Haidhausen: Haus der Eigenarbeit kämpft ums Überleben

München - Rainer Wirth steht im Foyer des Hauses der Eigenarbeit (Hei), Münchens Treffpunkt für handwerklich Begabte – und all jene, die es werden wollen. Doch die Begegnungsstätte in Haidhausen ist an jenem Montagvormittag fast menschenleer. "Im Grunde kämpft das Hei ums Überleben", sagt sein Leiter Wirth.
Haus der Eigenarbeit: Vier Monate wegen Corona geschlossen
Vier Monate hatte das Hei wegen Corona geschlossen, jetzt können viele Kurse wegen der Abstandsregelungen nur mit geringer Teilnehmerzahl stattfinden. Die 40 Kursleiter und seine sieben Mitarbeiter muss Wirth aber bezahlen.

Zudem hat der Vermieter des Hauses eine Mieterhöhung für die kommenden Jahre angekündigt. Die Stadt deutet an, dass Fördergelder des Referats für Arbeit und Wirtschaft gekürzt werden könnten. Zu rund 40 Prozent wurde das Hei bislang durch Fördergelder finanziert. Zumindest die Gelder für das Personal will das Wirtschaftsreferat weiter bezahlen. "Es ist derzeit nicht geplant, die Förderung aus MBQ-Mitteln einzustellen oder zu reduzieren", sagt ein Sprecher zur AZ.

Der 51-Jährige führt durch das Foyer in eine Halle für Holz- und Metallarbeiten. An den Wänden hängen Bretter und Hammer, Metallstäbe und Zangen, Schränkchen mit Hobeln und Bürsten. Im Lagerraum, zwischen Leim und Sägeblättern, stehen Marmeladengläschen gefüllt mit Nussbaum- und Buchenspähnen."Formatkreissäge, Tischfräse, Langbandschleifmaschine", benennt Wirth nur ein paar der Geräte. Auf der anderen Seite: Schweißanlagen und Maschinen, um Metalle zu schneiden und zu biegen. Hinten die große Drehbank – "die einzige Maschine, bei der Sie nicht einfach reinmarschieren und loslegen können", sagt er.

Hei: Jeder kann an Projekten arbeiten
Im Hei kann jeder frei an eigenen Projekten arbeiten. "Vom Regalbrett bis zum ganzen Schlafzimmer schreinern", sagt Wirth. Auch Sessel werden neu bezogen und Polster genäht. Wer will, kann sich beraten lassen und Kurse belegen. Der Werkstattraum mit acht Werkbänken ist nur ein Teil der Ausstattung. Im Erdgeschoss finden sich Schmuckschmiede, Buchbinderei, Papierdruckwerkstatt, Material zum Reparieren von Elektronikgeräten und PCs für die CNC-Fräse. Unter dem Treppenaufgang hinterm Regal steht eine Parkettschleifmaschine, im ersten Stock ist die Keramikwerkstatt.
In einem Raum sitzen zwei Frauen und ein Mann an Drehscheiben, es ist der wöchentliche Töpferkurs. Vier Teilnehmer könnten eigentlich mitmachen, doch nur zwei haben sich angemeldet. Viele sind vorsichtig – wegen des Virus.

Wirth führt in ein Hinterzimmer, den eigentlichen Keramikraum. Er ist zu klein für Töpferkurse – es würde sich wegen der Abstandsregeln nicht lohnen. "Das ist die bitterste Folge der Krise", sagt Wirth. Einer der Kursteilnehmer kommt dazu, spült eine Schale aus. Bowls, Vasen und Tassen habe er bereits getöpfert. "Das Haus kenne ich seit 30 Jahren", sagt er. "Ich hoffe, es hält sich." Der Mann ist Fahrlehrer, 50 Jahre alt. Im Hei lerne man immer Menschen kennen. Unternehmer und Arbeitslose, Schulklassen und Senioren – alle finden im Gebäude einer ehemaligen Druckerei zusammen.
Damit das so bleibt, will Wirth die Kurs- und Werkstattpreise so gering wie möglich halten. Auf betterplace.org hat er deshalb eine Spendenaktion gestartet. Eigenarbeit, sagt er, sei "Empowerment", Selbstermächtigung also. Wirth ist Literaturwissenschaftler und Doktor für Anglistik. Das Hei entdeckte er vor elf Jahren nach einem Fahrradunfall – er brauchte einen Schraubstock. Mit Holz hatte er noch nie gearbeitet, als er den ersten Kurs belegte. "Jetzt will ich nur noch mit selbst geschreinerten Möbeln wohnen."
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