Isarphilharmonie in München: Juwel in schlechter Fassung

Der Interimsgasteig HP8 ist ein gelungenes neues Kulturzentrum. Aber es ist nicht nur schlecht an den öffentlichen Nahverkehr angebunden. Es hapert am gesamten Drumrum.
Adrian Prechtel
Adrian Prechtel
|
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
8  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Den Blick kennen regelmäßige Besucher des Gasteig HP8, denn nicht nur an dieser Kreuzung wartet man ziemlich lange auf grünes Licht.
Den Blick kennen regelmäßige Besucher des Gasteig HP8, denn nicht nur an dieser Kreuzung wartet man ziemlich lange auf grünes Licht. © gmp Architekten/Gasteig

München - Als im Oktober das neue HP8 in der Hans-Preißinger-Straße 8, aber eigentlich Brudermühl- Ecke Schäftlarnstraße, eröffnet wurde, waren alle stolz und glücklich: ein neues Kulturzentrum für etwas über 70 Millionen Euro, gebaut in nur anderthalb Jahren und sofort von allen ästhetisch gelobt - inklusive der Akustik der Isarphilharmonie. Alles wunderbar? Ja, außer man will sich als Besucher diesem neuen Kulturjuwel in Sendling beim Flaucher nähern. Denn über den Grundstücksrand hat man nicht hinausgeschaut.

Isarphilharmonie: Wer öffentlich kommt, stößt schnell auf Probleme

Natürlich liegt das HP8 im Unterschied zum Gasteig nicht an der S-Bahn-Stammstrecke, sondern etwas an der südlichen Peripherie Münchens. Als Massenverkehrsmittel kommt also nur die U3 Haltestelle Brudermühlstraße plus fünf Minuten Fußweg in Frage. Die U3 verkehrt ab 19 Uhr aber nur noch alle zehn Minuten. Dass ab 14. März für drei Monate die U3 zwischen Implerstraße und Goetheplatz wegen Bauarbeiten auf Schienenersatzverkehr - also Busse - umstellt, ist ärgerlich, aber unvermeidlich.

"Zu ausgewählten Veranstaltungen mit hoher Besucherzahl im Gasteig HP8 verkehren bereits Verstärkerzüge bei der U-Bahn", sagt Johannes Boos, Pressesprecher der MVG zum gegenwärtigen Zustand. "Einen Bedarf für eine weitere Verdichtung des Takts sehen wir nicht."

Erreichbarkeit der Isarphilharmonie: Verstärkte Nutzung der Busse könnte helfen

Also wird man verstärkt Busse nutzen müssen. Wie den Expressbus X30, der die Haltestelle "Schäftlarnstraße / HP8" in nur 6 Minuten mit dem Harras (S 7 und U6) verbindet. Und in die andere Richtung in nur einer Viertelstunde bis zum Ostbahnhof (über Candidplatz U1 und Silberhornstraße U2) und weiter zum Arabellapark.

Eine gut vernetzte, schnelle Lösung? Leider verkehrt diese Linie nur bis 22 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt setzt in den meisten Konzerten der Schlussapplaus ein. Eine Zugabe darf aber niemand mehr spielen, und die Garderobe ist auch noch nicht abgeholt. Und sonntags gibt es den X30 gar nicht.

MVG sieht keinen Handlungsbedarf

"Auch für eine Verlängerung des Betriebs des Expressbusses X30 gibt es aus unserer Sicht keinen Anlass", sagt Johannes Boos von der MVG, und: "Die wichtigsten Ziele sind auch mit dem parallel verkehrenden MetroBus 54 gut erreichbar." Der braucht allerdings mindestens 20 Minuten bis zum nächsten Anschluss an die S-Bahn-Stammstrecke am Ostbahnhof, weil er auf engen Straßen Giesing durchquert.

Das Referat für Arbeit und Wirtschaft steuert eine Million jährlich für die bessere Anbindung des HP8 bei. "Ob so eine Summe reicht oder erhöht werden muss, darüber entscheidet letztlich der Stadtrat, und dann muss mit der MVG verhandelt werden, ob eine weitere Taktverdichtung bei der U3 möglich ist oder der X30 über 22 Uhr hinaus verlängert werden kann", erklärt Markus Lutz, Bezirksausschussvorsitzender in Sendling.

Aktuelle Corona-Situation schafft Erleichterung

Er kennt aber die bisher ablehnende Haltung der MVG. Zur Zeit - bei einer erlaubten Auslastung der Isarphilharmonie von nur 25 Prozent - seien die Probleme natürlich geringer. Aber man sollte die Zeit bis zum womöglich bald einsetzenden Normalbetrieb nutzen, findet der Kommunalpolitiker der SPD.

Bleibt noch der Bus 54, der im 10-Minutentakt auch spätabends noch den Harras in wenigen Minuten ansteuert. Wer nach Konzertende - bei voll besetztem Konzertsaal - sich aber einmal mit 200 Konzertgängern an der Bushaltestelle Schäftlarnstraße befunden hat, erlebt ein Hauen und Stechen auf engstem Raum. Manchmal müssen zwei Busse abgewartet werden, bis man überhaupt einsteigen kann.

Koordination HP8 und MVG: Gute Ausschilderung wäre auch sinnvoll

In der Gegenrichtung ist es nicht viel besser. Dass der Bus dann bis zum Ostbahnhof über Candidplatz und Giesing-Bahnhof 22 Minuten braucht, ist dann schon o.k.. "Wenigstens hat die MVG den Bus 153 jetzt als Verstärkung eingesetzt", sagt Markus Lutz.

Und noch eine kleine Schlussbemerkung, was die Koordination HP8 und MVG anbelangt: Das marode Deutsche Museum hat es geschafft, das neue HP8 nicht: Wer auf der S-Bahn-Stammstrecke am Isartor ankommt, wird noch im Waggon darauf hingewiesen - sogar zusätzlich auf Englisch: "Ausstieg zum Deutschen Museum".

Wer an der Brudermühlstraße mit der U-Bahn ankommt, erfährt nicht, dass sich hier - zumindest für die kommenden fünf Jahre - das große neue kulturelle Herz der Stadt befindet. Keine Ansage und nur eine lächerlich kleine Beschilderung am Bahnsteig. Warum nutzt man hier nicht die Schaukästen oder gar Plakatwände, um auf das neue Schmuckstück hinzuweisen?

Der Fußgänger als Freiwild 

Übrigens hat man es vom U-Bahnhof Brudermühlstraße zum neuen Kulturzentrum HP8 ungefähr noch genauso weit, wie der Deutsche-Museums-Besucher vom Isartor - nämlich gute 300 Meter. Womit man beim nächsten Problem landet:

Dass der (Geh-)Weg von der U-Bahn die Brudermühlstraße schmucklos und unbeschildert ist, kann man als normal natürlich hinnehmen. Der Bürgersteig an der Großmarkthalle oder dem Kraftwerk-Süd entlang ist eine schlecht ausgeleuchtete, düstere Katastrophe, die vor allem ältere Besucher abschrecken dürfte.

Keine Parkplätze rund um die Isarphilharmonie: Das Auto im Niemandsland und ein Pendelbus

Die Kreuzung Schäftlarn- und Brudermühlstraße am Gasteig HP 8 ist ein klassisches Relikt der Planung einer "autogerechten Stadt". Die Querung als Fußgänger Nord-Süd ist auf dem Deckel des Mittleren Rings nur in zwei Ampelschaltungen möglich. Die Einmündung Schäftlarn- in die Brudermühlstraße ist - inklusive Parkspur - sechs Autospuren breit, die man bei Grün hastig zum HP8 hin überqueren muss. An dieser Teerwüste wurde nichts geändert, sie ist ein unwürdiges Entrée zum Haupteingang des HP8. Bliebe die Ankunft mit dem Auto:

Parkplätze gibt es rund um das HP8 - keine. "Das haben wir auch sofort gemerkt, weil Anwohner sich beschwert haben, dass da alles wild und illegal zugeparkt wird und Strafzettel in Kauf genommen werden", sagt Markus Lutz: "Das wurde dem Mobilitätsreferat auch immer mitgeteilt und vorgeschlagen die Schäftlarnstraße vor dem Heizkraftwerk Süd noch nach 18 Uhr eine Fahrspur zur Parkspur zu machen." Passiert ist freilich - nichts.

Radlstellplätze bringen Rentnern nur wenig

Dafür wurde als HP8-Parkmöglichkeit eine Halle auf dem benachbarten Blumengroßmarkt auserkoren, die tagsüber dem Anlieferverkehr dient und abends für HP8-Besucher geöffnet ist. Allerdings für eine wenig attraktive Parkgebühr von 10 Euro - und relativ weit weg, weshalb ein Shuttlebus (im Preis inklusive) die Besucher die rund 350 Meter zum Kulturzentrum kutschiert.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Optimal ist anders - ebenso wie der entbehrliche Hinweis auf der HP8-Homepage, man möge doch "noch besser" mit dem "Rad entlang der Isar" kommen und einen der 200 Radlstellplätze am HP8 nutzen. Die sehr vielen älteren Besucher werden sicherlich eines nicht tun: nämlich genau das.

Ein kleines Corona-Problem

Neben den großen Problemen der Corona-Beschränkungen im Kulturbereich hat das HP8 auch noch ein kleines Corona-Problem. Denn während bei Kulturveranstaltungen 2G plus gilt, kann man die Stadtbibliothek und das Café normal mit nur 2G besuchen. Außer es findet gerade im Haus irgendwo eine Kulturveranstaltung statt. Dann wird man ohne Test oder Boosterung am Eingang abgelehnt, auch wenn man nur ein Buch anschauen wollte. Aber dieses Problem wird die Zeit heilen, wenn Corona abgeklungen ist.

Die anderen Probleme alle nicht. Dazu müsste man sich jetzt zusammensetzen und Druck auf MVG und Planungsreferat ausüben und natürlich Geld in die Hand nehmen. Am Gasteig selbst liegt es nicht: Die Verantwortlichen um den Geschäftsführer Max Wagner kennen das Problem der Verkehrsanbindung und haben es in vielen Gesprächen mit der MVG auch kommuniziert.

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
8 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
  • gast100 am 20.01.2022 09:58 Uhr / Bewertung:

    Darüber wurde doch schon während der Standortauswahl diskutiert.
    Da währe die grüne Wiese noch besser gewesen.

  • Peergynt am 20.01.2022 00:11 Uhr / Bewertung:

    Andere Lösung: Sonderschnellbusse zum Hauptbahnhof und zum Ostbahnhof. Wie vor Jahren in der damals völlig abgelegenen Berliner Philharmonie.
    Wer organisiert und wer bezahlt eigentlich den Abtransport von der Allianz-Arena???

  • Peergynt am 20.01.2022 00:07 Uhr / Bewertung:

    Das heutige Konzert endete um 22Uhr 20. Ab 22:30 ist die nächsten Wochen der Verkehr auf der S-Bahn-Stammstrecke sehr eingeschränkt. An der Bushaltestelle vor HP8 sind die Unterstellmöglichkeiten sehr begrenzt. Schon gar nicht bei einer 100% Auslastung, wenn man - eigene Erfahrung - DREI Busse (10 Minutentakt Richtung Ostbahnhof) abwarten muss, um überhaupt mitgenommen zu werden: einmal fuhr ein Bus wegen Überfüllung mehrere Minuten lang nicht los, weil die, die es in den Bus geschafft hatten, nicht in ausreichender Anzahl wieder ausstiegen! Leute aus dem S-Bahn-Bereich werden m.E. bald ihre Abos kündigen.
    Da die MVG zwar das Geld für die Nutzung der Eintrittskarten als MVV- Schein einstreicht, aber offenbar nicht zu einer Lösung des Problems bereit ist, bleibt m.E. nur folgende Lösung: Die Konzerte beginnen spätestens um 19:30, besser um 19 Uhr (in der Oper geht das ja auch) ; samstags um 18 Uhr; sonntags und/oder samstags Konzerte auch um 15 Uhr.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.