"In München ist alles schlimmer": So viele Lehrer fehlen im Freistaat
München - Wenn man zwei Menschen zur gleichen Sache befragt, kann es passieren, dass man zwei recht unterschiedliche Antworten bekommt. Selten hört man zwei solch unterschiedliche Geschichten, wie wenn man mit Martin Schmid und Michael Piazolo über die Situation an Münchner Schulen spricht.
Schmid ist Vorsitzender des Münchner Lehrerinnen- und Lehrerverbands. Michael Piazolo ist Chef der Freien Wähler in München und als bayerischer Kultusminister für die Schulen in Bayern zuständig. Während der Erste heftig klagt, scheint der zweite komplett zufrieden.
Wie viele Lehrer fehlen in München? "Schwierig zu beziffern, weil es keine offiziellen Zahlen gibt"
Lehrermangel in München? "Alle staatlichen Schulen der Landeshauptstadt waren bis zuletzt vollumfänglich immer mit Personal versorgt", antwortet Piazolo. Schmid klingt da anders. "Es ist schwierig, zu beziffern, weil es keine offiziellen Zahlen gibt", sagt er.
Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband schätzt, dass 4000 Lehrkräfte bayernweit fehlen. "Und in München ist natürlich alles schlimmer", sagt Schmid. Er hatte in den Sommerferien mit einigen Schulen Kontakt, bei denen es bis kurz Schulstart nicht klar war, wer die Klasse leiten soll – weil Personal fehlte.
Über 1400 Lehrerwochenstunden können allein an Realschulen in München nicht besetzt werden
Genauere Zahlen nennt das Schulreferat – allerdings bloß für städtische Schulen. An den städtischen Gymnasien fehlen demnach zehn bis 19 Kräfte. "Eine Mehrheit der neu eingestellten Lehrkräfte arbeitet in Teilzeit – somit bleibt eine nicht unerhebliche Stundenzahl zusätzlich offen", so das Schulreferat. Vor allem in Fächern wie Mathe und anderen Naturwissenschaften, aber auch in Deutsch gebe es Bedarf.
An den städtischen Realschulen fällt der Mangel noch größer aus: 1449 befristete Lehrerwochenstunden sind nicht besetzt, zirka 60 Lehrkräfte fehlen laut Schulamt.
Das Schulreferat München klagt: "In allen Fächerkombinationen herrscht akuter Mangel"
An Schulen besonderer Art – also zum Beispiel Förderschulen – sind 494 unbefristete Lehrerwochenstunden nicht besetzt, zirka 24 Lehrkräfte fehlen. "In allen Fächerkombinationen herrscht akuter Mangel", schreibt das Schulreferat. Die Bewerber könnten sich deshalb ihre Wunschschule aussuchen und nehmen auch kein anderes Angebot an. "Dadurch entsteht an Ganztagsschulen und an Schulen in Vierteln, in denen die Arbeit anspruchsvoller erscheint, großer Mangel."
Das Schulreferat fordert deshalb, dass das Kultusministerium die kommunalen Schulen "besser in den Blick nehmen muss". Auch Entfristungen müssten beschleunigt werden. Den Lehrermangel versuchen die Schulen laut Michael Schmid vom Lehrerverband dadurch zu beheben, dass sie "Substitutionskräfte" zuschalten.
Vom Opernsänger bis zum Forstwirt versuchten schon alle Berufsgruppen, in München zu unterrichten
Vom Opernsänger bis zum Forstwirt gebe es praktisch keine Berufsgruppe, die in München noch nicht versucht hätte, im Klassenzimmer zu unterrichten, sagt Schmid. Einzige Voraussetzung sei ein abgeschlossenes Studium. Die Aushilfskräfte würden zwar dringend gebraucht – allerdings sei es für den Rest des Kollegiums ein hoher Aufwand, sie einzulernen und zu betreuen. Auch bis die Aushilfskräfte überhaupt an den Schulen anfangen dürften, vergehen laut Schmid oft Monate. "Teilweise springen die Leute dann wieder ab."
Auch beim Ausbau von Ganztagsschulen läuft es laut Schmid in München schlecht. 2026 gibt es in Bayern einen gesetzlichen Anspruch auf einen Ganztagsplatz. "Bayern wird das mit Sicherheit nicht erfüllen können", meint Schmid. Er kennt Münchner Schulen, die einen Versuch starteten und ihr Konzept auf Ganztag umstellten. "Die wollen jetzt wieder raus aus dem Ganztag", sagt Schmid. Weil sie es mit ihrem Personal nicht schaffen würden.
Michael Piazolo ist dennoch zufrieden: "Stolze Zahlen, auf denen wir aufbauen wollen"
Kultusminister Piazolo klingt zuversichtlicher: "Auch die Anzahl der Ganztagsplätze haben wir in den letzten fünf Jahren nochmals um rund 30 Prozent erhöhen können. Das sind stolze Zahlen, auf denen wir weiter aufbauen wollen."
Auch mit der IT-Ausstattung ist er zufrieden: "Seit dem Beginn meiner Amtszeit hat die Digitalisierung die Schulen der Landeshauptstadt in ein neues Zeitalter katapultiert: 146 Millionen Euro fließen allein aus Mitteln des Digitalpakts an die Münchner Schulen. Davon wurden bereits jetzt unter anderem 40.000 neue mobile Endgeräte besorgt."

Schmid vom Lehrerverband hingegen kann lange darüber sprechen, wie schlecht es um die IT an Münchner Schulen bestellt ist. Zum Beispiel erzählt er, dass in einer Umfrage, die sein Verband in München durchführte, 92 Prozent der Schulen am liebsten das Programm Microsoft Teams behalten wollten. Doch der Freistaat entwickelte für Hunderte Millionen sein eigenes Programm, das allerdings bloß mäßig funktioniere.
Die Kritik am Kultusminister wächst derweil: "Piazolo verwaltet bloß"
Dem Kultusminister stellt er ein schlechtes Zeugnis aus, ein schlechteres als allen CSU-Ministern vor ihm: " Piazolo verwaltet bloß und erzählt überall, wie super es in Bayern läuft." Dabei werde die Bildungsqualität immer schlechter.
Piazolo sieht das freilich anders. Er ist zufrieden – nicht nur mit IT und Ganztag. Er betont auch: Noch nie waren so viele Lehrkräfte in München im Einsatz wie heute. Doch anscheinend reichen sie noch immer nicht.
Christine Müller (CSU): Auch Sozialpädagogen als Lehrkräfte einstellen
Christine Müller, die Direktkandidatin der CSU in Milbertshofen, hat schon an verschiedenen Schulen in der Stadt und im Landkreis München als Lehrerin gearbeitet. Eines hatten sie alle gemeinsam, sagt sie: Lehrer fehlten.
Um die Schulen zu entlasten, schlägt Müller vor, auch mehr andere Berufsgruppen einzustellen. Sozialpädagogen zum Beispiel, aber auch ITler. Denn momentan müssen sich die Lehrer selbst um die IT in den Klassenzimmern kümmern. Auch Köche sollten die Schulen aus ihrer Sicht einstellen.
Müller findet es nicht richtig, dass die Schulkantinen darauf angewiesen sind, mit dem Essen, das sie an die Kinder verkaufen, einen Gewinn zu machen. Schließlich müssen die Kantinen-Betreiber eine Pacht zahlen.
Auch mehr Psychologen sollten an Schulen angestellt werden, sagt die 44-jährige Lehrerin. Denn sie beobachtet, dass während Corona Essstörungen und Depressionen unter Jugendlichen zunahmen. Ein wichtiges Signal gegen den Lehrermangel sei, dass der Freistaat beschlossen hat, alle Lehrer unabhängig von der Schulart gleich zu bezahlen.
Micky Wenngatz (SPD): "Wir wollen Lernmittelfreiheit für alle Kinder"
Der Freistaat könnte sich vieles von München abschauen, findet Micky Wenngatz. Sie sitzt für die SPD im Münchner Stadtrat und kandidiert im Stimmkreis Hadern als Direktkandidatin. Wenngatz weiß, dass die Stadt viele Angebote zahlt, die der Freistaat nicht fördern würde. "Die Stadt München finanziert zusätzliche Deutschkurse und Schulsozialarbeit", sagt Wenngatz.
Doch andere Kommunen könnten sich das womöglich nicht leisten. "Außerdem wollen wir Lernmittelfreiheit für alle Kinder", sagt Wenngatz. Momentan sind Bücher zwar kostenlos für alle. Aber nicht jedes Kind hat ein Tablet.

Ein weiteres Problem sei die hohe Schulabbrecherquote in Bayern. München versuche durch städtische Projekte, die Quote zu senken. Wenngatz fordert auch dafür mehr Geld. Die SPDlerin ist überzeugt, dass München beim Angebot von Ganztagsschulen anderen Kommunen "meilenweit" voraus ist. "Die Stadt unterstützt Schulen schon lange dabei, Konzepte zu entwickeln", sagt Wenngatz.
Eine ebenso gute Unterstützung sollte aus ihrer Sicht der Freistaat leisten. Um den Lehrermangel in München zu beheben, fordert sie mehr staatliche Wohnungen. Sie glaubt, viele Lehrer wollen sich wegen der teuren Mieten möglichst schnell versetzen lasen.
Jennifer Kaiser-Steiner (FDP): "Mit besserer Bezahlung bekommen mehr Menschen Lust auf den Job"
"Für uns ist Bildung das wichtigste Thema", sagt Jennifer Kaiser-Steiner. Sie ist die Chefin der Münchner FDP und tritt in Milbertshofen an. "Wir wissen, wie schwierig es ist, an Münchner Schulen geeignetes Person zu finden. Und deshalb sollte es auch für Lehrer Leistungsanreize geben."
Das bedeutet: Wie in einem Unternehmen sollen Lehrer einen Bonus bekommen, wenn sie besonders gute Arbeit machen. Dafür sollten sowohl die Schüler als auch das Kollegium den Lehrer beurteilen. "Wir glauben, dass mit einer besseren Bezahlung mehr Menschen Lust auf den Job bekommen", sagt sie.

Besonders wichtig sei außerdem, dass Quereinsteiger Möglichkeiten bekommen, sich weiter zu bilden. Denn nur so könne es 2026 klappen, dass jedes Kind sein Recht auf Ganztagsbetreuung in Anspruch nehmen kann. Jennifer Kaiser-Steiner weiß, dass es in München schwierig ist, einen Platz an einer Ganztagsschule zu bekommen.
Weil Personal fehlt, haben laut der FDPlerin manche Schulen wie etwa die Klenzeschule ihr Ganztagsangebot wieder abgeschafft. Außerdem fordert sie bessere Konzepte für digitales Lernen. Es reiche nicht, wenn der einzige Unterschied ist, dass das Schulbuch nicht mehr auf Papier, sondern als E-Book angeboten wird.
Katharina Schulze (Grüne): "Das Grundschul-Abitur ist eine Riesenbelastung für Familien"
Wir wollen, dass jedes Kind die gleichen Startchancen hat - egal, ob der Vater geflüchtet oder die Mama Zahnärztin ist", sagt Katharina Schulze, die Chefin der Grünen im Landtag. Sie tritt in Milbertshofen an. Schulze weiß: "Jedes siebte Kind in Bayern wächst in Armut auf." Und in München seien durch die hohen Mieten die Herausforderungen besonders groß.
Sie fordert deshalb, dass jedes Kind ab der ersten Klasse ein kostenloses Bio-Mittagessen bekommt. Auch für längeres gemeinsames Lernen setzt sie sich ein. "Das Grundschul-Abitur ist eine Riesenbelastung für Familien", sagt sie. Außerdem will sie, dass jedes Kind ein Tablet erhält.

Momentan müssen sich laut Schulze fünf Kinder in München ein digitales Endgerät teilen. In Zukunft sollte jedes Kind ein eigenes bekommen "so wie das Schulbuch, das man auch mit nach Hause nehmen kann, um damit zu arbeiten." Ab 2026 gilt in Bayern ein Recht auf einen Platz in einer Ganztagsschule.
"In München gibt es große Sorgen, wie das klappen soll. Die Söder-Regierung lässt alle Beteiligten im Regen stehen", sagt Schulze. Sie glaubt, dass auch viele außerschulische Träger wie Sportvereine gerne kooperieren würden. Aber momentan gebe es dafür noch keine klare Regelung.