Interview zur Architektur-Debatte: Baut München wirklich nur noch hässlich?

Brave Architekten, staubige Kommissionen oder doch die Bürger - wer gestaltet nun eigentlich die Stadt? Ein AZ-Interview mit Christine Degenhart, der Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer.
von  Anja Perkuhn
Das "gezähmte Haus": An diesem Entwurf für ein Gebäude in der Ridlerstraße am Heimranplatz entzündete sich in der vorigen Woche eine Debatte darüber, wie mutig Architektur sein sollte. Die Architekten mussten den Entwurf anpassen und abschwächen. Kleines Bild: Christine Degenhart, Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer.
Das "gezähmte Haus": An diesem Entwurf für ein Gebäude in der Ridlerstraße am Heimranplatz entzündete sich in der vorigen Woche eine Debatte darüber, wie mutig Architektur sein sollte. Die Architekten mussten den Entwurf anpassen und abschwächen. Kleines Bild: Christine Degenhart, Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer. © Ochs Schmidhuber Architekten, privat

Brave Architekten, staubige Kommissionen oder doch die Bürger - wer gestaltet nun eigentlich die Stadt? Ein AZ -Interview mit Christine Degenhart, der Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer.

München - Sind alle Neubauten in München nur "architektonischer Einheitsbrei" und die Stadtplaner unkreativ, wie CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl kürzlich polterte? Christine Degenhart, Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer, diskutiert das am Donnerstag mit ihm im Presseclub (18 Uhr, Marienplatz 22) - und hat vorher mit der AZ über schöne Architektur gesprochen.

AZ: Frau Degenhart, wie finden Sie denn das Haus, in dem die Architektenkammer sitzt?
CHRISTINE DEGENHART: Das ist sensationell! Wir haben hier einen Gebäudedialog zwischen einem Haus aus den Anfängen des letzten Jahrhunderts und einem sehr modernen Bau. Sie könnten sich gar nicht mehr voneinander unterscheiden. Sie eint aber: Beide sind gestalterisch gelungen.

Oh, ich dachte, der Grundsatz der Architektenkammer ist, dass sie sich nicht zu einzelnen Gebäuden äußert?
Bei dem geht das schon. Das Problem ist: Es wird momentan sehr hart ins Gericht gegangen mit einzelnen Entwürfen. Und zu denen sage ich tatsächlich nichts. Es wird ohnehin zu viel über Neubauten geredet und dabei das Thema Bestand vergessen.

Weil Bestandsbauten nicht so wirken, als würden sie das Problem Wohnungsknappheit lösen.
Oh, es gibt sicher Bestandsbauten, die einen Beitrag leisten können! Es stimmt schon: Oft sind gerade die aus energetischer Sicht oder unter dem Aspekt der Barrierefreiheit nicht mehr so leicht anpassbar oder flexibel nutzbar. Aber ein besonderer Teil des Gebäudebestands wird von Baudenkmälern definiert. Die sind nicht selten wichtige Identifikationspunkte einer Stadt.

Hat Sie das wütend gemacht, dass Stadtrat Pretzl über den architektonischen "Einheitsbrei" in München meckerte?
Wenn jemand sagt, Architektur sei langweilig, ist das eine Sache - und immer eine persönliche Einschätzung, die ich nicht infrage stellen möchte. Das respektiere ich. Wenn man aber einen Rundumschlag gegen die Architekten ausführt, wird es schwieriger.

Also haben Sie mit den Zähnen geknirscht?
Sie meinen, ob ich die Meinung teile? Ich kann mir vorstellen, dass man sich an der einen oder anderen Stelle etwas mehr Abwechslung wünschen würde. Man sollte aber auch darüber nachdenken: Wie viele Highlights braucht eine Stadt? Und: Ist das Wohngebäude eine geeignete Typologie, um zum Highlight zu werden?

Architektur: "Es gibt immer einen übergeordneten Plan"

Weil es erstmal eine Funktion erfüllen muss und eben nicht der Eiffelturm ist?
Da wurden meiner Ansicht nach von Herrn Pretzl eher Äpfel mit Birnen verglichen: Die BMW-Welt, die er als gutes Beispiel nannte, ist ein spektakuläres Bauwerk. Aber eben kein Wohngebäude. Und der inflationäre Gebrauch von spektakulärer Architektur würde uns wahrscheinlich auch nicht weiterhelfen.

Sind Münchner Architekten brav oder lässt man sie bei Neubauten nicht so machen, wie sie gern würden?
Ist die neuere Architektur denn so brav? Ein schönes Beispiel dagegen sind die genossenschaftlichen Bauten, die ja auch vielfach ausgezeichnet wurden. Konzepte mit Dachterrassen und Mietergärten. Viele gelungene Projekte von Architekten, Stadtplanern, Landschaftsarchitekten und Innenarchitekten können übrigens jedes Jahr auch bei den Architektouren besichtigt werden. Da wird Qualität geschaffen, die nachhaltig ist und von den Bürgern mitgetragen wird. Und das ist etwas, das man immer wieder in den Vordergrund rücken muss.

Beim schachtelig-verdrehten Gebäude in der Ridlerstraße waren die Architekten mutig - und dann kam die Kommission für Stadtgestaltung und sie mussten den Entwurf entschärfen. Ist das sinnvoll, dass eine Kommission auf diese Art das letzte Wort hat?
Kommissionen wie diese sind sinnvoll, eben weil sie beratend tätig sind, weil sie eine fachliche Expertise zur Verfügung stellen, weil dort Experten aus der Stadt und von außerhalb tätig sind. Als Kammer bieten wir den Kommunen aber auch Hilfe bei der Einrichtung von temporären Gestaltungsbeiräten mit unabhängigen Experten an. In München gibt es eben die Kommission, die eine sehr respektable und ehrwürdige Tradition hat. Man kann nicht sagen, dass die mal was Schlechtes gemacht hat.

Ehrwürdig klingt angestaubt.
Darüber diskutieren Herr Pretzl und ich sicher noch im Presseclub - denn es ist ja auch die Frage, was der Stadtrat aus dieser Kommission macht, wo er damit hinwill.

Haben Sie in München zuletzt geordnete Architektur-"Strömungen" beobachtet?
In der Architektur fällt ja nichts vom Himmel. Es gibt immer einen übergeordneten Plan. Denken Sie ans 19. Jahrhundert, wo die Maxvorstadt als erste große Stadterweiterung geplant wurde. Sehr sorgfältig geplant wurde.

Also sehen wir nur den großen Plan nicht, wenn wir das Gefühl haben, München wäre gerade Kraut und Rüben?
Sie sehen Kraut und Rüben?

Der Eindruck kann schon entstehen, wenn man sieht, wie die Stadt unter dem Druck der Zuzüge dringend Freiflächen sucht und dort schnell viel Wohnraum hochzieht.
Die übergeordneten Ziele spürt man in den Vierteln. Es wurden große Quartiere überplant wie das neu entstehende Freiham. Ausgangspunkt waren städtebauliche Realisierungswettbewerbe. Auf dieser Basis entstanden dann weiter die einzelnen Gebäude, die ihrerseits eine eigene Charakteristik, eine Dynamik entwickeln. Als Architekt kann man frech und mutig sein - oder sinnvoll zurückhaltend, was nicht gleich langweilig heißt. Da steht aber immer ein größeres Drehbuch im Hintergrund. Es schießt hier nichts einfach wie ein Pilz aus dem Boden.

Stadtbild: Die Bürger müssen sich einbringen

Wer hat denn am meisten Einfluss auf das gestalterische Gesicht der Stadt?
Zunächst natürlich die Geschichte, denn der Bestand gibt schon sehr viel vor. Man kann nicht häufig in einer Stadtgeschichte so agieren wie König Max I. das konnte oder wie man das jetzt in Freiham tut. Auch die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs in der Stadt oder die Olympischen Spiele hatten einen großen Einfluss auf die Stadt.

Und in der Gegenwart?
Heute ist Bauen eine Gemeinschaftsaufgabe von Bauherren, Stadt, Verwaltung, Politik und Bürgern. Und natürlich bewegen auch außergewöhnliche Ereignisse wie die Flüchtlingskrise eine Stadt dazu, auch mal in größeren Räumen experimentell zu arbeiten.

Sie meinen, die Häuser über dem Parkplatz am Dantebad? Die hätte man ohne Not also nicht so gebaut?
Wahrscheinlich nicht.

Die Bürger sehen Sie aber weit vorne in der Einfluss-Kette.
Ja, weil Bauen eine Gemeinschaftsaufgabe ist. Aber auch alle anderen Beteiligten, wie Stadtrat und Bezirksausschüsse, sind wichtig. Bürger müssen zum Beispiel in Bebauungsplanverfahren schon von Gesetzes wegen eingebunden werden. Wichtig ist auf jeden Fall, dass dieses Angebot der Beteiligung von den Bürgern auch wahrgenommen wird.

Sind Bürger da zu faul?
Das ist ein bisschen harsch. Vielleicht ist vielen nicht klar, wie leicht sie sich informieren können. Die Sitzungen der Stadtgestaltungskommission zum Beispiel sind öffentlich. Oder auch das neue Viertel Freiham. Da sieht man, wie Bürgerbeteiligung positiv gehandhabt werden kann. Dort beteiligen sich Bürgerinnen und Bürger und diskutieren, wie ihre Stadt von morgen aussehen soll. Und das auch im Interesse von Menschen, die später erst zuziehen werden. Die sind ein gutes Beispiel.

Das ist aber viel verlangt von jemandem, der 40 Stunden pro Woche arbeitet und das Problem hat, dass sein Kind keinen Kitaplatz bekommt.
Man hat natürlich auch seine Volksvertreter für genau solche Aufgaben. Aber es ist wirklich zu empfehlen, sich mit den Dingen auseinanderzusetzen, die im eigenen Umfeld geschehen. Liebe Bürger: Bitte nehmt das Angebot an, euch an diesen Prozessen zu beteiligen!

Wie sieht eine gute, schöne Stadt Ihrer Ansicht nach aus?
Auf diese Frage gibt es natürlich keine eindeutige Antwort. Eine Stadt lebt durch die unterschiedlichen Charakteristika, die Stadtviertel anbieten können, und den unterschiedlichen Bedürfnissen ihrer Bewohner. Aber bei aller Nachverdichtung brauchen wir alle eine weiterhin gut mit Grün, generell mit Freiflächen durchzogene Stadt. Sie muss Raum bieten für Begegnung und Erholung.

Die Berge quasi direkt vor der Tür reichen nicht?
Auch das Umland stößt langsam an die Grenzen seiner Kapazitäten: Alle wollen in die Berge. Man muss den Menschen ermöglichen, dass sie auch in ihrer Stadt den Wechsel zwischen Wohnen, Arbeit und Freizeit genießen können. Ich gönne es allen.

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