Jutta Winkelmann: "Ich will egoistisch sein"
München - Sie lebte jahrelang auf der Sonnenseite, war frei – und auch freizügig. Jetzt erlebt 68er-Ikone und Rainer-Langhans-Muse Jutta Winkelmann (64) die düstere Seite ihres Lebens. Sie ist an Krebs erkrankt, hat Todesangst und unvorstellbar schlimme Schmerzen. Im Internet schreibt sie seit Monaten darüber, schonungslos und offen. Die AZ druckt den zweiten Teil der tagebuch-ähnlichen Auszüge.
„Ich habe gestern die Analyse des Szintigramm bekommen. Es ist nichts Neues für mich und trotzdem, es zu lesen, haut mit der Wucht einer Bombe rein. Es macht mir wahnsinnige Angst zu lesen, in welch kurzer Zeit so viele Metastasen gewachsen sind, und so schnell. Ich war mir sicher, mehr als das, was ja sowieso schon viel war, würde nicht nachkommen. Jetzt im Kopf so viele, im Schambein ein ganzer Herd, in den Wirbeln, im zweiten Atlas eine große, wie ein Genickschuss schmerzt sie.“
„Ich brauche dringend das schmerzlindernde Cannabisöl – eigentlich brauche ich ein Wunder. Das Öl ist schon vor zwei Wochen aus Amerika zu mir gekommen, versteckt in einem Lipbalsam. Kleines Röhrchen für 800 Dollar von lieber Stelle – ausprobiert? Das habe ich! Man nimmt nur etwa die Größe eines Reiskornes von der zähen, dunklen Masse. Ich habe etwas weniger genommen und bin acht Stunden auf einen unerbittlichen nächtlichen Trip geschmissen worden, der etwa so heftig war wie eine doppelte Dosis LSD. Erst lag ich weinend auf Knien im Klinikzimmer (etwa zwei Uhr morgens). Dann sah ich meine braunen, dünnen Arme, wie Mumienarme, die sich mir aus meinem weißen Bettsarg entgegenstreckten oder sich vor mir, gänzlich vom Körper gelöst, in die Luft schwangen und mich mit namenlosem Entsetzen erfüllten. Ich konnte es nicht fassen, das sollte zu mir gehören – ich sein? Ich erlebte die nächsten Stunden als Horrortrip. So etwa zwischen: Heute Nacht sterbe ich, werde total verrückt oder erleuchtet, was mir nicht mehr als erstrebenswert erschien. Das Schicksal entschied, du wirst total wahnsinnig. Verlust aller Realität.“
„Brigitte und Christa (zwei andere Frauen aus der Kommune, Anm. d. Red.) spielen stundenlang Tischtennis. Sterben ist kein Thema. Sie sind noch auf der Seite des Lebens und reagieren genervt. Gespräche mit Rainer: ,Hast du auch Angst?’ Er bejaht. Er macht es langsamer. Nicht so gewaltsam wie ich. Ich habe das Gefühl, ich muss vorausgehen und klammere mich vor Angst doch an jedes Stuhlbein.“
„Im Januar soll die Indienfahrt beginnen. Einige Freunde raten ab. Eine krebskranke Frau gehört nicht dahin. Aber ich will. Möchte lebendig werden. Das Leben ruft. Dann reitet mich der Teufel. Ich setze mich dafür ein, dass Brigitte mitkommen soll, sie soll aufs Essen achten und darauf, dass ich die alternative Medizin einnehme. Sie möchte. Einige Tage später tut mir Christa leid, dass sie zurückbleiben muss. Ich kratze Geld zusammen, Gisela (Getty; Juttas Zwillingsschwester, Anm. d. Red.) gibt etwas. Christa kann auch mit. Das bereue ich auf der Reise immer wieder bitter. Es sollte meine Reise sein. Das traue ich mich kaum auszusprechen. Den Frauen passt nichts, sie werden aus Protest krank, es geht nur noch um einen verknacksten Fuß, Hexenschuss und um Husten. Christa tut das Knie weh, legt mit Fieber nach. Ich weiß, dass ich das bisschen mehr Rainer-Aufmerksamkeit, was ich gerade bekomme, teuer zu bezahlen habe. Innerlich rase ich. Dann bricht es heraus. Im Blog komme ich kaum vor, nicht der Anlass der Reise, nicht, dass ich ihnen die Reise geschenkt habe, undankbare narzisstisch gestörte Weiber. Meine Krebskrankheit verkommt zur Bagatelle, kommt nicht vor, wird zur Farce.“
„Mich beutelt Wut, Eifersucht und die nagende Reue. Ich habe einen Zwilling und musste immer teilen, das will ich auch nicht mehr, ich will nicht sterben, auch mal nicht teilen, nicht immer auf die Frauen Rücksicht nehmen. Ich will total egoistisch sein. Es ist zum Verrücktwerden. Ich wollte eine heilende, heilige Reise machen, und nun herrscht wieder Krieg, egal wo ich bin, am Fuße des Himalayas oder in irgendeinem Aschram oder zu Hause – wie eh und je. Ist es wirklich wie eh und je? Sind tatsächlich sie es, die da Schlechtes für mich wollen? Ich sehe immer deutlicher, das steckt in mir, das kleine, enttäuschte, wütende, zornige Kind. Ich kann es sehen, es tobt, ein altes Muster, das nicht gehen will.“
„Dann gibt es wieder Krieg und meine eifersüchtigen und düsteren Gedanken jagen mich unerbittlich. Ich schaffe es am Ende, während der zauberhaften, stillen Backwater-Fahrt noch einen Streit mit Rainer anzuzetteln. Auf dem Terrassendeck schwillt mir der Hals. Jetzt ist es an der Zeit, Rainer noch einmal bitter vorzuwerfen, das nicht ich, sondern er die Verantwortung für meinen Krebs trägt. Er ist schuld, weil er mich vor mehr als fünfzehn Jahren so gemein sitzen gelassen hat, wie eine heiße Kartoffel fallen ließ, dass ich davon den Krebs gekriegt habe, vor lauter Schmerzen, Enttäuschung und Wut, dass ihm aber all das egal sei, wie es mir geht, den Frauen sowieso. Ich heule vor Wut. Ich heule aus Verzweiflung, dass diese besessenen Vorwürfe und das Schuldgesuche bei den anderen in mir keine Ruhe geben, dass ich keinen Frieden finden kann, dass es endlos so weiter geht und dass mit mir was geschehen muss, weil ich so nicht weitermachen kann. Auf der Rückfahrt schweige ich und bete.“
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