Honig, Braugerste und Superfood: Das ist Münchens Kornkammer im Norden
München Man kann wirklich staunen, wie grün der Münchner Norden ist, innerhalb der Stadtgrenzen rund um die Viertel Feldmoching und Ludwigsfeld. "Das größte Dorf Münchens" nennen die Einheimischen Feldmoching gern. Oder auch: die Getreidekammer Münchens. Im Ortskern stehen noch neun aktive Bauernhöfe. Insgesamt 15 Landwirtefamilien betreiben Ackerbau, halten Hühner, Galloway-Rinder oder Pferde, dazu gibt es 14 Gartenbaubetriebe und eine Imkerei. Auf rund 1000 Hektar Land rund um den Feldmochinger- und den Fasaneriesee pflanzen und ernten die Betriebe Getreide, Mais, Kartoffeln, Raps, Gemüse, Obst, Kräuter, Blumen und mehr. Und versorgen damit auch die Münchnerinnen und Münchner - von Kräutern für den Viktualienmarkt über Gemüse für die Großmarkthalle bis zur Braugerste für die Augustiner-Brauerei.
Radltour am Sonntag: Durch den grünen Norden München
Wer sich das genauer anschauen will: Diesen Sonntag findet ab 11 Uhr eine Radl-Rundtour für alle statt, organisiert vom "Bündnis München Nord" und unterstützt vom Bauernverband, Bund Naturschutz, Landesbund für Vogelschutz und anderen. (genaue Infos finden Sie am Ende des Artikels). "Wir glauben, dass viele Münchnerinnen und Münchner gar nicht wissen, wie schön es bei uns ist, und was unsere Höfe alles für die Stadt produzieren", sagt Theresa Kassner vom Bündnis, "wir wollen das jetzt einfach mal allen zeigen." Die Tour führt ab 11 Uhr vom Zehentmeier-Hof im Ortskern (Feldmochinger Straße 400) rund 15 Kilometer durch die Felder, Wiesen und Biotope von Feldmoching und Ludwigsfeld, am Ufer des Feldmochinger Sees entlang und hinauf bis zum Würmkanal. An verschiedenen Stationen öffnen Landwirte und Gärtner ihre Höfe – und erzählen, wie sie arbeiten und auch, welche Sorgen sie umtreiben.

Notfalls Zwangsenteignung: Stadt will hier Tausende Neubauwohnungen schaffen
Denn seit Jahren befasst sich die Stadt München mit der Frage, wie der dünn bebaute "Norden" so überplant werden kann, dass Tausende Neubauwohnungen darauf passen. 2020 hat sie Vorbereitungen für eine Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme begonnen. Die "SEM Nord" soll Planen aus einem Guss ermöglichen und erlaubt theoretisch, dass die Stadt (der nur ein Drittel des Planungsgebiets gehört) Grundeigentümer enteignen kann, wenn die nicht freiwillig verkaufen.
900 Hektar groß ist das Planungsgebiet um Feldmoching, darunter sind 440 Hektar Ackerland. Rund 220 Hektar kommen für eine zusammenhängende Bebauung infrage, hieß es zuletzt. Welche Grundstücke es treffen wird, ist noch offen, gerade läuft dazu eine Machbarkeitsstudie. Bereits fertig ist ein Agrarstruktur-Gutachten: "Großflächiger Flächenentzug" durch die SEM-Pläne werde wahrscheinlich dazu führen, "dass einige bis viele Betriebe aufhören müssen", heißt es darin. Dabei übergeben viele Landwirte ihre Höfe gerade an die nächste Generation - und die will freilich auf ihrem Boden weitermachen.
Die AZ hat einige der Landwirte, Gärtner und den Imkermeister besucht. Wie schaut es dort aus?
Jungbauer Martin Zech (22) vom Zehentmeier-Hof
Mais soweit das Auge reicht, gleich hinter der Feldmochinger Kirche. Im Süden ragt fünf Kilometer Luftlinie entfernt der Olympiaturm auf. Daneben der O2-Tower. Auch wenn es so ausschaut, als sei man hier weit außerhalb Münchens - es stimmt nicht. Das Feld entlang der Hammerschmiedstraße, in dem Jungbauer Martin Zech (22) gerade steht, liegt auf Stadtgebiet. Und ist nur eines von 50 Feldern, die seine Familie rund um ihren Zehentmeier-Hof bewirtschaftet. Auf 100 Hektar Land bauen sie neben Mais für die Viehzucht auch Kartoffeln, Getreide und Raps an. Die Braugerste geht an Augustiner, die Quinoa landet in vielen Münchner Restaurants auf dem Tisch.

Die Geschichte des Zehentmeier-Hofs, der im Ortskern von Feldmoching liegt, reicht bis 1656 zurück. Mehr als 200 Jahre schon bewirtschaftet ihn die Familie Zech. Die frühere Bullenmast gibt es nicht mehr. Aber neben dem Ackerbaubetrieb haben sie einen Hofladen, in dem viele Münchner Eier, Kartoffeln, Marmelade und mehr kaufen. Wenn es nach Martin Zech Junior geht, soll das so bleiben. Er studiere Landwirtschaft, um den Hof zu übernehmen, sagt er, "so habe ich mir als Kind meine Zukunft vorgestellt." Aber wie wird die werden? Etwa ein Drittel ihrer Felder (ein Teil ist gepachtet) liege im SEM-Gebiet, auf dem die Stadt groß bauen will. Dass sich der Ackerbau mit viel weniger Fläche noch rentieren wird, glauben die Zechs nicht. "Wir sind Stadtbauern", sagt der Junior, "das hat den Vorteil, dass wir für vieles kurze Wege haben." Es hat aber auch einen entscheidenden Nachteil. Die Stadt greift nach seinem Acker. Ob sich sein Kindheitstraum also mal erfüllt? Er weiß es nicht.
Kräutergärtner Daniel Kufner (33)
Wer von der Feldmochinger Kirche aus über die Felder Richtung See und dann links in die Obermoosstraße radelt, stößt auf ein kleines Idyll mit Wohnhaus, Glashaus und zwei Folienhäusern, das sich als Gemüsegärtnerei entpuppt, spezialisiert auf Kräuteranbau. Daniel Kufner (33) pflanzt hier mit seinen Eltern 40 Sorten Kräuter an, von Basilikum bis Amaranth. Nicht nur in den Gewächshäusern, auch auf zwei Hektar Freiland ein Stückerl weiter im Süden, das sie von Bauern dazugepachtet haben. 25.000 Kräutertöpfe, 150.000 Bündel Schnittkräuter, dazu Wildkräutersalate und Kürbisse liefern sie pro Jahr (und in aller Herrgottsfrüh) an die Standl am Viktualienmarkt, in Münchner Wirtshäuser und Restaurants.

Säen, ernten, bewässern, liefern - die Arbeitstage sind 14 bis 16 Stunden lang, "das machst du nur, wennst eine Leidenschaft dafür hast", sagt Kufner-Junior. Die Eltern (sie haben die Firma 1988 gegründet), möchten an den Sohn übergeben. Und der will vergrößern, auf seinem Grund eine Halle zum Kürbislagern bauen, auch Betriebswohnungen. "Wird mir nicht genehmigt", sagt er, weil wegen der SEM alles unklar sei. "Die Stadt darf neben mir Tausende Wohnungen hinstellen, aber ich kriege meine Halle nicht? Das verstehe ich nicht."
Landwirt Max "Bell" Zech (26)
Am Ende einer Bergahorn-Allee an der Obermoosstraße grasen drei wuschelige Rinder und ein Kälbchen. Es sind britische Galloways, die das ganze Jahr draußen stehen mit ihrem Teddyfell. Sie gehören Max Zech (26), den in Feldmoching alle "Bell" (oder Perl) nennen, weil er der Bauer vom Perlschusterhof ist, seine Eltern haben den Hof mit Ackerbaubetrieb vor zwei Jahren übergeben. "Ein Mal im Leben wollt ich einen Stier großziehen", sagt der Landbautechniker. Und als er gehört hat, dass Arthur, ein weißer Stier, zum Schlachter soll, weil er ausgewachsen ist und ein "supermarmoriertes Fleisch" hat, hat er ihn gekauft und abgeholt.

So ein schönes Tier sterben lassen, damit es im Gourmetrestaurant auf den Teller kommt, "das geht für mich überhaupt nicht", sagt Bell - er ist schon lange Vegetarier. Dazu kamen der Ochse Wacki, die Kuh Ruby, und seit sie gekalbt hat, auch die Rosi, "die leben ihr Leben jetzt bei mir fertig." Geld bringen die Galloways keine, "reines Hobby" sind die, sagt Bell. Auch, damit Münchner Spaziergänger was zu schauen haben, "Rindviecher stehen ja sonst im Stall, Kinder sehen sowas ja gar nicht mehr." Schon früh um 5 stehen oft Jogger da und machen Bilder. "Du siehst den Alpengürtel, du siehst Viecher, du riechst Viecher, bei uns herumschauen, das ist für viele Leut wie ein Kurzurlaub." Seinen Perlschusterhof übrigens gibt es seit 1610 in Feldmoching, über 200 Jahren bewirtschaften ihn die Zechs. Bell baut auf 24 Feldern im Umkreis von drei Kilometern Kartoffeln, Karotten, Braugerste und mehr an. Der größte Teil ist gepachtetes Land. Wie er auf die großen Neubaupläne für Feldmoching schaut? "Mich zerfrisst's", sagt er. "Weil das Land meine Heimat ist. Und mein Hof meine Zukunft."
Großgärtner Stefan Strobel (36)
Hallengroße Gewächshäuser am Torfstich in Ludwigsfeld, dazwischen leuchtende Felder mit Dahlien, Kokardenblumen, Lavendel. Noch mehr Blumenfelder weiter nördlich, Richtung Feldmoching. Auf sechs Hektar Land produziert die Großhandelsgärtnerei von Stefan Strobel (36) jedes Jahr 1,5 Millionen Topf-Zierblumen, bis zu 60.000 Jungpflanzen topfen sie pro Woche für den Münchner Blumengroßmarkt, Gartenmärkte, den Westfriedhof und die Friedhöfe in Feldmoching. Der Großvater hatte 1968 klein angefangen. Damals sei die Stadt München noch interessiert gewesen, dass sich an den Schrederwiesen, wo ein Gestüt gewesen war, Landwirtschaft ansiedelt, erzählt Strobel - und habe dem Opa einen Hektar Land verkauft.

Vor fünf Jahren hat der Diplomingenieur für Gartenbau in dritter Generation den Betrieb übernommen, heute arbeiten neben seiner Familie noch 53 Mitarbeiter mit. 60 Stunden hat Strobels Arbeitswoche, sagt er, und: "Für mich ist der Beruf die volle Erfüllung. Nach einem Tag am Feld, wenn du siehst, wie die Pflanzen wachsen, die Bienen fliegen, da bist du zufrieden und im Reinen mit dir." Aber auch die Stadt müsse froh sein, dass die Strobels sind, wo sie sind. "Das ist unser Joker, dass wir so nah an München sind. Weil, wenn am Wochenende das Wetter dreht, wenn's schlagartig Frühling oder Sommer wird, brauchen die Märkte sofort frische Ware, und wir können sofort da sein." Was also, wenn die große Neubebauung kommt? Wenn einer wie er Land abgeben soll. Oder muss? "Wo sollen wir dann hin?", fragt Strobel nur. "Für mich gibt es kein Szenario, wo ich mir das vorstellen kann."
Imkermeister Eddie Obika (48) am Seeufer
Am Nordufer des Feldmochinger Sees, an der Karlsfelder Straße 58, steht der Hof "Zum Fischer" (seit 1735) von Eddie Obika. Den Ackerbau- und Viehzuchtbetrieb haben seine Großeltern zwar eingestellt. Aber Obika (48) ist Imkermeister und hat am Hof die Bio-Imkerei Sizzerbees aufgebaut. 70 Ertragsvölker mit fünf Millionen Bienen versorgt er, sie produzieren fünf bis zehn Tonnen Honig im Jahr. Er bringt sie im Umkreis von zehn, 20 Kilometern immer dorthin, wo gerade viel blüht. Im April zu Obstbäumen und Rapsfeldern, im Mai zu Robinien, ab Juni zu Linden.

Gerade stehen 24 seiner Völker am Fasaneriesee, weitere am Flaucher und am Englischen Garten. Jetzt, mit Ende der Lindenblüte, werden bis November die Blühweiden wichtig, die Bauern auf abgeernteten Feldern pflanzen. Je mehr davon da sind, desto besser, "nicht nur für Bienen, auch für Hummeln, für Schmetterlinge", sagt Obika. Und blickt mit Sorge darauf, wie viele Naturflächen verschwinden könnten mit den riesigen Neubauplänen für Münchens Norden. Dabei ist die Versiegelung um ihn herum längst im Gange: Vor drei Jahren ist an der Hochmuttinger Straße, zwei Kilometer weg, eine acht Hektar große Wiese verschwunden, "die hat den besten Löwenzahn-Honig beschert." Gerade werden 610 Wohnungen gebaut. Für seine Bienen ist kein Platz mehr.
Bauer Florian Kraft (36): Erntefeld für alle
Fünf Radlminuten nördlich von Obikas Imkerei, an der Ecke Schwarzhölzl-/Heppstraße (hinter der A99), hat Florian Kraft (36) vom Feldmochinger Krafthof (der alte Hausname ist Brodahof) ein 4000 Quadratmeter großes Erntefeld für Spaziergänger gepflanzt. Nur dass man da nicht wie üblich Blumen oder Erdbeeren selber vom Feld pflückt, sondern Salate und Gartengemüse. Zucchini, Kohlrabi, Lauch und Rote Bete, sprießen da, Blaukraut (Stück 1,50 Euro), Mangold (Bund 1 Euro) und verschiedenste Salatsorten. "Frischer kannst sowas nicht kriegen, hab ich mir gedacht", sagt der Landwirt, der auch Koch gelernt hat, "direkt vom Feld, ohne Umweg über einen Markt." Das Feld für alle ist neu, zieht aber schon viele Menschen an. 50 kommen pro Tag zum Ernten, schätzt er, sonntags eher 100. "Hat sich schon gelohnt", meint er.

Obwohl Florian Kraft seit Februar jeden Tag zwei Stunden hier am Feld verbringt, um alles zum Wachsen zu bringen. Dabei hat der Bauer auch sonst genug zu tun: 100 Hektar Ackerland auf 35 Einzelfeldern bewirtschaftet er mit seinen Eltern, der Freundin und einem Mitarbeiter. Sie bauen Weizen, Gerste, Hafer, Mais, Raps und Ackerbohnen an. Heu produzieren sie für eine Pferdeklinik, die Kartoffeln verkaufen sie direkt am Hof. Florian Kraft ist die vierte Generation seiner Familie auf dem Brodahof. Gut die Hälfte seiner Felder (die meisten sind gepachtet), liegen im SEM-Gebiet, auf dem gebaut werden könnte. Wie würde er weitermachen, wenn er die Felder verliert? "Umdenken", sagt er, "mehr direkt am Feld pflücken lassen, vielleicht." Ideen ausprobieren, wie das Maislabyrinth, das er am 20. Juli als Spielplatz für Kinder mit kleinem Eintritt eröffnet. "Aber auf keinen Fall aufhören."
Quinoa-Bauer Andreas Grünwald (32)
Weizen, Gerste, Mais, Soja - auf 100 Hektar Land um seinen Hof (seit 1886) im Ortsteil Ludwigsfeld betreibt Andreas Grünwald (32) Ackerbau. 250 Hühner hat er auch, die laufen frei herum, die Eier kann man an der Haustür kaufen. Vor zwei Wochen haben die Eltern dem jungen Grünwald den Hof übergeben - er ist die fünfte Generation seiner Familie, die hier Landwirtschaft betreibt.

Dass sie ihr Milchvieh 2016 abgegeben haben, weil da schon unklar war, ob ihr Hof die Neubaupläne der Stadt für Feldmoching übersteht, schmerzt den Landwirt bis heute. Aber er schaut lieber nach vorn und baut stattdessen das Superfood Quinoa an, das immer mehr junge Münchnerinnen und Münchner essen. Ob er sich vorstellen kann, Pachtflächen abzugeben oder den Hof zu verkaufen? "Wir denken doch nicht ans Verkaufen", sagt er, "wir arbeiten immer für die nächste Generation."
Info: Startpunkt der Tour "Radl dich schlau" an diesem Sonntag (14.7.) ist am Zehentmeier-Hof der Familie Zech (Feldmochinger Straße 400). Jeder kann individuell zwischen 11 und 14 Uhr starten. Anmeldung und Tour-Infos gibt es vor Ort. Um 16 Uhr findet eine Schlussfeier mit Speisen und Getränken statt. Teilnahme: 2 Euro (Kinder frei). Bei Regen wird eine Woche später geradelt, am 21. Juli. Mehr Infos: www.buendnis-muenchen-nord.de
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