Hauptbahnhof-Abriss: Ein zacher Schwammerl
München - So manch einer wird sicher nostalgisch und spürt eine leichte Enge in der Brust bei diesem Anblick. Überraschend ist es natürlich nicht, dass eines der früheren Münchner Wahrzeichen aus dem Alltag gerissen – beziehungsweise: gebissen wird. Man könnte sagen: Rund 60 Jahre hat die Schwammerlsaison am Hauptbahnhof gedauert.
Die Schalterhalle war ein Wahrzeichen Münchens
Da lohnt sich ein Blick zurück in das Jahr 1959/60, als der Schwammerl aufgebaut wurde. Für die Münchner war er eine Art Startschuss in bessere Zeiten. Denn der Krieg hatte am Ende große Teile des ursprünglichen Bahnhofs zerstört. Eine 60er Jahre Stilikone war dieses Ensemble aus der unendlich hoch wirkenden Glasfassade der Schalterhalle, der riesigen Uhr und eben dem Schwammerl in doppelter Nierenform, mit sehr hohem Wiedererkennungswert.
Die Ansicht wurde auf München-Fotos verewigt, lange vor den Wahrzeichen der 70er Jahre, wie etwa dem Olympiastadion oder dem Olympiaturm.
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Schwammerl: Schummriges Licht und Tauben
Das änderte sich irgendwann. Die Deutsche Bahn ließ den Ort ein wenig verkommen. Tauben hatten sich jahrelang unter dem Vordach eingenistet. Die Beleuchtung war nicht sonderlich hell. Da half es auch nichts, Metallstachel und Metallnetze anzuschrauben. Die hartnäckigen Tauben blieben. Aber nicht nur sie waren ein Problem, sondern auch das Milieu, das sich dort unter dem schummrigen Schutz der Doppelniere festsetzte.
Für die Polizei war die Gegend rund um den Schwammerl lange Zeit ein Problem-Bereich. Eine Drogen-, Prostitutions-, Bettler- und Alkoholikerszene hatte sich zeitweise oder dauerhaft etabliert, außerdem ein "Arbeiterstrich". Viele Politiker und Anwohner fanden sogar, dass dieser Ort deshalb zu einer Art "No-Go-Area" geworden ist, auch wenn Experten der Polizei stets versicherten, dass man keine große Angst haben müsse, weil von diesem Milieu kaum sogenannte Begleitkriminalität ausgehe.
Hauptbahnhof-Neubau kommt 2028
Vorerst sind all die strittigen Debatten verstummt. Denn nun wird abgerissen und gebaut, bis Baggerzangen und Baukellen glühen. Bis 2028 soll das neue Bahnhofsgebäude fertig sein, samt Zugang zur Haltestelle der Zweiten Stammstrecke. "Glaspalast" wurde das neue Konzept schon genannt, entworfen vom Architekturbüro Auer+Weber.
Wer einen letzten Blick auf den Schwammerl werfen möchte, besser gesagt, auf dessen Reste, sollte das demnächst tun. In zwei Wochen wird er endgültig verschwunden sein. Dann haben sich die Zangen der Bagger komplett durchgefressen. Und der Schwammerl wird nur noch aus Schutt, Metallstreben und Asche bestehen. In den Erinnerungen und Fotoarchiven lebt er freilich weiter.
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"Wir bereiten gerade die Baugrube der Haltestelle vor", sagt Martin Wieser, Projektleiter der Baustelle für die zweite S-Bahn-Stammstrecke am Hauptbahnhof.
Wenn Schwammerl und Schalterhalle verschwunden sind, wird in die Tiefe gegraben. Und zwar rund 40 Meter – wie an jeder Haltestelle der Zweiten Stammstrecke. "Wir müssen als in etwa so weit in die Erde graben, wie das NH-Hotel nebenan hoch ist", sagt Wieser. In München sei eben nicht nur oberirdisch kaum noch Platz, auch unterirdisch sei das nicht anders.
Bis zum Querbahnsteig der Hauptgleise wird der Hauptbahnhof abgetragen. "Zwei Drittel des Bahnsteigs werden aber nicht angefasst", sagt Wieser. Hier geht man von innen nach außen vor. Der ehemalige Ladehof ist fast vollständig entkernt. Laut Zeitplan ist die nächste Etappe Weihnachten. Bis dahin soll alles für den Tiefbau ab Neujahr fertiggestellt sein.
Laut Wieser ist derzeit die Entkernungsphase zu Ende. Nun gehe es in die reine Abbruchphase. Die Demontage und der Rückbau der Schalterhalle haben bereits von innen begonnen.
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