Haidhauser BA-Vorsitzende Dietz-Will: Von früher sind fast alle weg
München – Dass die Standl am Wiener Platz abgerissen und durch hochmoderne Läden ersetzt werden sollten – "eine Katastrophe!" Nun bleiben sie "behutsam renoviert" stehen. Das ist nur einer der vielen Erfolge von Adelheid Dietz-Will (SPD) und ihrem Team im Stadtviertelparlament. Die 77-jährige Lokalpolitikerin hat wichtige Kämpfe für Haidhausen gewonnen – für ein lebenswertes Viertel und eine grünere, sozialere und familienfreundlichere Stadt.
Nach der Kommunalwahl räumt sie im April ihr Büro im Baureferat. Seit 40 Jahren hat die Landschaftsarchitektin Stadtpolitik gemacht: zunächst als Stadträtin für die SPD. Knapp 20 Jahre lang hat sie das Bezirksausschussgremium Au-Haidhausen geleitet.
AZ: Frau Dietz-Will, die schweren Ordner in Ihren Regalen heißen Gasteig, Isar, S-Bahn, Mieten oder Soziales. Misten Sie gerade aus?
ADELHEID DIETZ-WILL: Ich miste nicht aus, ich räume auf. Ich sortiere die Unterlagen neu. Vieles bleibt hier, ein Teil geht ins Archiv.
Erzählen Sie bitte von der Zeit vor über 40 Jahren, als Sie aus dem lauten Ausgeh-Schwabing in das ruhige Haidhausen gezogen sind.
In den 70er Jahren standen in Haidhausen viele Altbauwohnungen leer. Niemand wollte im Viertel wohnen. Mein Mann und ich zogen an den Johannisplatz. Wir hatten alles in unserem Renault 4. Ich erinnere mich genau, wir kamen nachmittags um 16 Uhr mit dem Umzug an – und waren das einzige Auto auf der Straßenseite.
"Auch unsere Wohnung wurde von den Erben verkauft"
Was war Ihre Motivation, in die Politik zu gehen?
Viele Jahre gab es das große Thema Stadtsanierung, gegen das ich mit der Mieterinitiative gekämpft habe. Denn in Haidhausen habe ich erlebt, was läuft. Es gab in den 80ern große Bürgerinitiativen gegen die Sanierungen und was sie allen hier eingebrockt haben. Wir Engagierten haben uns kennengelernt, sind singend durch die Straßen im Viertel gezogen und haben demonstriert. Das ist so lange her, mein Gott!
Wieso sind Sie in die SPD eingetreten?
Das war 1969, als Willy Brandt als Kanzler kandidiert hat. Ich habe mich an einen SPD-Stand gestellt und sofort unterschrieben – wie so viele, die die SPD groß gemacht haben. Willy Brandt, das war meine Linie. Der hat uns vertreten und mich natürlich beeindruckt.

Ihre politischen Mitstreiter von damals in Haidhausen sind inzwischen beinahe alle weggezogen aus dem Viertel.
Die Nachbarn von rechts und links am Johannisplatz und die Freunde von früher sind fast alle weg, wegen der hohen Mieten. Der Freundeskreis lebt jetzt überwiegend in Genossenschaftswohnungen, überall in der Stadt verteilt. Manche sind sogar in einer Gruppe umgezogen. Auch unsere Wohnung wurde nach dem Tod der Vermieterin von den Erben verkauft. Mein Mann und ich wohnen seit fünf Jahren in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in der Au.
Wer wohnt jetzt in Haidhausen?
Das ist eine völlig andere Schicht, die gut situiert ist – und alles zahlen kann! Ich gehe nicht mehr in Haidhausen essen, sondern lieber am Mariahilfplatz. Da sitzen die Bürgerlichen mit Kind und Kegel am Tisch und nicht die Schickeria.
"Heute hat in der Wörthstraße jeder eine Designerlampe"
Sie erkennen einen Unterschied, wenn Sie heute durch Haidhausen schlendern und in hell erleuchtete Fenster schauen?
Früher hing überall im 4. Stock diese runde einfache Papierlampe – das war alles. Heute hat in der Wörthstraße rauf und runter jeder eine schön entworfene Designerlampe. Das ist eine neue Generation, die anders groß geworden ist.
Was wünschen Sie sich für die Stadt?
Ich finde, dass es nötig ist, dass überall auch die wohnen bleiben, die das Geld nicht haben. Das ist wichtig für die Mischung. Durch den Zuzug hat es sich aber so entwickelt: Es wird saniert, dann kommen alle angekrabbelt, die es zahlen können. In Haidhausen habe ich den Raum verlassen, in dem andere angekommen sind.
An den charmanten Johannisplatz haben Sie einige tolle Erinnerungen: Sie haben den Bau einer Tiefgarage darunter verhindert und einen Spielplatz auf dem Platz durchgesetzt. Außerdem hatten Sie dort die beste Vermieterin der Welt.
Die Hauseigentümerin hat mit im Haus gewohnt. Manchmal, wenn ich aus dem Stadtrat kam, war mein Sohn bei ihr und hat einen Tierfilm in ihrem Fernseher geschaut und gegessen hatte er auch schon. Weihnachten hat die Vermieterin den Familien mit Kindern im Haus Geschenke gebracht. Sie hat auch Mieter zum Frühstück eingeladen. Das muss man sich mal vorstellen! Das gibt es heute nicht mehr.
Geht in München denn das Menschliche flöten?
Ja. Man kennt sich. Man grüßt sich, aber jeder rennt in die Arbeit. Jeder hat wenig Zeit.
"Man muss zäh sein und Hirn und Herz haben für die Menschen"
Als Stadträtin und BA-Chefin haben Sie für wenig Geld jahrelang wahnsinnig geschuftet.
Die halbe Nacht braucht man, um die Papiere zu lesen. Im Bezirksausschuss hatte ich unheimlich viel Arbeit, aber sie war wichtig. Für den BA arbeite ich – wie jeder, der angestellt arbeitet – mehr als 30 Stunden in der Woche. Dafür bekomme ich jetzt 800 Euro im Monat. Nach Sitzungen oder Bürgerbeteiligungen komme ich oft erst nach 23 Uhr heim.
Welche Eigenschaften braucht man eigentlich als Lokalpolitikerin?
Man muss zäh sein und Hirn und Herz haben für die Menschen, die in der Stadt leben.
Es gibt viele Fragezeichen im Bezirk: Wird der Mariahilfplatz für Parkplätze und Events geöffnet? Kommt die Gastronomie in den Maximiliansanlagen doch? Sie haben einen Plan: Sie träumen vom Klenzesteg.
Den Klenzesteg habe ich mitangeschoben. Das ist ein Auer Thema: die Brücke von der Klenzestraße bis zur Erhardstraße für Fußgänger und Radler. Ich ruhe mich jetzt ein halbes Jahr lang aus – und dann geht es los, dafür brauche ich kein Amt oder einen Segen. Der 1. Preis aus dem Wettbewerb für den Klenzesteg liegt vor. Der Steg ist genehmigt. Ich muss jetzt darauf warten, dass die neue Stadtregierung darüber abstimmt, dass der Steg finanziert wird. Denn: die nächste Brücke ist weit.
Worauf sind sie bei Ihrer Arbeit am meisten stolz?
Auf die Rettung von zahlreichen alten Herbergshäusern in Haidhausen. Diese konnten sich Handwerker selbst renovieren.
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