Serie

Kultur in München vor der Landtagswahl: Prunkvoll und trotzdem prekär

In München müssen zahlreiche Kulturbauten, für die der Freistaat zuständig ist, saniert werden. Das könnte Milliarden verschlingen. Gleichzeitig fehlt freischaffenden Künstlern das Geld.
Autorenprofilbild Christina Hertel
Christina Hertel
|
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Auch die Staatsoper muss dringend saniert werden.
Auch die Staatsoper muss dringend saniert werden. © imago

München — Nach jedem Projekt, nach jeder Inszenierung, stelle sich für ihn die gleiche Frage, sagt Benno Heisel: Wo kommen die nächsten Gelder her? Lieber aufgeben? Oder weitermachen? "Es ist jedes Mal ein Glücksspiel." Heisel arbeitet in München als Musiker, Autor, Regisseur und Dramaturg. Er ist an keinem der großen Häuser angestellt. Benno Heisel ist Teil der freien Szene. Seine Projekte waren im Münchner Theater Hoch X, aber auch in Tübingen und Weimar zu sehen.

Nur von den eigenen Einnahmen könnten freie Künstler wie er nicht leben, sagt Heisel. Sie sind auf Förderungen angewiesen. Und dieses Geld komme in München praktisch ausschließlich von der Stadt. Manchmal gebe es ein bisschen etwas vom Bund, mal etwas von einer Stiftung, sagt Heisel. Nur auf einen können die Münchner Künstler nicht hoffen: den Freistaat Bayern.

Der Freistaat Bayern gibt eine halbe Milliarde Euro für die Kultur in München

Der pumpt dieses Jahr über eine halbe Milliarde Euro in die Münchner Kulturlandschaft – so viel wie nie. Laut Kunstministerium sind die Zuschüsse verglichen mit dem Vor-Corona-Jahr 2019 2022 um rund acht Prozent gestiegen: auf 488 Millionen Euro. Heuer werden es wohl über 500 Millionen Euro. Das Gärtnerplatztheater, die Oper, das Residenztheater, das Deutsche Museum, die Pinakotheken und viele weitere Museen leben also vom Geld des Freistaats.

"Der Freistaat ist sich seiner Verantwortung für die Kunst- und Kulturstadt bewusst", sagt Kunstminister Markus Blume (CSU). Er tritt bei der Landtagswahl im Stimmkreis Ramersdorf an. Allerdings halten trotzdem viele die Kunstförderung des Freistaats für unfair: München und zum Großteil auch Nürnberg ist von der staatlichen Förderung weitestgehend ausgeschlossen, schreibt das Münchner Kulturreferat. Die Stadt bezuschusst zum Beispiel die freie Theater- und Tanzszene mit 3,4 Millionen Euro pro Jahr.

Die Kritik: Das Geld werde zu oft für Prestigebauten in München eingesetzt

Reicht dieses Geld? "Die Frage ist immer, wofür", antwortet Heisel darauf. Die meisten freischaffenden Künstler in München, die er kennt, müssten sich mit anderer Arbeit etwas dazuverdienen – zum Beispiel mit Musikunterricht. "Und das geht natürlich auf Kosten des Probens und des Auftretens."

Der Freistaat müsste nicht nur seine Förderpraxis überdenken, findet Heisel. Sondern auch insgesamt eine Vision für die Kulturpolitik entwickeln. Statt um Kunst und Künstler geht es aus seiner Sicht zu oft um Prestigebauten, in denen Menschen in Abendgarderobe für Fotos posieren.

Theatermacher Benno Heisel.
Theatermacher Benno Heisel. © Jana Erb

Unter die Kategorie Prestigebau fällt wohl auch das Konzerthaus im Werksviertel, das der Freistaat plant. Von einem "Leuchtturmprojekt für Bayern", sprach der damalige Kunstminister Bernd Sibler (CSU) 2021 noch.

Die neue Heimat des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks sollte das Konzerthaus werden, mit drei Sälen, einem großen Bereich für Musikvermittlung. Aber dann legte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) schon vor über einem Jahr eine Denkpause wegen der hohen Kosten ein, die Rede ist von etwa einer Milliarde.

Auch beim Gasteig in München ist noch nicht klar, wie es weitergeht

Eine Erbpacht für das Grundstück muss der Freistaat trotzdem zahlen: fast 600.000 Euro im Jahr, seit 2016, und das insgesamt 88 Jahre lang. Die Stiftung Neues Konzerthaus München beschwerte sich deshalb vergangenes Jahr. Allein die Planung habe bereits 27 Millionen verschlungen.

Und gar nicht weit weg vom Werksviertel gibt es einen weiteren Kulturbau, bei dem unklar ist, wie es weitergeht: den Gasteig. Schon vor zwei Jahren fand dort das letzte Konzert der Philharmonie statt, weil die Stadt das Kulturzentrum sanieren wollte.

So könnte der neue Gasteig aussehen – mit einem gläsernen Foyer, das die Philharmonie mit dem Bibliothekstrakt verbindet.
So könnte der neue Gasteig aussehen – mit einem gläsernen Foyer, das die Philharmonie mit dem Bibliothekstrakt verbindet. © Mir

Allerdings ist bis heute unklar, in welcher Form. Denn es fand sich kein Investor, der die Sanierung übernimmt. Und ob sich die Stadt die Kosten von 710 Millionen Euro leisten kann, ist noch unentschieden. Die Stadt würde gerne mit dem Freistaat kooperieren. Doch ob der Freistaat das Gesprächsangebot annimmt, im Gasteig gemeinsam an einem Konzertsaal und am Kulturzentrum zu planen, sei offen, schreibt das Kulturreferat.

Residenztheater, Staatsoper und Haus der Kunst: Markus Blume und die Kulturkaskade

Für den CSU-Kulturminister Blume ist die Sache klarer: "Man kann punktuell zusammenarbeiten, aber seine Hausaufgaben muss jeder selbst erledigen. Das gilt auch für den Gasteig. Eine Beteiligung des Freistaats ist nach wie vor keine Option."

Die Stadt wiederum wünscht sich eine "Gesamtplanung für die Musikstadt München". Denn auch in der denkmalgeschützten Paketposthalle, dort, wo Investor Büschl seine Hochhäuser plant, könnte ein Konzertsaal entstehen, heißt es. Außerdem müssen zahlreiche Kulturstätten saniert werden.

Bayerns Staatsminister für Wissenschaft und Kunst Markus Blume (CSU).
Bayerns Staatsminister für Wissenschaft und Kunst Markus Blume (CSU). © Uwe Lein/dpa

Wie wird der Freistaat damit umgehen? Kürzlich stellte Blume die "Kulturkaskade für München" vor. So nennt er seinen Plan für "ineinandergreifende und zeitlich aufeinander abgestimmte Sanierungen" der Kultureinrichtungen. Dazu gehören das Residenztheater,die Staatsoper, die Musikhochschule und das Haus der Kunst.

Spatenstich für das Residenztheater in München: Bayern gibt fast 200 Millionen Euro dazu

Startschuss dafür sei das neue Probenzentrum für das Residenztheater in Berg am Laim gewesen. Fast 200 Millionen Euro gibt der Freistaat dort für drei Probenbühnen, Dekorationswerkstätten, Räume für die Requisite und den Kostümfundus aus. Ende Juni war Spatenstich, im Januar 2026 soll es bezogen werden. Nach jahrzehntelangen Provisorien erhalte das Theater endlich zeitgemäße und moderne Arbeitsbedingungen, das sei kein Luxus, sondern notwendig, sagte Intendant Andreas Beck auf der Baustelle.

Momentan ist die Probebühne in Giesing, die Werkstätten sind im Marstall. Dieser könnte ein Ersatzspielort fürs Resi werden, wenn dort die Sanierung beginnt. Aber auch der muss saniert werden – und das geht freilich erst, wenn das neue Probenzentrum fertig ist. Bis die Kaskade fließt, könnte es also noch dauern.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Expertin der Grünen Sanne Kurz: Ein Kulturareal zum Träumen

Der Traum, einmal mit berühmten Künstlern auf einer großen Bühne zu stehen – das spornt zum Proben an. Davon ist die Kulturexpertin der Grünen, Sanne Kurz, überzeugt. Sie ist Filmemacherin, wurde 2018 in den Landtag gewählt und tritt in Ramersdorf an. Und weil sie solche Träume fördern wollen, stehen die Grünen hinter einem neuen Konzerthaus am Ostbahnhof, sagt sie.

Außerdem koste Warten Geld: Schließlich pachtet der Freistaat den Grund im Werksviertel. Dass München eines Tages zu viele Konzertsäle haben könnte, wenn auch der Gasteig saniert wird, glaubt Kurz nicht. Vielmehr ist sie überzeugt: Ein großes neues Kulturareal würde München guttun.

Die 1974 in der Pfalz geborene Politikerin Sanne Kurz studierte Dokumentarfilm und Kamera an der HFF in München und ist seit 2018 Mitglied des Bayerischen Landtags.
Die 1974 in der Pfalz geborene Politikerin Sanne Kurz studierte Dokumentarfilm und Kamera an der HFF in München und ist seit 2018 Mitglied des Bayerischen Landtags. © Christian Müller

Für dieses Areal fordert sie eine Geschäftsführung, die eine Vision für das Areal entwickelt. Für ganz Bayern wünscht sich Kurz einen Kultur-Entwicklungsplan, also eine Bilanzierung, welche Einrichtungen es gibt und in welchem Zustand sie sind.

Denn Kurz weiß auch: Allein in München ist der Sanierungsstau enorm. Zum Beispiel warte die Hochschule für Musik und Theater schon lange auf eine Sanierung. Noch wichtiger als die Bauten ist Kurz aber, dass auch die freie Szene in München und Nürnberg vom Freistaat gefördert wird. Denn die geht momentan leer aus.

SPD: "Lieber Ateliers und Proberäume statt teure Prunkbauten"

Statt in teuere Prunkbauten würde SPD-Landtagskandidat Lars Mentrup das Geld lieber in die Künstler investieren. Er sitzt bereits im Münchner Stadtrat und kandiert in Schwabing. Vielleicht, sagt er, würde es reichen, wenn ein neuer Konzertsaal im Gasteig entsteht.

Ein neues Konzerthaus im Werksviertel sieht Mentrup also eher skeptisch. Was er sich dann auf der Fläche vorstellt? "Ateliers, Proberäume für Theater und Musiker", sagt Lars Mentrup. "Die Straße heißt doch sogar Atelierstraße." Günstiger sei so eine Lösung auch.

SPD-Stadtrat Lars Mentrup.
SPD-Stadtrat Lars Mentrup. © IMAGO / STL

Mentrup fordert schon lange einen Atelierturm im Domagkpark. Er findet: Der Freistaat wertschätzt Künstler zu wenig. Vor allem die in München. Dass die freie Szene hier und in Nürnberg keine staatliche Förderung bekommt, würde er sofort beenden, sagt Mentrup. Für die Münchner Kulturbauten fordert er einen Sanierungsplan.

Vor allem treibt ihn die Sorge um, wie es mit der Münchner Staatsoper weitergeht. Denn auch die ist sanierungsbedürftig. "Und bisher gibt es noch keinen Alternativstandort", sagt Mentrup. Der Freistaat müsse dringend handeln - sonst drohe, dass dieser Saal, der für so viele Gänsehaut-Momente sorge, ein Jahrzehnt geschlossen bleibt.

FDP: "Mehr internationale Ausstrahlung"

Im Sommer ist der ehemalige Kunst-Minister Wolfgang Heubisch (FDP) lieber in Salzburg als in München. Denn in München haben schließlich alle Theater zu – während es in Salzburg ganz tolle Aufführungen gebe, sagt Heubisch.

Würde er wieder mitregieren, würde es im Sommer in München mehr Kultur zu erleben geben, sagt der FDP-Abgeordnete, der im Stimmkreis Schwabing kandidiert. Generell klingt der 77-Jährige mit der Münchner Kulturszene unzufrieden: "Sie ist zu wenig agil. Es fehlt die internationale Ausstrahlung."

Wolfgang Heubisch (FDP).
Wolfgang Heubisch (FDP). © picture alliance / dpa/Archivbild

Heubisch schlägt deshalb mehr internationale Wettbewerbe, mehr Kooperationen zwischen Stadt und Freistaat und mehr spartenübergreifende Festivals vor, an denen auch die freie Kunstszene beteiligt ist. Sorgen macht ihm das Thema Konzertsaal. "Das Konzerthaus liegt auf Eis. Auch beim Gasteig weiß niemand, wie es weiter gehen soll", meint Heubisch.

Gleichzeitig müssten Oper und Herkulessaal wohl bald saniert werden. Der Freistaat müsse deshalb dringend mit der Stadt einen gemeinsamen Plan ausarbeiten, fordert Heubisch. Ob es einen neuen Gasteig und ein neues Konzerthaus braucht? Da will sich der FDPler nicht festlegen. Theoretisch sei ein Konzerthaus ein wunderbares Projekt. Allerdings: "Wir wissen noch nicht mal, was das kosten soll."

Freie Wähler: Kultur stärken

Die freie Szene in München benötige "größere Planungssicherheit und einen unbürokratischeren Zugang zu Förderungen", sagt Michael Piazolo, der Chef der Freien Wähler in München und Kultusminister. Er plädiert dafür, das Konzerthaus im Werksviertel zu bauen. "um München als Kulturstadt zu stärken".

Michael Piazolo (Freie Wähler), Staatsminister für Unterricht und Kultus.
Michael Piazolo (Freie Wähler), Staatsminister für Unterricht und Kultus. © Peter Kneffel/dpa

Auch hinter einer Sanierung des Gasteigs steht er: Weil die Stadt aufgrund der Finanzierungsfragen offenbar nicht in der Lage sei, in die Umsetzung zu kommen, "könnte sich der Freistaat beteiligen".

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.