"Politische Watschn für Habenschaden": Umwelthilfe will erneut klagen wegen Diesel-Fahrverbot
München - Weil die Stadt das Diesel-Fahrverbot nicht weiter verschärfen will, gehen die Deutsche Umwelthilfe (DHU) und der Verkehrsclub Deutschland (VCD) auf die Barrikaden. Sie kündigen rechtliche Schritte an, sollte die Stadt nicht wie vereinbart die im gültigen Luftreinhalteplan vorgesehene zweite Stufe des Diesel-Fahrverbots zum 1. Oktober in Kraft treten lassen.
Bereits Ende Juli hatte DHU-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch der AZ gegenüber betont, dass man eine Klage wegen Vertragsbruch prüfe, nachdem sich die Stadt basierend auf Prognosen zu den Stickstoffdioxidwerten dazu entschieden hatte, die zweite Stufe des Diesel-Fahrverbots zu verschieben.

Für die Umwelthilfe ist klar: Es geht hier um Wahlkampf, nicht um die Luftreinheit: "Die vorgesehene Änderung des Luftreinhalteplans zielt lediglich darauf ab, aus wahltaktischen Gründen das für die Gesundheit der Menschen notwendige Konzept für Dieselfahrverbote abzuschwächen", legt Resch nun in einer gemeinsam mit dem VCD verfassten Mitteilung nach. Für ein persönliches Statement war Resch am Mittwoch nicht zu erreichen.
Resch zur Abschwächung der Dieselfahrverbote: "Ein Schlag ins Gesicht"
SPD und Grüne stellten die Interessen der Autolobby über die Gesundheit der Menschen, findet Resch: "Das ist ein Schlag ins Gesicht für alle Bürgerinnen und Bürger in München, die an Asthma oder Atembeschwerden leiden. Sollte die Stadt München nicht von der geplanten Abschwächung der Dieselfahrverbote absehen, werden wir erneut vor Gericht ziehen."
Die Verantwortlichen von DHU und VCD begründen ihre scharfe Kritik in einer "Stellungnahme zur Anpassung der achten Fortschreibung des Luftreinhalteplans für die Landeshauptstadt München" an die zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne), respektive das Referat für Klima- und Umweltschutz, Sachgebiet Luftreinhaltung, die der Redaktion vorliegt.
"Wahltaktische Gründe"? Grünen-Stadtrat Florian Roth verwehrt sich gegen Vorwürfe
Darin heißt es, die derzeitige Anpassung des Luftreinhalteplans verfolge ausschließlich das Ziel, "aus wahltaktischen Gründen" den aus DHU/VCD-Sicht guten und rechtlich notwendigen aktuellen Plan abzuschwächen.

Der Stadtrat Florian Roth antwortete in Vertretung der ebenfalls im Urlaub weilenden Zweiten Bürgermeisterin Habenschaden auf AZ-Anfrage im Namen der Grün-Rosa-Stadtratsfraktion und verwehrte sich gegen den Vorwurf, die Entscheidung habe wahltaktische Gründe: "Die Anpassung des Luftreinhalteplans (LRP) erfolgte aus Gründen der Verhältnismäßigkeit angesichts deutlich sinkender Werte als Erfolg der ersten LRP-Stufe im Sinne des Gesundheitsschutzes und hätte, auch wenn gar keine Wahlen anstünden, auch genauso erfolgen müssen."
Für den CSU-Fraktionsvorsitzenden Manuel Pretzl steht hingegen fest: "Bis zum 1. Oktober gibt es keine Stadtratssitzung mehr und die Entscheidung kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Insofern ist davon auszugehen, dass die DUH wie angekündigt klagt. Das ist eine politische Watschn für Katrin Habenschaden!"

Man hätte eben konsequent sein müssen und nicht dreimal seine Meinung ändern dürfen, kritisiert Pretzl das Vorgehen der Grünen.
Der gesetzlich vorgeschriebene Jahresmittelwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft werde seit Inkrafttreten in München permanent überschritten, argumentieren DUH und VCD. Zudem widerspreche die nun vorgelegte Anpassung den eigenen Prognosen im Auftrag der Stadt und dem eigenen Konzept, das als solches notwendig sei, um eine schnellstmögliche Einhaltung der Grenzwerte sicherzustellen.
VCD-Sprecher Michael Müller-Görnert: Handeln der Stadt "mehr als fahrlässig"
"Seit 2010 müssen die Grenzwerte eingehalten werden, seit 13 Jahren bricht die Stadt München EU-Recht", sagt Michael Müller-Görnert, der verkehrspolitische Sprecher des VCD, im Gespräch mit der AZ.

Die Stadt habe 2022 erstmals ein Konzept ausgearbeitet, das ernsthaft helfe, die Vorgaben einzuhalten. Die weiteren Stufen jetzt auszusetzen, hält Müller-Görnert für "mehr als fahrlässig" und verweist darauf, dass die Europäische Union gerade plane, die Vorgaben auf der Basis von neuen Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation bis 2030 weiter zu verschärfen.
Darüber hinaus verletze die Anpassung des Luftreinhalteplans den zwischen der Stadt, der DUH und dem VCD geschlossenen Vergleich: "Dabei wird durch die Landeshauptstadt München das Maßnahmenpaket als solches, genauso wie der vereinbarte Zeitplan einseitig aufgekündigt", heißt es in der Stellungnahme.
DUH und VCD kritisieren: "Ergebnisse des vorgelegten Gutachtens inhaltlich fragwürdig"
Es gebe bisher weder eine Prognose eines Fachgutachters, nach der zu erwarten sei, dass die Grenzwerte in diesem Jahr eingehalten werden, noch lägen bisher die Messwerte der Monate Oktober, November, Dezember vor, die die Grundlage für eine Prüfung des Verzichts auf Stufe 3 seien.
Die Zahlen der von der Stadt vorgelegten neuen gutachterlichen Prognose seien bereits überholt: "Die aktuellen Messwerte des Jahres 2023 bestätigen, dass die Ergebnisse des vorgelegten Gutachtens inhaltlich fragwürdig – um nicht zu sagen politisch motiviert – sind."
Unabhängig davon, dass die Stadt München nun die Folgen "von Untätigkeit, Aussitzen und Ignoranz der bayerischen Landesregierung" ausbaden müsse, "fehlt es mir an Fantasie, was in den verbleibenden vier Monaten des Jahres passieren soll, um die prognostizierten Zahlen zu erreichen", erklärte Müller-Görnert der AZ.
Nikolaus Gradl (SPD): "Polarisierungen oder Unterstellungen der DUH nicht hilfreich"
Laut dem geltenden Gutachten ist bis Ende 2023 ein Jahresmittel von 41,4 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft zu erwarten. DHU und VCD halten die Prognose für unrealistisch, weil die Belastung am Messpunkt an der Landshuter Allee bis zum 24. August bei 44,8 Mikrogramm gelegen habe und daher bis zum Jahresende eine durchschnittlich Belastung von nur 34 Mikrogramm herrschen müsste, um den Grenzwert nicht zu überschreiten.

"Der Stadtrat hat sich mit großer Mehrheit entschieden, zunächst Messwerte von einem Jahr abzuwarten, um dann auf fundierter Datenbasis über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Polarisierungen oder Unterstellungen der DUH sind an dieser Stelle nicht hilfreich", sagt Nikolaus Gradl, verkehrspolitischer Sprecher der SPD/Volt-Fraktion, der AZ.
Müller-Görnert warnt: "Sonst bleibt der Gesetzesbruch eine unendliche Geschichte"
Eine saubere Luft in München sei der SPD sehr wichtig, Fahrverbote müssten aber gleichzeitig verhältnismäßig sein und vor Gericht standhalten: "Mit der ersten Stufe eines Dieselfahrverbots für Euro 4 oder älter haben wir bereits den gewünschten Effekt erzielt."
Der Entwurf der vorgelegten Anpassung der achten Fortschreibung des Luftreinhalteplans für die Stadt München sei "insgesamt als rechtswidrig anzusehen", teilen DUH und VCD mit. "Diese Einschätzung teilen wir ganz ausdrücklich nicht," entgegnet dem Florian Roth von den Grünen.
Doch für Michael Müller-Görnert steht fest: "München darf jetzt nicht aufhören, sondern muss vielmehr alles tun, die Luftbelastung zu verringern – auch mit Blick auf die Zukunft. Sonst bleibt der Gesetzesbruch eine unendliche Geschichte."
Und diese "unendliche Geschichte" wird wohl bald wieder die Gerichte beschäftigen.
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