"Hauptsächlich Leichenfledderer": Das traurige Ende von Karstadt am Hauptbahnhof München
München - Unsicher nähert die Frau sich dem breiten Eingang von Galeria Karstadt Kaufhof an der Schützenstraße. "Alles muss raus", verkünden knallige Schilder an den Glastüren. "Hat der noch offen?", fragt die Passantin. Ja, an diesem Freitag und Samstag ist die Filiale zwischen Stachus und Hauptbahnhof noch geöffnet. Danach ist Schluss: Das Traditionskaufhaus muss schließen.
Das alte Gebäude soll abgerissen werden und einem großen Neubauriegel mit Büros weichen, so der Plan von Großinvestor René Benko. "Dann streife ich noch mal durch", sagt die Frau und öffnet die Türen. Keine drei Minuten später sieht man sie wieder nach draußen eilen. "Es gibt nichts mehr", ruft sie im Vorbeigehen.
Grabesstimmung im Karstadt am Hauptbahnhof in München
Tatsächlich herrscht innen eine seltsame Atmosphäre, gespenstisch und geschäftig zugleich. Überall wuseln Arbeiter durch die Gänge, schieben Rollregale hin und her und räumen Reste aus. Waren gibt es allerdings kaum noch, entsprechend wenige Kunden schauen sich am Freitagvormittag im Laden um. Begehrt scheinen vor allem die blauen Plastikkisten mit Kleiderbügeln, ein Stück davon ist für 20 Cent zu haben.

Unweit davon warten noch vier, fünf Ständer mit stark reduzierter Kleidung. Für vier Euro bekommt man einen grau gemusterten Pulli, von dem gleich mehrere an der Stange hängen, daneben findet man Faschingskostüme: ein blau-rot glitzerndes Cheerleader-Kleid und ein Hexenrock aus Tüll.
Ein Tag vor Schließung: Hier gibt es keine Schnäppchen mehr
Die Regale, in denen vor nicht allzu langer Zeit noch Parfüm präsentiert wurde, sind bereits völlig leer. Nur leuchtende Schilder zeigen noch, dass es hier einmal Damen- und Herrendüfte gab. Auch die Schmuckabteilung besteht nur noch aus gläsernen Vitrinen ohne Inhalt.
Trotzdem streift der ein oder andere Passant noch suchend durch die leeren Gänge - vielleicht lässt sich ja doch ein Schnäppchen machen. In den letzten Tagen seien hauptsächlich die "Leichenfledderer" unterwegs gewesen, scherzt Betriebsrat Eduard Wölbitsch.

Aber auch manch alter Stammgast will sich am Freitag noch einmal von seinem Karstadt verabschieden. Eine Frau lacht kurz ungläubig auf, als sie die leeren Vitrinen sieht. "Wahnsinn", hört man sie murmeln.
Vor der abgesperrten Rolltreppe steht ein wenig irritiert eine ältere Dame. Nach oben geht es an diesem Tag nicht mehr. Sie habe schon erwartet, dass es noch mehr gibt, sagt die Rentnerin. Gebraucht habe sie zwar nichts, aber schauen wollte sie noch ein letztes Mal. "Ich bin immer gern gekommen. Man hat hier alles bekommen."
"Hertie" war Münchens Lieblingskaufhaus
Auch Betriebsrat Wölbitsch weiß, wie beliebt das Kaufhaus bei den Münchnern war. Dass gerade die Filiale am Bahnhof schließen muss, hält er für einen Fehler. "Das ist einfach ein Traditionshaus." Seit Monaten erlebt er eigener Aussage nach eine Achterbahnfahrt der Emotionen zwischen Hoffen, Bangen und Rückschlägen.
Den 250 Mitarbeitern gehe es nicht anders. Bis zum 30. Juni sind sie noch bei Karstadt angestellt, nach der Schließung werden sie noch die ein oder andere Verwaltungstätigkeit übernehmen, sagt Wölbitsch.
Die Chance, in eine der vier anderen Münchner Filialen zu wechseln, ist dem Betriebsrat zufolge eher gering, da es nur wenige offene Stellen gebe. Manche hätten jedoch bereits neue Jobs gefunden.
Karstadt in München: Mitarbeitende waren wie eine Familie
Doch eine andere Stelle wird nicht dasselbe sein, da ist sich Zerin Kader sicher. Die 53-Jährige ist zwar dankbar, dass sie bei einem anderen Unternehmen unterkommt, die Zeit bei Karstadt ist für sie aber eine ganz Besondere gewesen.
Seit 14 Jahren steht sie in der Filiale am Bahnhof an der Kasse und hat ihre Arbeit immer gern gemacht, sagt sie. Viele Stammkunden kannte Kader schon gut. Entsprechend groß ist die Verwunderung über die Schließung: "Keiner hätte damit gerechnet. Die Leute haben dieses Haus gemocht, es ist ein Teil von München."

Immer wieder kommen der Kassiererin die Tränen, wenn sie an den Ladenschluss am Samstag denkt. "Ich kann es immer noch nicht glauben." Vor allem ihre Kollegen werden ihr fehlen: "Wir sind wie eine Familie geworden."
Betriebsrat Wölbitsch gibt sich indes kämpferisch – er hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass es doch noch Rettung gibt. Denn seit einiger Zeit laufen im Hintergrund Gespräche über die Zukunft der beliebten Filiale. Wölbitsch kennt deren konkreten Inhalt eigener Aussage nach zwar nicht, "aber wir hoffen nach wie vor auf ein Wunder am Bahnhof".
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