Jahresabschluss der Stadt: München macht Miese

2015 hat die Stadt erstmals 323 Millionen Euro mehr ausgegeben, als eingenommen – und damit die Reserven angegriffen. Trotz Rekordeinnahmen.
von  Irene Kleber
210 Millionen Euro: Insgesamt 1,5 Milliarden Euro hat München 2015 neben den laufenden Verwaltungskosten investiert. Ein großer Batzen ging in den Wohnungsbau.
210 Millionen Euro: Insgesamt 1,5 Milliarden Euro hat München 2015 neben den laufenden Verwaltungskosten investiert. Ein großer Batzen ging in den Wohnungsbau. © LH München, Michael Nagy

München - Kein Gewinner-Lächeln diesmal, wie all die Jahre zuvor. Als Ernst Wolowicz am Dienstagvormittag seinen Kämmerei-Konferenzraum 109 im Münchner Rathaus betritt, gibt er seinem Vornamen ein Gesicht. Ernst drückt er die Lippen zusammen. Verschränkt die Hände vor dem Anzuggürtel. Atmet tief ein. Der Kämmerer ist besorgt.

Zum ersten Mal in seiner zwölfjährigen Amtszeit muss er beim bislang stets munteren Traditionstermin nach der Sommerpause, bei dem er mit seinem "Jahresabschluss" Rückschau hielt zur prächtigen Finanzlage Münchens, eingestehen: Es ist vorbei. Es bleibt kein Geld mehr übrig.

München macht Miese, seit dem vergangenen Jahr. Über 323 Millionen Euro an Zuviel-Ausgaben hat Wolowicz von der eisern weggelegten Notfall-Reserve der Stadt abknapsen müssen. Mehr als die Hälfte der rund 500 Millionen auf der Hohen Kante, die sich für Notfälle flüssig machen lassen. Und schlimmer noch: München wird unausweichlich weiter Miese machen. Heuer. Und nächstes Jahr. Und spätestens dann wird wohl ein heißes Thema auf den Tisch kommen: das Schuldenmachen.

Lesen Sie hier: Ist der Übertritt in Bayerns Grundschulen verfassungswidrig?

Was ist passiert? Das Absurde der Situation ist dies: Schon wieder hat München im vergangenen Jahr Rekordsummen eingenommen. Konkret: Fantastische 6,17 Milliarden Euro (356 Millionen mehr als 2014).

Weil aber jedes Jahr 25.000 Neubürger zuziehen, weil es Wohnungen braucht und Schulen und Kitas und Straßen und Personal in der Verwaltung und jede Menge Hilfe für Bedürftige, sind die Ausgaben 2015 sprunghaft gestiegen. Auf 6,5 Milliarden Euro – und damit mehr, als es auf der Einnahmenseite gab.

Bereits im letzten Herbst hatte der Kämmerer Alarm geschlagen und den Haushalt zurückgezogen – als er merkte, dass die Kosten aus dem Ruder laufen. Die Stadträte verordneten sich zwischenzeitlich einen Ausgaben-Stopp, an vielen Kosten ist aber einfach nicht zu rütteln.

Woher genau sprudeln die Einnahmen? Den Löwenanteil zahlen die Münchner Unternehmen über die Gewerbesteuer, die 2,455 Milliarden Euro eingebracht hat. Aus der Einkommensteuer klimperte eine Milliarde ins Stadtsäckel, weitere Millionen aus der Hunde-, Zweitwohnungs-, Grundsteuer und mehr.

Problematisch ist, dass nur 15.000 der 95.000 Münchner Unternehmen Gewerbesteuer zahlen, und 40 Prozent der Gesamtsumme von nur zehn großen Firmen stammen. "Wenn nur eine davon in finanzielle Schwierigkeiten kommt und weniger überweist, werden wir das empfindlich spüren", sagt der Kämmerer.

Lesen Sie hier: Für die Familie - Mechthilde Wittmann verzichtet auf Kandidatur

Wohin fließt das ganze Geld? Allein die laufende Verwaltung hat 5,3 Milliarden verschlungen (plus 568 Millionen). Fast drei Viertel davon gingen in die Sozialhilfe, Jugendhilfe und in Personalgehälter. Für Flüchtlinge hat München 335 Millionen ausgegeben, 287 Millionen aber bekommt die Stadt von Freistaat und Bezirk zurück. Und freilich hat München kräftig investiert: 1,4 Milliarden Euro – fast doppelt so viel wie im Vorjahr. Vor allem in den Schulbau, Wohnungsbau, Kitas, Verkehr und den Ankauf von Flächen, die bebaut werden sollen. "Wir haben Grundstücke gekauft und wir haben gebaut wie die Weltmeister", sagt Ernst Wolowicz. "Der Investitionsbedarf der Stadt ist gewaltig. Dass wir jetzt soweit sind, von der Hohen Kante zu leben, ist eine sehr bedenkliche Entwicklung."

Was ist die Prognose? Auch für den Kämmerer ist es schwer, vorauszuschauen, was kommt. "Keiner weiß, wann die nächste Finanzkrise kommt." Klar ist aber: "Es gibt weiter Investitionsbedarf, für Wohnungen, für Personal. Aber ich kann nur warnen, genau abzuwägen, wohin das Geld fließen soll." Heuer wird das Restgeld auf der Hohen Kante vielleicht knapp reichen, neue Zuviel-Kosten zu decken. 2017, spätestens 2018 nicht mehr. Dann bleibt nur Schulden zu machen.

Bis letztes Jahr hat München alte Schulden abgebaut. 814 Millionen Euro sind es noch (von 3,4 Milliarden, die es vor zehn Jahren waren). Legt man dieses Geld statistisch auf die Münchner Bürger um, schuldet jeder nur 536 Euro – das ist minimal im Vergleich zu anderen Städten wie Berlin oder Köln. Noch.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.