Oberbürgermeister Dieter Reiter im Interview: München muss Hochhäuser bauen
München - Dieter Reiter ist gut vorbereitet. Er bringt zum AZ -Interview in seinem Büro einen Stapel Blätter mit. Darauf Fotos und Informationen zu Münchner Hochhäusern, die ihm gefallen. Der OB, dem oft nachgesagt wurde, keinerlei Interesse an akademischen und kulturellen Debatten zu haben, strahlt eine große Lust aus, über Architektur und Stadtgestaltung zu sprechen. Na dann, los!
AZ: Herr Reiter, was ist das höchste Gebäude, in dem Sie jemals übernachtet haben?
DIETER REITER: Ach herrje, das ist eine gute Frage.
Waren Sie mal in Dubai?
Nein, das kenne ich nur von Bildern. Ich bin nicht der große Fernreisende. Wie heißt dieses Riesenhotel mit über 800 Metern gleich noch mal? Burj Khalifa? Da war ich noch nicht. Ich persönlich halte mich auch nicht wirklich gern in großer Höhe auf.
Inwiefern?
Schon beim Wandern gehe ich nicht gern über einen freien Höhenweg. Ich verzichte auch jedes Jahr dankend auf das Angebot der Feuerwehr, mich beim Stadtgründungsfest mit einem Korb in die Höhe zu schicken. Das ist nichts für mich. Ich habe, glaube ich, bisher einmal in einem Hotel im zehnten Stock übernachtet.
Zehnter Stock - das wäre ja sogar in München gegangen. Aber da muss ja auch nicht Schluss sein, oder?
Zehnter Stock - das wären so 25, 30 Meter. Da muss sicher nicht Schluss sein. Ich denke, dass wir in bestimmten Lagen auch mal darüber nachdenken können, 20 Stockwerke hoch zu bauen. Ob es zu München passt, hängt von der architektonischen Gestaltung und der Situierung ab. Ein Ensemble finde ich dabei deutlich schöner als einzelne Hochpunkte.
Richtig hoch ist das auch nicht.
Für München schon. Laut Definition der Bayerischen Bauordnung beginnt ein Hochhaus bei 22 Metern. Die Münchner nehmen aber auch niedrigere Häuser schon als Hochhaus wahr.
Reiter: Mich begeistert die Münchner Silhouette
Ein bisschen provinziell eigentlich, oder?
Wenn man es als provinziell bezeichnen will, dass man seine eigene Identität bewahrt, dann ist es das. Ich glaube aber, dass man schon sehr gut aufpassen muss, was eine Stadt an Veränderung verträgt. Mich begeistert zum Beispiel die Münchner Silhouette. Bis auf ein paar Solitäre ragen nur Kirchtürme in den Himmel. Deshalb braucht man gerade für hohe Neubauten schon Fingerspitzengefühl.
Ihr Wahlkampf-Slogan war im Jahr 2014 "Damit München München bleibt". Sind Hochhäuser etwas Gefährliches, wenn es ums Bewahren des alten, gemütlichen München-Gefühls geht?
Ich halte Hochhäuser nicht für gefährlich. Es gibt schon auch Orte in München - gerade entlang der Bahngleise oder am Stadtrand - wo ich mir gut geplante Ensembles vorstellen könnte. Da müssen nicht alle Häuser gleich hoch sein, es müssen auch nicht alle genau hundert Meter hoch sein - um das geht es nicht. Man kann auch höhere Häuser bauen, die Charme ausstrahlen und die das Stadtbild und die Identität unserer Architektur nicht zerstören. Wir werden aber sicher keine Skyline haben wie Frankfurt oder andere große Städte.
Gefällt Ihnen Frankfurt denn?
Zu Frankfurt passt das - aber in München kann man sich so etwas nicht vorstellen.
2004, beim Hochhaus-Entscheid von Schorsch Kronawitter, waren viele der Meinung, wir bräuchten auch solche Hochhäuser. Wie haben Sie denn damals abgestimmt?
Natürlich mit dem Oberbürgermeister.
Geht ja gar nichts anders.
Doch, ist ja geheim. (lacht)
Glauben Sie, dass die Münchner es heute anders sehen - und sich für Hochhäuser entscheiden würden?
Naja, worum es da unterschwellig geht, ist das Thema Wachstum - und das ist nicht gerade etwas, wofür sich die Münchner begeistern können. Jeder spürt ja täglich am eigenen Leib, dass dieses Wachstum auch große Herausforderungen mit sich bringt: Volle U-Bahnen, Staus auf den Straßen, steigende Mieten. Da tut man sich natürlich schwer, die Vorteile, die dieses Wachstum wirtschaftspolitisch mit sich bringt, herauszustellen. Wir wollen mit der Hochhaus-Debatte auch gar nicht dokumentieren, dass München noch schneller, noch intensiver und noch mehr wächst. Mir geht es darum, dass man mit Hochhäusern mehr bezahlbare Wohnungen bauen und damit die Entwicklung der Mieten vielleicht etwas dämpfen könnte. Wir müssen deshalb darauf schauen, dass wir auch bei höheren Häusern eine vernünftige Mischung hinbekommen, so dass dort auch bezahlbares Wohnen entstehen kann.
Reiter: Wir sprechen nicht von Wolkenkratzern
Sie hatten doch früher immer argumentiert, Wohn-Hochhäuser seien im Bau so teuer, dass sie sich nicht lohnen?
Sehen Sie, ich bin ja kein Bauingenieur. Ich kenne nur die Äußerungen von Architekten und Investoren - und die haben mir immer gesagt, Hochhäuser für Mietwohnungen sind viel zu teuer. Mittlerweile höre ich aber, dass man vielleicht doch eine gute Mischung hinbekommen könnte, von teureren und eben auch günstigen Wohnungen. Wir sprechen da wohlgemerkt nicht von Wolkenkratzern.
Von welcher Höhe sprechen wir denn?
Von 60, 70 Metern vielleicht. Bei Häusern über 100 Meter lassen sich wirtschaftlich nur ganz schwer bezahlbare Mietwohnungen bauen.
Da klang Ihre Stadtbaurätin Elisabeth Merk kürzlich aber noch ganz anders. Die sprach von einem Hochhaus-Dogma, an dem man nicht festhalten müsse. Das klang schon so, als könne man deutlich höher bauen.
Da muss man aber beim Thema bleiben: Wir sprechen gerade von Wohnhäusern. Architektonisch könnte man sich natürlich auch eine Auffrischung mit Hochhäusern von über 100 Metern vorstellen. Das werden dann aber Hotels sein oder noch wahrscheinlicher Büros, keine bezahlbaren Wohnungen.
Wo könnte so eines stehen?
Natürlich nicht in der Innenstadt, aber am Stadtrand zum Beispiel könnte ich mir das vorstellen. Allerdings müssen wir hier geeignete Flächen finden. So einfach ist das, wie wir wissen, nicht. Ich wollte nur den Blick ein bisschen weiten. Ob das Haus dann 98 Meter oder 104 Meter hoch sein wird, darauf kommt es erst einmal nicht an.
Nach einer bayerischen Verordnung sparen Sie aber kaum Platz - weil Sie für ein 100-Meter-Haus auch 100 Meter Abstand zum nächsten Gebäude lassen müssen.
Mehr Wohnungen gewinnt man damit vielleicht nicht. Aber man gewinnt Fläche am Boden. Und darum geht es ja gerade, um größere Frei- und Grünflächen. Wenn ich mir zum Beispiel die Südseite an der Boschetsrieder Straße anschaue, wie groß dort die Freiflächen um die Häuser sind - das ist schon charmant. Das müssen wir den Bürgerinnen und Bürgern nahebringen, dass wir durch diese Art der Bebauung mehr Freiraum erhalten.
Wenn schon Hochhaus, dann muss sich der Münchner damit identifizieren können, sagen Sie. Mal ein paar Beispiele: der BMW-Vierzylinder - ist der identitätsstiftend?
Ganz klar, das ist fast schon ein Wahrzeichen.
Der HVB-Tower?
Naja, da gefällt mir der Vierzylinder besser. Der HVB-Tower passt einfach architektonisch nicht so gut in dieses Umfeld. Aber es geht ja auch gar nicht darum, ob mir als Oberbürgermeister die Bestandsbauten gefallen. Ich will mich da nicht als Juror hervortun.
Aber man kann ja nicht überall in der Stadt Vierzylinder bauen.
Das stimmt. Aber es gibt ja auch noch andere interessante Beispiele. Nehmen Sie das ADAC-Hochhaus, das ist schon ansprechend.
Reiter: Junge Architekturbüros täten dem Stadtbild gut
Die Bavaria-Towers am Vogelweideplatz?
Ja, da haben wir jetzt so ein Ensemble. Das ist für mein Auge und mein Gefühl einfach harmonischer, weil da die Höhenabstufungen stimmiger sind.
Arnulfpark?
Ja, das ist okay - jedenfalls die Bürobebauung an den Gleisen. Früher hätte man dort eher Einheitsmaß gehabt - mit einheitlicher Fläche, einheitlichen Fronten, einheitlicher Kubatur. Das ist hier endlich mal anders. Ich finde das gelungen.
Obwohl: Richtig hoch ist das auch nicht.
Da haben Sie recht. Das sind vielleicht 40 Meter. Aber das würde reichen. Wenn wir so hoch bauen würden, wäre schon viel gewonnen - nur wir tun es bislang halt fast nicht.
Hanns-Seidel-Platz?
Das schaut spektakulär aus. Mutig - vor allem, weil das nicht ganz einfach zu realisieren sein dürfte. Aber es ist schön - solche Beispiele brauchen wir in der Stadt.
Brauchen wir mehr davon?
So pauschal würde ich das nicht sagen. Man muss immer auch schauen, für welchen Zweck gebaut wird. Wenn wir günstige Wohnungen bauen, dann ist eine extravagante Architektur eher schwer vorstellbar.
Hat CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl also recht, wenn er sagt, dass in München nur noch langweilig gebaut wird?
Ich würde den Einwand nicht so pauschal formulieren. Wenn man mit wachen Augen durch München geht, dann wird man natürlich immer wieder auf Objekte stoßen, die man vielleicht nicht gerade unter "gewagte Architektur" einordnen würde. Aber es gibt auch genügend positive Beispiele.
Pretzl sagt, ein Grund für die langweilige Architektur sei, dass in München immer die gleiche Architekten-Clique zum Zug komme. Stimmt das?
Es gibt halt nur eine überschaubare Zahl von Teilnehmern bei den großen Wettbewerben. Ich denke schon auch, dass es dem Stadtbild guttäte, wenn sich bei den Wettbewerben auch mal das ein oder andere junge und unbekannte Architekturbüro durchsetzen würde.
Eine Frage noch zu Hochhäusern: Sind Sie zuversichtlich, dass Ihre Enkel in München eines Tages im 30., 40. oder 50. Stock wohnen werden?
Vielleicht. Aber Skylines wie Hongkong oder ähnliche - das kann nicht unser Ziel sein. Da müssen wir unsere Identität wahren.
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