Herrmann über OEZ-Attentat: "Da ist sicherlich ein rassistischer Ansatz"

München - In vier Wochen jährt sich der Massenmord am OEZ zum zweiten Mal. Am 22. Juli 2016 erschoss David S. acht Jugendliche und eine Frau mit Migrationshintergrund. Die Einordnung dieser Tat beschäftigt nach wie vor Polizei, Politiker, Wissenschaftler und seit kurzem auch das FBI. Die AZ bat Innenminister Joachim Herrmann um Antworten.
AZ: Herr Herrmann, kurz nach den Morden und auch im März 2017, als die Ermittlungen zunächst abgeschlossen waren, haben Sie die Tat als unpolitischen Amoklauf bezeichnet. Sehen Sie sie immer noch so?
JOACHIM HERRMANN: Schon seit längerer Zeit ist meine Einschätzung, dass viele Ursachen zu dieser schrecklichen Tat geführt haben. Da ist zum einen sicherlich ein rassistischer Ansatz. Zum anderen gab es aber auch beispielsweise die Mobbingerfahrung. Das alles müssen wir in die Bewertung mit aufnehmen. Nach fast zwei Jahren sind unser Wissen und unsere Erkenntnisse zur Tat und zum Täter wesentlich umfangreicher, als noch vor über einem Jahr.
Haben die Gutachten dazu geführt, dass Sie die Tat heute anders einordnen?
Die Gutachten habe ich durchaus aufmerksam zur Kenntnis genommen.
Warum tun sich bayerische Ermittler so schwer damit, einen rechtsextremen Anschlag als solchen zu benennen?
Entscheidend für die Einordnung ist das bundesweit gültige Definitionssystem "Politisch motivierte Kriminalität". Es muss eine politische Motivation des Täters vorliegen. Entscheidend sind hier beispielsweise Äußerungen des Täters, die auf seine rassistische Gesinnung hindeuten. So wie sich der Täter vor und während der Tat geäußert hat, geht man derzeit davon aus, dass für ihn, der selbst ein Flüchtlingskind war, die Rache für das erlittene Mobbing durch türkischstämmige Mitschüler im Vordergrund gestanden haben dürfte. Ich sehe aber eben auch einen rassistischen Ansatz und damit eine Kombination in der Motivlage. Man muss die Tat differenziert sehen. Eine einseitige Bewertung als Amoklauf oder als politisch motivierte Kriminalität wird uns am Ende nicht weiterbringen, es gibt kein entweder/oder.
Sie sagten mal, dass David S. kein Rechtsterrorist gewesen sei, da er nicht in einer entsprechenden Organisation gewesen sei. Ist diese Einordnung noch zeitgemäß?
Ich habe lediglich darauf hingewiesen, dass der Täter keiner rechtsextremistischen Organisation angehört hat. Richtig ist aber, wie wir auch aus dem islamistischen Bereich wissen, dass sich heute im Internet auch Täter selbst radikalisieren können.
2017 sind die Akten geschlossen worden. Nun wurde bekannt, dass es eine Verbindung von David S. zu William A. aus New Mexico gab. Dieser gründete einen "Anti-Refugee-Club" im Netz, glorifizierte David S. nach den Morden und verhöhnte die Opfer. Im Dezember 2017 wurde A. selbst zum Mörder. Warum ist die Polizei den Online-Kontakten von David S. seinerzeit nicht nachgegangen?
Es gab wohl eine Verbindung zu dem Täter in den USA. Die Staatsanwaltschaft und das Landeskriminalamt haben neue Ermittlungen aufgenommen. Diese laufen derzeit noch, Anfragen an Sicherheitsbehörden in den USA sind noch nicht beantwortet. Das Ergebnis der Ermittlungen sollten wir jetzt abwarten.
Immer mehr Menschen radikalisieren sich im Netz. Sind bayerische Ermittler in der Lage, potenzielle Massenmörder zu identifizieren und solche Taten zu verhindern?
Bereits seit Beginn der 2000er Jahre hat die Bayerische Polizei Spezialisten im Dienst, die sich mit Straftaten im Internet auseinandersetzen. Die Netzwerkfahndung im LKA ermittelt regelmäßig, wenn Amok- oder Suizidtaten im Internet angedroht werden. Wir sind also im Netz schon lange präsent. In einem demokratisch legitimierten Staat ist aber eine Totalkontrolle des Internets ausgeschlossen. Die wäre auch angesichts des Umfangs der digitalen Welt gar nicht möglich.
Werden die Morde am OEZ eines Tages doch noch im Verfassungsschutzbericht in der Rubrik "Politisch motivierte Kriminalität rechts" auftauchen?
Etwaige Änderungen bei der Einordnung fließen in einen künftigen Verfassungsschutzbericht selbstverständlich ein.