus baulichen Gründen überfällig"
Wie das Kulturreferat auf AZ-Anfrage mitteilt, gibt es noch keinen Zeitplan für die Sanierung, da zunächst der Stadtrat über die nächsten Schritte entscheiden müsse. Eine grundlegende Renovierung sei "aus baulichen Gründen überfällig". Aufgrund des Umfangs der Arbeiten seien die Ateliers während der Sanierung nicht nutzbar.
Das Kulturreferat will nach Angabe einer Sprecherin dem Stadtrat zwar vorschlagen, das Gebäude weiterhin als Atelierhaus zu nutzen. Doch inwiefern die jetzigen Künstler dann berücksichtigt werden, müsse erst der Stadtrat entscheiden.

Sollten die Künstler tatsächlich ihre Bleibe an der Dachauer Straße verlieren, käme das für viele von ihnen einer Katastrophe gleich, sagt Stoll. In München sei es sehr schwierig, ein Atelier zu finden – vor allem eines, das bezahlbar sei. "Die normalen Mieten kann sich kein Künstler leisten", so Stoll. Der Maler glaubt daher, dass viele sich schwer tun würden, wenn sie ihre Ateliers an der Dachauer Straße verlieren würden.
Das Gebäude aus dem 19. Jahrhundert ist eines von drei städtischen Atelierhäusern, weitere gibt es im Domagkpark und in der Baumstraße. An der Dachauer Straße sind 26 Ateliers mit einer Größe von 24 bis 41 Quadratmetern vermietet. Vergeben werden sie vom Kulturreferat, nach einer Bewerbungsphase entscheidet eine Jury.
Wer sich durchsetzt, kann sich über verhältnismäßig günstige Räumlichkeiten freuen. Bildhauer Alfred Görig etwa zahlt 290 Euro im Monat für sein Atelier im Keller des Hauses. "Mehr könnte ich mir nicht leisten", sagt der 77-Jährige.

Über eine verwachsene, kleine Treppe am Eck des Hauses gelangt man in Görigs Atelier. Betritt man den Raum, wird die Luft schlagartig angenehm kühl. An den Wänden stehen einige von Görigs Werken, das prominenteste stammt allerdings von seiner Frau Myra Brooklyn: Auf einer riesigen Fläche gegenüber der Eingangstür hat sie verschiedene Plakate angebracht und mit einem Flammenwerfer angesengt. Dadurch ist eine Collage aus bunten, verbrannten Papierfetzen entstanden.
Im hinteren Raum sammelt Görig seine eigenen Werke. Die wandhohen Regale sind über und über voll mit Steinmetzarbeiten, darunter kleine Modelle von Skulpturen, die deutlich größer in New York, wo Görig mehrmals lebte, und anderen Städten stehen.
Bereits 2009 sollte das Gebäude am Leonrodplatz abgerissen werden
Seit 48 Jahren arbeitet Görig schon im Atelierhaus. Der Bildhauer war es auch, der das Gebäude überhaupt erst zu dem gemacht hat, was es heute ist. Als er 1976 von einem jahrelangen Aufenthalt in New York zurückkehrte, streifte er auf der Suche nach einem Atelier durch München, erzählt Görig. Dabei fiel ihm das Haus auf dem Gelände der ehemaligen Militärwerkstätten an der Dachauer Straße ins Auge.
Früher waren in dem Gebäude Kleinraketen produziert worden, in den Siebzigerjahren hatte dort ein einziger Bildhauer sein Atelier. Görig tat es ihm gleich und mietete seine Räumlichkeiten im Keller für damals 120 Mark pro Monat. Ein paar Jahre später machte er das Kulturreferat auf das weitgehend leere Haus aufmerksam und regte an, weitere Ateliers darin unterzubringen.
2009 wurden die Künstler darüber informiert, dass sie ihre Ateliers räumen müssen – das Haus sollte abgerissen werden. Um das Gebäude zu bewahren, gründeten die Kreativen einen Verein. Die Rettung gelang, doch nun ist die Zukunft erneut ungewiss.
Die Vision der Künstler: Ein Mehrgenerationenatelier
Sara Rogenhofer kämpfte damals schon für den Erhalt des Atelierhauses, und sie will auch jetzt wieder kämpfen. Die Malerin hat mit den anderen Künstlern eine Idee entwickelt: Geht es nach den Kreativen, soll das Gebäude zum Mehrgenerationenhaus werden, um den Austausch zwischen jungen und älteren Künstlern zu fördern. "Das Gebäude soll nicht einfach nur renoviert werden", sagt Rogenhofer. Vielmehr soll es eine Bereicherung für die ganze Stadt sein.

Das Konzept sieht vor, dass ein Drittel der Ateliers an Künstler über 60 Jahren vergeben wird. Sie sollen so lange bleiben dürfen, wie sie möchten. Ein weiteres Drittel soll an 35- bis 60-jährige Kreative gehen, zeitlich befristet auf maximal 15 Jahre. Das letzte Drittel ist schließlich für junge Künstler vorgesehen, die höchstens zehn Jahre bleiben dürfen.
Dazu passt nach den Vorstellungen der Künstler unter anderem ein Café oder ein Bistro mit Galerie sowie ein Ausstellungsraum, um das Gebäude für alle Münchner zugänglich zu machen. Laut Rogenhofer hat die Stadt das Konzept bereits seit Jahren vorliegen, eine Entscheidung gebe es allerdings noch nicht. Sollte die Stadt nach der Renovierung ohne die jetzigen Künstler weitermachen wollen, befürchtet die Malerin eine Kommerzialisierung des Gebäudes.
"Eine Stadt wie München muss es sich leisten können, solche Projekte zu finanzieren"
Sie warnt davor, die Kreativen einfach hinauszuwerfen: "Das Gelände konnte sich nur durch das Engagement der Künstler über die Jahrzehnte entwickeln." Viele von ihnen seien bereits lange in dem Atelierhaus tätig und wüssten daher am besten, was zu der Örtlichkeit passe. Rogenhofer findet, dass sie ein Mitspracherecht bei den Plänen für die weitere Entwicklung verdienen: "Unsere Erfahrung ist für die Zukunft wichtig."
Das Atelierhaus hat eine große Bedeutung für die Münchner Kunstszene, wie Rogenhofer sagt. "Es gibt ja kaum noch solche Areale. Eine Stadt wie München muss es sich leisten können, solche Projekte zu finanzieren, auch wenn kein Profit rauskommt." Bevor die Künstler an die Dachauer Straße kamen, war das Gelände lange eine Brache. Eine Belebung und Öffnung des Atelierhauses wäre laut Rogenhofer nun eine "Chance für die Stadt".
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