"Jahr des Aufbruchs" für die Zweite Stammstrecke: Mega-Projekt in München geht in entscheidende Phase
München - Appetit machen wollte die Deutsche Bahn den Münchnern auf die schöne neue Nahverkehrswelt nach Fertigstellung der zweiten S-Bahn-Stammstrecke. 2024 werde "ein Jahr des Aufbruchs", sagte Gesamtprojektleiter Kai Kruschinski-Wüst.
Mit dem "weltweit einzigartigen" Verkehrsprojekt werde die bayerische Landeshauptstadt "grüner, gesünder und lebenswerter." Grund der optimistischen Zwischenbilanz: Ende 2023 besteht für die komplette etwa zehn Kilometer neue Neubaustrecke Baurecht. Schneller fertig oder billiger wird das von Anfang an umstrittene Projekt trotzdem nicht. Es bleibt bei der letzten Schätzung, wonach frühestens 2035 die ersten Züge durch den neuen Tunnel unter der City rollen werden. Es könnte aber auch 2037 werden, sollten sich beim Tunnelbohren unter der geologisch schwierigen Isarmetropole Probleme einstellen.
Die Kosten für die Zweite Stammstrecke in München: Dreimal so viel wie ursprünglich angenommen
Die Bahn hält an ihrer Prognose fest, wonach das Bauwerk sieben Milliarden Euro "plus Preissteigerungen" verschlingen wird. Das dürfte sich am Ende auf acht Milliarden Euro summieren – gut dreimal so viel wie ursprünglich angenommen. Immerhin: Im aktuellen Kostenvorschlag seien 1,5 Milliarden als "Puffer" eingeplant, sagte Kruschinski-Wüst.
Die Kunde von der Preisexplosion und der eklatanten Verschiebung der Fertigstellung um neun Jahre oder noch länger löste in der Landespolitik Entsetzen aus. Es folgte ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss im Bayerischen Landtag, bei dem die Bahn und das Management von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nicht gut wegkamen. Teilweise wurden Baustopp und Rückbau gefordert.
Doch zu einer Bauruine soll es nicht kommen. Seit dem Spatenstich 2017 fressen sich mehrere Großbaustellen meist in die Tiefe. Eine am Hauptbahnhof, dessen restliche alte Baubestandteile 2024 endgültig platt gemacht werden sollen, und am Marienhof im Herzen der Stadt. Insbesondere der Hauptbahnhof stellt eine der komplexesten Baustellen der Baugeschichte dar.
Zweite Stammstrecke: Am Marienhof in München entsteht eine unterirdische Kathedrale
Unter dem Hauptbahnhof entstehen neben der bestehenden alten S-Bahn-Strecke sowie zwei U-Bahnhöfen ein weiterer S-Bahnhof sowie ein Vorhaltebauwerk für eine später geplante weitere U-Bahnlinie. Auf ihren schönen neuen Bahnhof müssen Münchner und Reisende noch ebenso lange warten wie auf die neue S-Bahnstrecke, also mindestens elf Jahre. Bis dahin wird eine Einschränkung nach der anderen zugemutet, unter anderem der mehrstufige Abriss des Dachs oberhalb des Querbahnsteigs.
Der Betrieb im größten Bahnhof des Freistaats muss dabei aufrecht erhalten werden. Die geplanten neuen S-Bahnhöfe liegen bis zu 40 Meter tief, die Schienen erreichen sogar 48 Meter unter Oberflächenniveau. Am Marienhof entsteht eine unterirdische Kathedrale, die um ein Viertel größer ist als der Innenraum des Frauendoms.
Frühestens 2035 rollt der erste Zug durch die Röhre
In den nächsten Jahren sollen die Tunnel zwischen den Stationen gebohrt werden, mit eigens konstruierten Tunnelbohrmaschinen. Mit dem gleichzeitigen Bohren von West nach Ost und von Ost nach West beginnt die wohl kritischste Phase des Projekts, zumal auch die Isar unterbuddelt werden muss. Eines weiß man schon: Der Münchener Untergrund ist tückisch.
Durch eine "optimierte Planung" im Ostteil der Strecke hat es die Bahn sich selbst und den Baustellen-Anwohnern etwas leichter gemacht. Etliche Rettungsschächte und damit Baubelästigungen entfallen. So hat sich die Zahl der Einwände beim nun abgeschlossenen Planfeststellungsverfahren für den Ostabschnitt von 4000 auf deutlich unter 100 reduziert. Kruschinski-Wüst folgert, dass die Münchner das Projekt nach anfänglicher Ablehnung nun "sehr stark akzeptieren".
Trotz aller Zuversicht dürfte es zu weiteren Kontroversen kommen. CSU-Landtagsabgeordneter Jürgen Baumgärtner befürchtet, dass acht Milliarden Euro an Baukosten und der Fertigstellungstermin 2035 bis 2037 nicht das Ende der Fahnenstange darstellen. Gegenüber der "SZ" forderte er Konventionalstrafen von einer viertel Milliarde Euro, welche die Bahn für jedes Jahr Verspätung zahlen soll.