Kommunalwahl in München: Chaos im KVR? Wahlhelfer klagen an
München - Angst vor der Corona-Ansteckung, gleichzeitig viele Menschen in einer Halle und Mangel an Ansprechpartnern. Von chaotischen Zuständen haben Wahlhelfer der AZ berichtet (siehe unten). Teilweise seien Teams an einem Tisch unterbesetzt gewesen, Ersatz gab es nicht.
Auch von außen betrachtet konnte man den Eindruck gewinnen, dass einiges nicht ganz glatt lief. Die Auszählung wurde nicht – wie zuvor auf AZ-Anfrage angekündigt – am Montagabend beendet. Am Dienstag war die Auswertung ebenfalls noch nicht beendet. Die drei fehlenden Stimmbezirke werden am Mittwoch ausgezählt, dann ist auch das vorläufige Endergebnis der Münchner Stadtratswahl da.
Die Verzögerung wurde vom KVR nicht kommuniziert, erst auf Anfrage hieß es Montagnacht, man zähle heute nicht weiter. Auch sonst war die Wahl von Wirrwarr geprägt.
Für das KVR unter Referent Thomas Böhle (SPD) nicht die erste Wahl, die nicht unbedingt reibungslos abläuft: Bei der Europawahl war zunächst eine viel zu hohe Wahlbeteiligung veröffentlicht worden.
Wahlamt München spricht von "positiven Rückmeldungen"
Das Wahlamt habe "durchaus auch positive Rückmeldungen" von Wahlhelfern erhalten, sagt KVR-Sprecher Johannes Mayer auf AZ-Anfrage. Konkret sagt er zu den Vorwürfen einiger Wahlhelfer: In einer E-Mail sei darauf hingewiesen worden, dass "Wahlhelfende, die nachweislich mit dem Coronavirus infiziert sind oder Kontakt zu einer mit dem Coronavirus infizierten Person hatten oder sich in den letzten 14 Tagen in einem Risikogebiet aufgehalten haben", am Wahltag "nicht tätig werden sollen".

Jede Halle habe nicht nur einen, sondern jeweils zwei Eingänge gehabt, größere Stauungen seien nicht entstanden.
Zu den vielen Ausfällen sagt Mayer: "Da uns leider erst in den letzten Tagen vor der Wahl im großen Stil Absagen erreicht haben, konnten wir nicht früher nachbesetzen." Und was ist mit der Auszählung, von der es hieß, sie werde am Montagabend beendet? "Es war nie die Rede davon, dass gestern die Auszählung vollständig wäre", dementiert Mayer jetzt. Die Auszählung sei nach Zeitplan verlaufen.
Chaos-Auszählung in Riem: Das Berichten zwei Wahlhelferinnen
Eine VWL-Studentin sagt: "Diese Wahl hätte nicht stattfinden dürfen"
Sehr kurzfristig, am vergangenen Donnerstag, hatte die VWL-Masterstudentin Sandra Gschnaller (27) Bescheid bekommen, dass sie als Wahlvorsteherin helfen soll. Sie hatte sich vor längerer Zeit beworben. Was sie dann bei der Auszählung erlebt hat, beschreibt sie als schockierend.
"Total unverantwortlich"
"Die Tische standen zwar nicht nah aneinander, es waren aber gut 800 Menschen in einer Halle", sagt sie. "Dabei hat Söder doch dazu aufgerufen, Kontakte zu meiden." Mit dieser Empfehlung hätten Wahl und Auszählung nichts zu tun gehabt. "Total unverantwortlich, dass sie überhaupt durchgeführt wurde, sie hätte nicht stattfinden dürfen", sagt Gschnaller. Unverantwortlich zum einen, weil man die Bürger in die Wahllokale geschickt hätte.
Und zum anderen unverantwortlich den Wahlhelfern gegenüber. "Man hatte überall Kontakt mit Mitmenschen", sagt die Studentin. Dass die Wahl an sich stattgefunden hat, liegt in der Verantwortung des Freistaates. Aber auch dem KVR wirft die Studentin einiges vor.
In der Halle habe es zwar die Möglichkeit gegeben, sich die Hände zu waschen. "Auch Desinfektionsmittel stand zur Verfügung und es gab Handschuhe", beschreibt sie.
Trotzdem sei man als Wahlhelfer "nervlich unter Druck" gewesen. Die Anspannung und Verunsicherung sei spürbar gewesen. Ein Kritikpunkt der Münchnerin: "Es gab vom KVR keine Anweisung, dass Menschen, die sich krank fühlen, daheim bleiben sollen."
Von ihrem Team, das ursprünglich aus neun Leuten bestehen sollte, waren nur sieben erschienen. Eine weitere habe sie als Wahlvorsteherin dann heim geschickt, weil sie ständig gehustet habe – obwohl es keine Nachbesetzung gab. "Das konnte ich einfach nicht verantworten", sagt Gschnaller.
"Höhere Ansprechpartner", mit denen man Sorgen hätte besprechen können, habe es nicht gegeben, sagt Gschnaller. Sie schimpft: "Dass bayernweit unfassbar viele freiwillige Wahlhelfer dieser Situation ausgesetzt waren, macht mich einfach unfassbar wütend." Der Freistaat habe sich verhalten, "als würde Corona nicht existieren".

Eine Psychologin meint: "Das war verantwortungslos"
Eine Psychologin (35) im staatlichen Dienst wurde als Wahlhelferin rekrutiert. Sie fragt sich, ob es sinnvoll war, in Zeiten von Corona Hunderte Menschen stundenlang gemeinsam Stimmen zählen zu lassen. Hier erzählt sie:
"Ich habe vor etwa vier Wochen gerne zugesagt, ehrenamtlich bei der Wahl mitzuhelfen. Ich konnte nicht wissen, worauf ich mich eingelassen habe. Zunächst musste ich zu einer Schulung im KVR, einige Tage vor der Wahl. So banal ist es nicht, zum Beispiel den Stadtratsbogen auszuwerten.
In der Messehalle in Riem bekamen wir ein Paar Plastikhandschuhe, aber nur in L. Für mich waren die viel zu groß. Das hatte zur Folge, dass viele auf Handschuhe verzichtet haben. Und da wäre ich beim größten Kritikpunkt. Ich saß zwei Tage mit 600 anderen Leuten Stunden in der Halle. Wir nutzten alle nur wenige WCs. Die Türe der Damentoiletten öffneten alle nur mit dem Ellenbogen.
An den Tischen mit je acht bis zwölf Personen hielten wir natürlich nicht den Mindestabstand von ein bis zwei Metern ein, weil es nicht möglich war. Im Nachhinein stellt sich bei mir das Gefühl ein, dass die Verantwortlichen die Wahl auf Biegen und Brechen durchziehen wollten. Das finde ich ein wenig verantwortungslos."

Alle Entwicklungen zur Kommunalwahl 2020 in München finden Sie hier in unserem Newsblog
Lesen Sie hier: Münchner Stadtrat - Wer drinnen ist und wer draußen
- Themen:
- Münchner Stadtrat
- SPD
- Thomas Böhle