Jutta Winkelmann: "Ich will noch leben"
München - Kaum eine Frau steht mehr für Freiheit und Freizügigkeit: Jutta Winkelmann (64), Ikone der 68er-Bewegung und Muse von Rainer Langhans, erlebt gerade die schlimmste Zeit ihres Lebens. Auch dabei nimmt sie kein Blatt vor den Mund.
Jutta Winkelmann, die mit ihrer Zwillingsschwester Gisela Getty und zwei anderen Frauen in der Langhans-Kommune in Schwabing lebt, ist an Krebs erkrankt. Im Internet , ihrer persönlichen „Klagemauer“, schreibt sie schockierend ehrlich über den Tumor, die schlimmen Folgen der Bestrahlung, ihre Tage in der Klinik – und ihre Angst vor dem Tod.
Die AZ zeigt Auszüge.
„Mein Rückgrat ist zerstört, zwei Wirbel von zwei Tumoren zerfressen. Sie sitzen direkt am Rückennerv. Es sind höllische Schmerzen. Ich rühre mich nicht. Ich kann jederzeit gelähmt sein. Es muss mein Weg zur Erleuchtung werden. Nicht weinen. Ich habe so schreckliche Angst. Ich habe es als Computertomographie. Als ausgeschriebene Diagnose. Es ist wahr. Ich will die Scheiße nicht, ich will nicht sterben, es muss ein schrecklicher Irrtum sein.“
„Ich bekomme Morphinpflaster. Ich vertrage sie nicht. Ich kotze alles explosionsartig aus. Ich krieche auf allen Vieren aufs Klo. Kotzen, kotzen. Nichts hilft, die höllischen Schmerzen zersägen mein Ich, zerhämmern meine Individualität. Es bleibt nichts von mir übrig. Es gibt keine Hilfe.“
„Ich werde irre vor Angst. Ist der Tumor auch im Kopf? Es gibt kein Verhandeln mit Gott wie vor elf Jahren, wo mir die Brust abgeschnitten wurde, kein bitte noch einige Zeit. Ich war doch gesund, geheilt, die Ärzte haben mich nach Hause geschickt. Blutwerte super. Aber innen wuchert es. Der Arzt informiert mich über die Risiken. Sie sind gigantisch. Ich sage, nein, das kann ich nicht bei klarem Verstand unterschreiben. ,Sie haben keine Wahl.’“
„Es dauert eine Woche, bis die Schmerzen künstlich eingedämmt werden können. Ich vertrage keine Morphine. Ich habe schon in Rom meinem opiumsüchtigen Geliebten die Seidenkissen vollgespuckt. Ich gehöre zur psychedelischen Fraktion. Jetzt gehöre ich mir nicht mal mehr selbst. Ich gehöre den Schmerzen. Ich bin sie. In den schwarzen Nächten der Klinik gehöre ich zu den Todgeweihten. Ich gehöre nicht mehr zum Leben. Es wird mein Leben so nicht mehr geben. Aber ich will noch leben. Ich möchte überhaupt nicht sterben. Dieser Fahrstuhl der Angsthölle bringt mich um.“
„Nachts rast der Puls und das Herz krampft sich so zusammen, dass ich Panik gequält vermute, ich sterbe nicht an Krebs, sondern an einem Herzinfarkt. Wie machen das die anderen Menschen, die hier in der Klinik liegen? Wie begegnen sie ihrer Sterblichkeit? Alte erbarmungswürdige Gestalten, kaum noch Mensch zu nennen, warten auf eine Gnadenfrist von Gott, auf ein kleines bisschen Weiterleben, egal wie elend. Und ich gehöre zu ihnen. Bin eine von ihnen. Sterblich, während die Welt da draußen vor der Klinik leuchtet und unsterblich ist.“
„Drei Wochen Bestrahlungen. Fünfzehn Mal lasse ich mich von dem tödlichen Atem der Drachenmaschine anfauchen. Ich versuche, Freundschaft mit ihr zu schließen, streichle manchmal die harte Pritsche, auf der ich während der Behandlung liege. Die drei letzten Behandlungen mache ich stationär. Ich will raus.“
„Zuhause vorsichtiges Rumliegen und Gehen. Die Freunde meinen, ich muss mein Leben ändern. Ich frage mich, ob ich überhaupt noch eins habe. Manchmal rufe ich Rainer an und sage, ich hab’s vermasselt, in den Sand gesetzt, es ist aus, vorbei, ich werde nicht mehr. Das war’s, alles abgefuckt.“
„Es ist für mich nicht zu bewältigen. Eigentlich brauche ich jemanden, der mir das aus dem Kopf nehmen kann. Ich erwarte von meinem Arzt (den ich liebe), dass er mich an die Hand nimmt und sagt, war alles ein Irrtum, Fehldiagnose, alles gut, haben uns geirrt, tut uns leid, du musst nicht sterben, habe mit Gott geredet, er sagt, es fällt aus.“
„Mein Magen ist ein schreiendes Loch, stößt doch alles ab. Verstand ist weg, ich tippe nur rum und mir fällt nichts mehr ein. Will auch nicht mehr reden. Obwohl ich es jetzt verstanden habe. Hier gibt es keinen Gott. Die Welt hat nichts mit Gott zu tun, gar nichts.“
„Vor einigen Tagen dachte ich, jetzt sterbe ich – gerade – vielleicht. Möglich. Wieso nicht. Einfach so, ohne meine Pläne verwirklicht zu haben. Ohne heilig geworden zu sein, ohne die Menschen gerettet zu haben, ohne das Licht auf die Welt gebracht zu haben.“
„Ich frage mich, ob es noch was zum Planen gibt. Ich wüsste jetzt nicht einmal, wie ich leben will. Das Bild eines alten Klosters in China kommt mir in den Sinn, altes Holz, Zeit, Stille, Sinn. Wasser selber holen, wenig Essen. Die kühle und frische Luft am Morgen, das leise Rascheln der rot gefärbten Ahornblätter. Bisschen die Terrasse fegen. Tee aufsetzen. Da sein, nichts mehr müssen oder darstellen. Pures Sein. Gibt es das überhaupt? Keine Schmerzen im Körper, er hat sich der Seele angepasst und ist zufrieden. Wie selbstverständlich fühlt sich Gesundsein an, wie irre sorglos geht man damit um.“
„Der Arzt sagt, ich müsste mit weiteren Tumorherden rechnen, vielleicht auch noch in den Organen. Wie lebt man weiter mit so einer Aussage? Da braucht man Gott. Ich bin da viel zu klein und schwach. Rainer sagt, du musst deinen Krebs lieben. Ich finde das sehr viel verlangt. Aber ich komme nicht aus dem Spiel. Ich stecke drin, no way out, keine Geheimtür. Schritt für Schritt. I do it my way.“
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