"Ich verwende 20 bis 30 Mäuse an manchen Tagen"
München – An die erste Maus kann sich Peter S. nicht mehr genau erinnern. Sie war weiß, aber das sind die meisten Labormäuse. Und sie wird schon etwas älter gewesen sein. Denn die jüngeren Mäuse kann man noch recht simpel töten, einfach mit einer Schere. „Bei so einer fünf Tage alten Maus kann man den Kopf superleicht abtrennen, weil das Genick noch sehr weich ist“, sagt Peter S.. „Das hört sich mies an, ist aber so.“
Seine erste Maus war etwas älter. Er musste erst ihr Genick brechen und dann den Kopf abtrennen. „Das ist die einfachste und schnellste Variante, wenn man das kann“, sagt Peter S..
Während der Doktorarbeit in München ist das gewesen, vor knapp fünf Jahren. Seitdem arbeitet er an einem großen Institut hier in der Neurobiologie, genauer: Er forscht an Gehirntumoren. Und verwendet dafür zwischen 1000 und 2000 Mäuse jedes Jahr. In manchen Monaten bekommt er dabei gar kein Tier zu Gesicht, der Großteil seiner Arbeit hat mit Zellkulturen zu tun. „Es gibt pro Jahr auch zwei, drei Monate, da schreibe ich nur, fasse nur meine Ergebnisse zusammen“, sagt Peter S. „Und dann gibt es Monate, da töte ich täglich mal 20, 30 Mäuse. Das ist projektabhängig.“
"In größeren Gruppen bin ich schnell der 'Mäusekiller'"
Mit Versuchstieren arbeiten, das polarisiert – selbst, wenn es um Forschung zu einer Krankheit wie Hirntumoren geht. Deshalb möchte Peter S. seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen. Er kennt die Reaktionen auf seinen Beruf, „vor allem in größeren Gruppen bin ich dann schnell der ‘Mäusekiller’.“ Dazu sage er nichts mehr, es ärgere ihn aber, „weil die wenigsten wissen, wie das wirklich abläuft. Und die gehen alle in die Apotheke, wenn sie krank sind.“
Gute Freunde gingen anders damit um, „die verstehen, dass es einen Sinn hat, was ich tue“. Und die Eltern? Sind voller Bewunderung, sagt Peter S.: „Meine Mutter erzählt schon mal: ‘Mein Sohnemann versucht, Hirntumoren zu heilen.’ So leicht ist es natürlich nicht.“
Peter S., Mitte 30, ist in das Forschungsfeld zufällig hineingeraten, sagt er. Im Biologiestudium kam er in eine Arbeitsgruppe, die sich mit dem Kleinhirn beschäftigte. Die einzigen Tiere, die er dafür zu Gesicht bekam, waren bereits tot, zum Sezieren vorbereitet. Für seine Doktorarbeit wollte er aber ein konkretes Thema. Er widmete sich einem Tumor, der im Kleinhirn entsteht.
Seitdem geht er mit Mäusen als Versuchsmodell um. Braun, weiß, jung, alt – sie sind für ihn Arbeitsmittel wie Handschuhe. In Deutschland wurden für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke im Jahr 2013 fast drei Millionen Tiere verwendet. 2,2 Millionen davon waren Mäuse.
„Was Medikamentenentwicklung angeht, wird schon viel versucht“, sagt Peter S. „Man kommt aber nicht um Tiermodelle herum.“ Auch, weil die Gesetzgebung für neue Medikamente noch Tierversuche vorschreibt. Und weil die Forschung an Alternativmethoden finanziell hinterherhinkt: Der Etat der Bundesregierung dafür beträgt etwa vier Millionen Euro. Gerade wurde in Berlin das Deutsche Zentrum zum Schutz von Versuchstieren eröffnet. Sechs Millionen Euro zahlt der Bund für dessen Erstausstattung, pro Jahr hat es 1,5 Millionen zur Verfügung. Allein der Bau des Biomedizinischen Zentrums der LMU in Martinsried, in dem ab 2016 knapp 60 Forschergruppen auch mit Tieren arbeiten werden, kostete 125 Millionen.
„Ich mache diese Arbeit ja auch nicht gern“
In seinem Forschungsbereich sieht Peter S. keine Möglichkeit für Alternativen. „Wenn ich ein Gen finde, das einen Tumor ausgelöst haben könnte, und ich finde etwas, das diese Mutation umkehren kann, dann kann ich das zwar in einer Zellkultur testen.“ Ob der Stoff auch im Zusammenhang eines komplexen Körpers das Tumorwachstum eindämmt, sehe er so aber nicht. „Die Tierhaltung ist mit Abstand der größte Kostenpunkt bei uns im Labor. Schon allein deswegen würden wir liebend gern darauf verzichten“, sagt er. „Und ich mache diese Arbeit ja auch nicht gern. Sobald es eine Methode gibt, in der man so etwas ohne Tiere äquivalent testen kann, mache ich sofort mit. Solange das nicht geht, habe ich für mich beschlossen, sind die Versuche okay.“
Und es hilft, dass er nur mit Nagetieren arbeitet. „Mäuse sind uns nicht so ähnlich, man kann nicht so leicht eine Verbindung aufbauen“, sagt er. Schwieriger würde es bei anderen Tieren: „An Affen würde ich wahrscheinlich nicht arbeiten. Die Ähnlichkeit zu mir selbst wäre mir zu groß. Man müsste sicher einiges ausblenden, wenn man zum Beispiel Dinge tun muss, die nicht angenehm für das Tier sind.“
Die Tiere, deren Genotyp nichts bringt, werden eliminiert
Für die Tiere, die er in seinen Experimenten benutzt, fühlt er eine Verantwortung. Er tötet sie am Ende in der Regel selbst. Doch sein Labor hält zeitweise mehrere Tausend Mäuse – transgene Tiere, bei denen bestimmte Eigenschaften durch Kreuzung an- oder abgestellt werden. Diese Mauslinien hat er nicht alle selbst im Blick: Tierpfleger sind für die Versorgung zuständig, eine Software verwaltet die gezüchteten Tiere. „Wenn ich das auch selbst machen würde, hätte ich keine Zeit mehr, im Labor zu stehen“, sagt Peter S.. „Und zu den Aufgaben der Pfleger gehört auch, dass Mäuse, deren Genotyp mir nichts bringt, eliminiert werden.“ Per Dekapitation – sie werden geköpft.
Eine Gewebeprobe, daraus die Analyse, ob das benötigte Gen oder die Gen-Kombination vorhanden ist, per Computer – und dann die Meldung von Peter S. an die Pfleger: Diese Tiere kann ich gebrauchen. Oder: Diese nützen mir nichts. „Man muss sich schon daran gewöhnen, dass du mit drei Mausklicks 20 Mäuse töten kannst“, sagt der Forscher.