Jüdisches Leben in der Ohmstraße: Wo die Vergangenheit lebendig wird
München - In der 350 Meter langen Ohmstraße in Schwabing - zwischen dem Englischen Garten und der Leopoldstraße - lebten in der Zeit des Nationalsozialismus knapp 200 jüdische Menschen. Doch über ihr Leben ist kaum etwas bekannt. Ein Projekt, das ein Münchner Unternehmer angestoßen hat, soll das ändern.
Über viele Monate hinweg werden sich dabei die heutigen Bewohner der Vergangenheit ihrer Straße widmen. Die Biografien sämtlicher Menschen, die zwischen 1933 und 1945 in der Ohmstraße lebten, sollen die Anwohner dabei mit Anleitung von Historikern aufarbeiten.
Es geht nicht um die besonderen Biografien, sondern um ein Andenken eines jeden
Die Ergebnisse dieser angeleiteten Recherche, der Workshops und der Verschriftlichung von Lebensläufen sollen dann in Form einer Webseite, eines Druckwerks und einer Ausstellung einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Auch Schüler des Oskar-von-Miller-Gymnasiums werden Kontext zu der Zeit und zum Ort beitragen. Angelegt ist das Ganze über viele Monate hinweg.
So erklärt der Initiator das Projekt. Er erhofft sich davon ein einmaliges bürgerschaftliches Engagement: "Es soll maximal vieler gedacht werden. Es geht nicht um die besonderen Biografien, sondern um ein Andenken eines jeden, deren Lebenspläne und -träume jäh endeten und die in der Folge aus dem Straßenbild der Ohmstraße verschwunden sind."
In der Ohmstraße lebten 200 jüdische Menschen
Eine erste Recherche des Historiker-Büros "Neumann & Kamp" ergab, dass um die 200 jüdische Menschen in der Ohmstraße lebten. Ob das im Vergleich zu anderen Münchner Straßen besonders viele sind, ist allerdings noch nicht bekannt. "Wir glauben eher, dass unter vielen Steinen und in vielen Münchner Straßen jüdische Geschichte verborgen ist, die immer noch darauf wartet, entdeckt und erzählt zu werden. Vielleicht können wir ja andere hiermit ermutigen", sagt der Initiator des Projekts.
Der ersten drei NS-Opfer gedenkt die Stadt allerdings schon heute: Für Irma Hecht, Eugen Doernberger und Hermann Raff werden am Nachmittag sogenannte Erinnerungszeichen an der Ohmstraße 13 übergeben. Diese werden seit 2018 an Orten angebracht, an denen Menschen lebten, die von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet wurden.
Das steckt hinter den Erinnerungszeichen
Die Erinnerungszeichen bestehen aus gebürstetem Edelstahl und sind vergoldet. Es gibt sie in zwei Ausführungen - als Wandtafeln an der Fassade und als Stelen auf öffentlichem Grund.
Sie enthalten die wichtigsten Lebensdaten, Angaben zum Schicksal und - falls vorhanden - ein Bild. Durch die gelochte Oberfläche können die Informationen auch ertastet werden.
Die Zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) und Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, sprechen aus diesem Anlass um 15 Uhr bei einer Gedenkveranstaltung im Café Reitschule.
Der Jurist Hermann Raff

Hermann Raff wurde 1868 in Göppingen geboren. Seine Eltern waren Fabrikanten. Raff studierte in München und Erlangen Jura und spezialisierte sich auf Handels- und Grundstücksrecht. 1900 heiratete er Katharina Siegel, die keine Jüdin war. Um der andauernden Verfolgung in München durch die Nazis zu entgehen, zog das Paar 1936 nach Füssen. Während der Pogromnacht vom 9. November 1938 konnte sich Hermann Raff in der Nähe von Kreuth verstecken und entging dadurch einer Verhaftung. Wegen seiner Ehe mit einer nichtjüdischen Frau wurde er nicht deportiert, doch der permanente Verfolgungsdruck setzte ihm gesundheitlich stark zu. Er starb am 29. September 1943 in Füssen
Die Wissenschaftlerin Irma Hecht

Irma Hecht kam 1885 in Nürnberg zur Welt. Wenige Wochen vor ihrem 16. Geburtstag zog sie nach München, hier besuchte sie das Gymnasium und die Universität. Danach arbeitete sie als Privatlehrerin für alte Sprachen und als wissenschaftliche Hilfskraft. Ihre jüngere Schwester Emmy emigrierte 1940 nach New York, wo sie bis zu ihrem Tod 1971 lebte. Irma Hecht blieb in München, von hier wurde sie am 20. November 1941 nach Kaunas deportiert und dort am 25. November 1941 ermordet.
Der Arzt Eugen Doernberger
Eugen Doernberger wurde 1867 in München geboren und studierte hier Medizin. Mit seiner Frau Emilie hatte er zwei Söhne. Doernberger arbeitete im Ersten Weltkrieg als Schiffsarzt und versorgte während der Kämpfe um die Räterepublik in München 1919 Verwundete. Später war er als Arzt für das Schul- und Gesundheitsamt sowie in der Sozialarbeit der Israelitischen Kultusgemeinde tätig. Doernberger starb am 21. März 1938 in München, seine Witwe konnte zu ihrem Sohn nach Montevideo emigrieren.