Heinrich-Mann-Biograph Günther Rüther: "Ein Erinnerungsort fehlt"
München - Günther Rüther hat eine Biographie über Heinrich Mann geschrieben: "Heinrich Mann. Ein politischer Träumer." Ein Interview über Heinrich Mann, München und fehlende Gedenkorte.
AZ: Herr Rüther, vor Kurzem kam die Nachricht, dass das Heinrich-Mann-Haus in München abgerissen werden soll. Mann hat dort viele Jahre gelebt. Sie haben an die AZ-Redaktion geschrieben und dafür plädiert, an der Stelle ein Museum einzurichten. Warum?
GÜNTHER RÜTHER: Es gibt in München bisher kein Heinrich-Mann-Museum, und im ganzen Rest von Deutschland gibt es auch keines. Es gibt fast überhaupt keine Erinnerungsorte für diesen großartigen Dichter. Das Einzige, was es gibt, ist das Buddenbrook-Haus, aber in dem geht es in erster Linie um Thomas Mann, seinen Bruder. Ein bedeutender Erinnerungsort für Heinrich Mann fehlt und dafür wäre München ein toller Standort.

Warum ausgerechnet München?
In Heinrich Manns Leben hatten vier Städte eine große Bedeutung: München, Berlin, Nizza und Los Angeles. Und keiner der anderen Städte war er so intensiv und lange verbunden wie München. Heinrich Mann hat viele Jahre, von 1914 bis 1928, hier gelebt, länger als in jeder anderen Stadt, zumindest, wenn man seine Windeljahre nicht mitzählt.
"Thomas Mann war ein Parteigänger des Wilhelminischen Reiches"
1914, als Heinrich Mann nach München kam, hat gerade der Erste Weltkrieg begonnen...
Ja, und Heinrich Mann war entschieden gegen diesen Krieg. Er hat sich auch mit seinem Bruder Thomas sehr darüber gestritten. Thomas Mann war ein Parteigänger des Wilhelminischen Reiches und hat ganz schreckliche Kriegsschriften veröffentlicht. Heinrich hat auf diese Schriften in seinem Zola-Essay geantwortet und seinem Bruder diese Position vorgeworfen. Die beiden haben sich erst Jahre später wieder versöhnt.

Heinrich Mann hat sich auch in der Revolution engagiert, die 1918 den Krieg endgültig beendet hat.
Er hat damals den Rat der geistigen Arbeiter gegründet, mit dem er die Rolle der Intellektuellen in der Politik stärken wollte. Der Rat der geistigen Arbeiter war so etwas ähnliches wie ein Soldatenrat, wovon es damals ja viele gab. Heinrich Mann stand diesem Rat vor, er hat sich auch selbst als geistiger Arbeiter verstanden.
Heinrich Mann: "Kurzzeitig ein Antisemit"
Das Heinrich-Mann-Haus gehört aktuell dem Wittelsbacher Ausgleichsfonds. Das Geld, das mit seinem Abriss verdient wird, fließt also an die Nachkommen der Wittelsbacher Monarchie. Ein Treppenwitz der Geschichte?
Gewissermaßen ja. Das ist ja der Name der Dynastie und mit der hatte es Heinrich ja nicht mehr so sehr an ihrem Ende. Er ist allerdings noch am Ende des 19. Jahrhunderts ein großer Verfechter des Wilhelminischen Reiches gewesen - und übrigens kurzzeitig auch ein Antisemit. So wie auch sein Bruder Thomas. Das hat sich erst nach der Jahrhundertwende verändert. Da hat sich Heinrich vom Kaiser abgewandt und dem Volk zugewandt.
Halten Sie es für realistisch, dass ausgerechnet die Wittelsbacher jetzt ein Museum für Heinrich Mann einrichten?
Sie müssten das Museum ja nicht selbst betreiben. Zudem kann ich mir vorstellen, dass die Persönlichkeiten, die diesem Fond vorstehen, durchaus ein positives Bild von Heinrich Mann gewinnen können, wenn sie erfahren, dass er gar kein Kommunist war. Und wenn die Wittelsbacher sich mit Heinrich Mann verbünden würden, das wäre doch ein wunderbares demokratisches Signal.

Heinrich Mann: Großer Anhänger der Weimarer Republik
Möglicherweise wäre Heinrich Mann von diesem Signal nicht übermäßig begeistert. Er hat ja immerhin viel Kraft und Energie darauf verwendet, die Wittelbacher Monarchie zu stürzen.
Sein Streben richtete sich ja nicht gegen einzelne Personen oder Dynastien, sondern auf ein demokratisches Deutschland. Heinrich Mann war ein großer Anhänger der Weimarer Republik. Das muss man immer wieder betonen, weil er oft für einen Kommunisten gehalten worden ist und deswegen in der BRD nie eine Rolle gespielt hat.
Heinrich Mann ist immer für eine stärkere Zusammenarbeit mit den Kommunisten eingetreten.
Das muss man im Zeichen der Zeit sehen. Für Heinrich Mann waren die Kommunisten und die Sowjetunion die große Schutzmacht gegen die Nazis. Und gerade weil er für die Weimarer Republik war, musste er Antifaschist sein.
Wie hat sich das gezeigt?
In der Endphase der Republik tritt das ganz stark hervor. Damals hat er mit Käthe Kollwitz und Albert Einstein zu einem Bündnis der Antifaschisten aufgerufen und in Berlin plakatiert, dass man alles tun solle, um die Nazis zu verhindern. Damit war er für die Nazis, als sie 1933 an die Macht kamen, ein toter Mann. Deshalb ist er ins Exil gegangen. Er hat Warnungen bekommen und ist direkt losgefahren, mit Schirm, Aktentasche und kleinem Koffer nach Südfrankreich, wo er sein neues Zuhause fand.
"Heinrich Mann ist immer noch ein Forschungsgegenstand"
Was könnte man in einem Heinrich-Mann-Museum ausstellen?
Man könnte eine Stadtschreiberwohnung schaffen. Oder ein münchen-kulturelles Museum, mit Schriften aus dem Rat der geistigen Arbeiter, seiner Meinung über den Krieg, seinen Republikreden. Und man könnte zeigen, wie er gelebt hat damals. Bislang fehlt einfach ein Ort, der Heinrich Mann in seiner Widersprüchlichkeit zeigt. Mann ist immer noch ein Forschungsgegenstand. Zum Beispiel sein Briefwechsel, der ist nie zusammengefasst irgendwo veröffentlicht worden. Wenn man den lesen will, dann muss man sich jeden Brief einzeln aus irgendwelchen Archiven raussuchen.
Diese Briefe zusammenzutragen: Wäre das vielleicht ein Projekt für Sie?
Ich bin ja ein alter Mann, das müssen andere machen. Aber für ein Museum wäre das natürlich auch ein tolles Projekt. Eine große Lösung, die diesem vielschichtigen, bedeutsamen Mann gerecht werden würde.
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