Am Münchner Hauptbahnhof: Nichts bleibt, wie es ist
München – Vor dem provisorischen Reisezentrum in der Bahnhofshalle hat sich eine lange Menschenschlange gebildet, andere Reisende sind genervt, sie müssen einen großen Bogen mit ihren Koffern machen, um vorbeizukommen. Ein paar Meter weiter verstauen Touristen ihr Gepäck – auch die Schließfächer sind umgezogen, vorübergehend in einen Durchgang zur Bayerstraße. Es ist voll und eng, es wuselt und überall ist Provisorium: Willkommen auf der Großbaustelle Hauptbahnhof München.
Manch Münchner mag sich fragen, wann es hier mal richtig vorangeht. Doch der Eindruck, dass dem nicht so wäre, trügt. "Die DB ist mit den Bauarbeiten am Hauptbahnhof voll im Zeitplan", sagt ein DB-Sprecher. Während hier täglich 450.000 Menschen ankommen, abreisen, ein-, aus- und umsteigen, arbeiten und einkaufen – währenddessen schaffen im Untergrund mehr als 100 Bauarbeiter jeden Tag. Mit schweren Maschinen graben sie sich immer weiter in die Tiefe.


"Nichts bleibt, wie es mal war"
Hinter den hohen Bretterwänden am Bahnhofsplatz, dort, wo früher der Haupteingang war, tut sich ein riesiges Loch auf, das immer größer wird. "Das ist der Canyon ", sagt Anna Prieß, Projektingenieurin für die Zweite Stammstrecke. Arbeiter, Ingenieure und alle, die an dem Projekt beteiligt sind, nennen so die XXL-Grube.
Schon jetzt geht es hier 22 Meter in die Tiefe. Und das ist erst etwas mehr als die Hälfte. Wenn der neue Hauptbahnhof mal fertig ist, wird hier der zentrale Haupteingang sein, 41 Meter tief wird man dann hinunterschauen können, auf die Rolltreppen und die verschiedenen Ebenen. In 41 Metern Tiefe werden dann hier die Menschen am neuen S-Bahn-Halt der Zweiten Stammstrecke ein- und aussteigen. Sogar dort unten soll noch Tageslicht zu sehen sein.
An der Baugrube wacht die Heilige Barbara
2035 und 2037 soll die Zweite Stammstrecke in Betrieb gehen. Kosten: sieben Milliarden Euro (Stand 2021/Preissteigerungen nicht eingerechnet).
Während sich die Arbeiter Meter um Meter nach unten vorkämpfen, ist ihre Schutzpatronin dabei. Sankt Barbara wacht an der Baugrube. Die Baufirmen haben die Heiligenfigur aufgestellt. Damit sie keinen Schaden nimmt, ist sie eingegittert. Die Heilige Barbara ist die Schutzpatronin der Bergleute und auch der Tunnelbauer.


Und auch eine Hütte für die Pausen haben die Arbeiter: Sie schaut aus, als sei sie direkt von einer Alm ins Zentrum Münchens geschafft worden. Drinnen hängt ein Augustiner-Blechschild an der Wand, das haben die Arbeiter bei Abbrucharbeiten gefunden.
Nach und nach verschwinden sie alle, die Gebäude des alten Hauptbahnhofs. "In den letzten 18 Monaten haben wir insgesamt 60.000 Kubikmeter abgebrochen. Das entspricht einer Industriehalle, die so groß ist wie ein Fußballfeld", sagt Andreas Tröger, Projektmanager Team Technik. Seit 2019 verschwindet das alte Empfangsgebäude Stück für Stück. Das neue wird siebengeschossig mit viel Platz für Reisezentrum, Fundbüro, Shops und Gastro. Darunter sind Tiefgeschosse für fast 200 Autos und 600 Fahrräder geplant.
Doch bis es so weit ist, muss erst ein Übergangsbahnhofsgebäude gebaut werden, das rund zehn Jahre später – wenn es nicht mehr gebraucht wird – wieder abgerissen wird.
Dieses Interimsgebäude wird auf dem südlichen Bahnhofsplatz an der Bayerstraße gebaut und soll barrierefrei mit der Gleishalle verbunden werden. 2026 soll es fertig sein und dann das Reisezentrum, die DB Info und die Fundstelle beherbergen. Auch der neue Zugang zur U4 und U6 soll Ende 2026 fertig werden.
Dort, wo früher die Taxis am Bahnhofsplatz standen, wird aktuell der Treppenabgang zur U4/U5 zurückgebaut. Er muss dem neuen Empfangsgebäude weichen - und außerdem einem (Vorhalte-)Bauwerk für die U9.
Unter dem früheren Taxi-Standplatz ist ein Bunker
Unter dem früheren Taxistellplatz befindet sich ein unterdischer Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg (1941 bis 43 gebaut). Er hat 3,10 Meter dicke Wände und eine 2,50 Meter dicke Decke. Derzeit wird der Bunker als Lagerfläche genutzt. "Wir müssen die Bodenplatte des Bunkers tieferlegen", sagt Ingenieur Frank Gebhart. "Durch die vielen Bestandsbauten drumrum, müssen wir sensibel vorgehen."
"Nichts bleibt, wie es mal war", sagt Jörg Müller, Technikleiter für die 2. Stammstrecke. In den vergangenen Monaten wurden allein unter dem Querbahnsteig in der Bahnhofshalle 130 Pfähle verbaut und neue Fundamente gezogen – alles unter den Füßen Tausender Menschen, die hier tagtäglich unterwegs sind.
Und auch über ihren Köpfen stehen Bauarbeiten an. Das Dach über dem Querbahnsteig, 20 mal 140 Meter groß, soll 2025 abgerissen werden. Ein 80 Meter hoher Kran – einer der höchsten Münchens – steht schon bereit. Zwischen Bahnsteig und Dach wird in sechs Meter Höhe eine durchgehende Arbeitsbühne eingezogen. Die Stahlträger für das Gerüst der Arbeitsbühne stehen schon.
Alles wird neu. Ein paar wenige Dinge werden aber doch bleiben. Das Dach über den Gleisen, das sogenannte Thyssendach, ist denkmalgeschützt. Es wird saniert. Und zurückkehren werden eines Tages die alte Bahnhofsuhr und das Alpenrelief. Bis es so weit ist, werden sie in einem Museum aufbewahrt.