Im Zeichen von Corona: Samstag in München
München - Es ist Samstag, 10.17 Uhr. Schon drei Stunden nach Öffnung sind manche Regale im DM in der Nymphenburger Straße komplett leer. Ausverkauft sind Haushaltsartikel wie Seife, Müllbeutel und natürlich Toilettenpapier, aber auch haltbare Lebensmittel wie Kekse und Müsli. Auch die Regale mit Nahrungsergänzungen und Vitaminpräparaten sind fast vollständig geleert.
Ein Vater ist mit seinem Sohn einkaufen, er zieht einen Einkaufstrolley, der Bub schiebt einen Kinder-Einkaufswagen. "Alles weg, alles schon weg", seufzt der Mann. Er heißt Ali Gallal, arbeitet bei einem BMW-Zulieferer, hat eine Frau und zwei Kinder. "Wir kaufen ein bisschen auf Vorrat", erzählt er, "nicht viel, was man eben so braucht."
Er ist schon im Homeoffice, seine Frau ist Ärztin und geht deswegen momentan noch arbeiten. Vor allem hat er Sorge, dass die Sachen für die Kinder knapp werden: "Man hat den Eindruck, die Deutschen haben die Keller für zwei Jahre gefüllt." Zettel weisen darauf hin, dass es nur noch eine Packung Klopapier pro Person gibt – ab Montag, 7 Uhr, dann soll die nächste Lieferung da sein.
"Saugeil!", ruft ein Lehrer. "Fünf Wochen frei!"
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Im Lidl nebenan ist die Situation ähnlich. Der Markt ist voll, alle Kassen geöffnet, alle Mitarbeiter im Einsatz. Sie versuchen aufzufüllen, was leergekauft ist, fahren Kisten mit Nudelpesto auf Europaletten umher, können bei dem Andrang aber schwer mithalten. Die Menschen greifen einfach direkt in die Kisten aus dem Lager. "Nope, alles ausverkauft, tutto completto", ruft ein junger Mann ins Handy. Eine Frau rollt einen Einkaufswagen zur Kasse: "So, jetzt haben wir alles für Corona", sagt sie im Scherz. Jemand steht vor dem leeren Regal, in dem normalerweise Klopapier steht und macht schmunzelnd ein Foto. Man gibt sich nicht die Blöße, besorgt zu sein – offenbar möchte man es aber auch nicht drauf ankommen lassen.

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Auf dem Parkplatz lädt ein Paar seine Einkäufe ins Auto. Der Kofferraum ist stattlich gefüllt, in der letzten Kiste, die dazu gestellt wird, sind vier grüne Flaschen mit Froschreiniger, zwei große Flaschen Waschmittel, zwei Kanister destilliertes Wasser und drei Reinigungsbürsten.
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Auch Lehrer Christoph V. verlädt mit seiner Freundin, ebenfalls Lehrerin, Einkäufe ins Auto. "Wir kaufen ganz normal ein." Die Situation gerade findet er "saugeil! Fünf Wochen frei, aber bei full pay!"
Ein bisschen Sorgen macht er sich aber dennoch. Nicht wegen des Virus, in seiner Schule gab es keinen dokumentierten Fall und Schüler, die in Risikogebieten waren, mussten ohnehin zu Hause bleiben. Nein, er fragt sich, was aus dem diesjährigen Abitur werden soll. Schließlich kann wichtiger Lernstoff jetzt nicht mehr unterrichtet werden. Vielleicht passt man die Prüfung entsprechend an – oder verschiebt sie, was dann natürlich auch Auswirkungen auf die Unis hätte.
Desinfektionsmittel und Atemschutzmasken
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Auch in der Elvira-Apotheke nebenan ist viel los. Die Leute kaufen alltägliche Dinge ein, Gesichtscreme, Kontaktlinsenflüssigkeit, dazu aber stets noch ein Fläschchen Desinfektionsmittel. "Sowas habe ich noch nie erlebt", sagt Apotheker Roman Sparn. Mittlerweile verkauft er nur noch ein Fläschchen pro Person, gegen Mittag werden die Bestände dann leer sein. Um der Knappheit vorzubeugen, plant er, ab Sonntag sein eigenes Mittel herzustellen. Ein Problem bei der Herstellung ist derzeit einerseits natürlich die Knappheit an Zutaten, aber auch an den vielen kleinen Plastikflaschen mangelt es. Kaum noch vorhanden sind Atemschutzmasken, die werden nur noch an stark gefährdete Personen ausgegeben, die in höherem Alter sind oder Vorerkrankungen haben.

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13.03 Uhr. Der U-Bahnhof Rotkreuzplatz ist für einen Samstagmittag verhältnismäßig leer und auch in der U-Bahn sind nicht sonderlich viele Passagiere. Die meisten wirken entspannt, manchen sieht man die Besorgnis um eine Infektion jedoch an: Ein Mädchen trägt eine Atemschutzmaske, ein Mann hält sich mit seiner Mütze am Haltegriff fest und eine Frau telefoniert mit weißen Einweghandschuhen. Auffällig ist, dass vor allem Touristen einen Atemschutz tragen, die Münchner scheinen sich da weniger Gedanken zu machen.
Im Wettbüro schaut man am Samstag jetzt Biathlon
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In der Kaufingerstraße sind dafür verhältnismäßig viele Menschen unterwegs. Vielleicht "ein bisschen weniger als sonst" ist in der Buchhandlung Hugendubel los, erzählt ein Mitarbeiter, "aber man merkt, dass die Leute andere Bücher kaufen. Mehr Lektüre zum Zeit totschlagen. Weniger Ratgeber, mehr Literatur."
Ähnlich sieht es beim Elektronikhändler Saturn aus. Hier ist auffällig, dass die Leute mehr Konsolen und Spiele kaufen als sonst. Einen Anstieg bemerken die Verkäufer in dem Elektronikmarkt vor allem beim Verkauf von Laptops. Viele statten sich für das Homeoffice aus. Und auch Kühltruhen werden vermehrt gekauft, um die Vorräte frisch zu halten.

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Alexander Losinsky steht stolz neben seinem Kunstwerk. Es handelt sich um eine Styropor-Platte, bemalt mit einer mit einer Deutschland-Flagge, darauf der Spruch: "Deutschland, halte durch!" Im ersten Moment wirkt es, als wäre er Teil der "Bürgerinitiative Ausländerstopp", die ein paar Meter weiter eine Kundgebung veranstaltet. Die Botschaft ist auf drei ausgerollte Rollen Toilettenpapier geschrieben. Schon seit Stunden steht Losinsky mit seiner Staffelei, immer wieder kommen Leute vorbei und machen Fotos von seinem kreativen Umgang mit der Corona-Klorollen-Krise. "Man muss diese Zeiten mit Humor nehmen", sagt er und fügt dann hinzu: "Gerade jetzt müssen wir zusammenhalten – aber dabei auf Abstand bleiben."
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Und doch gibt es auch viel Normalität an diesem Samstag der Unsicherheit über das, was auf die Stadt noch zukommen mag. Vor manchen Cafés ist kein Platz mehr in der Frühlingssonne zu bekommen, auf der Gerner Brücke in Nymphenburg kuschelt ein junges Paar mit Radler in der Hand und Blick in die Sonne.
Und im Bahnhofsviertel wuselt das Leben wie eh und je. Ein Blick in die Goethestraße. Vor den Wettbüros ist weniger los als sonst an einem Samstagnachmittag. Klar, es gibt keine Fußballspiele mehr. Drinnen wetten die Menschen mit Plastikkaffeebecher in der Hand jetzt auf Biathlon und Boxen – so lange das noch geht. Über Klopapier spricht hier keiner. Immerhin.
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