Grüne Kandidatin Jamila Schäfer: "Mein Postfach ist überfüllt von Hilferufen"
München - Etwas seltsam habe sich der Termin schon angefühlt, sagt Jamila Schäfer am Telefon. Sie sitzt im Zug, gerade besuchte sie einen Bauernhof im Allgäu, nun ist sie auf dem Weg zu einem Stadtspaziergang in Wasserburg. Eigentlich ein normales Programm für eine, die gerade Wahlkampf für die Grünen macht: Schäfer ist Mitglied des Bundesvorstands der Partei und kandidiert im Münchner Süden als Direktkandidatin. Warum sich Kühe und Stadtbummel gerade trotzdem fremd für sie anfühlen?
An einem Mittwoch Mitte August erhielt Schäfer eine Sprachnachricht einer 19-Jährigen aus Afghanistan. Dort besuchte das Mädchen gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Bruder Verwandte. Beide Kinder besitzen den deutschen Pass. Die Mutter hat eine deutsche Aufenthaltsgenehmigung. Trotzdem werden sie am Flughafen in Kabul nicht in die Maschine gelassen.
Die Familie setze Hoffnungen in Jamila Schäfer, zu deren Schwerpunkt seinen Jahren Migrationspolitik gehört, und wurde nicht enttäuscht. Schäfer stellte Kontakte her und nach sieben gescheiterten Versuchen ins Flughafengebäude zu kommen, wurde die Familie schließlich evakuiert. Inzwischen sind alle wieder in München.
Jamila Schäfer fordert mehr Ehrlichkeit
Die Lage Afghanistan hat sich allerdings immer weiter zugespitzt. "Mein Postfach ist überfüllt von Hilferufen", sagt Schäfer. Sie erhalte hunderte Nachrichten von Menschen, die das Land verlassen wollen, aber feststecken. Sie versuche, zu möglichst vielen Kontakt zu halten, moralischen Beistand zu leisten, die Menschen zu informieren und zu vermitteln - doch längst nicht mehr allen kann Jamila Schäfer mehr helfen. "Ich schlafe schlecht", sagt sie. "Aber ich muss mich jetzt zusammenreißen."
Hart zu arbeiten und doch an Grenzen zu stoßen, pragmatisch zu sein, aber doch die Empathie nicht zu verlieren - das sind Herausforderungen, die Jamila Schäfer seit Jahren erlebt: Sie besuchte einer Lager von Geflüchteten auf der griechischen Insel Lesbos nach einem Brand, der den Menschen dort ein zweites Mal das zu Hause nahm. Doch bloß ein Kätzchen konnte sie aus der Asche retten, erzählt Schäfer. "Die Papiere waren innerhalb weniger Tage fertig." Für Kinder brauche die Regierung manchmal Jahre.
Schäfer will an dieser Politik etwas ändern. Sie fordert vor allem mehr Ehrlichkeit: "Migration ist schließlich kein Wasserhahn, den man auf und wieder zu drehen kann." Nur, um die Zahl der Asylbewerber möglichst gering zu halten, habe sich die Regierung nicht getraut, die unbequeme Wahrheit aussprechen: nämlich das Afghanistan schon seit Jahren das gefährlichste Land der Welt ist.
Listenplatz 7 für Direktkandidatin Schäfer
Dass sie Abgeordnete wird, gilt als sicher, selbst wenn sie es nicht schafft, im Münchner Süden das Direktmandat zu holen. Seit 2002 gewann da stets CSU. Doch auf der Landesliste der Grünen ergatterte sie Platz 7, eine aussichtsreiche Position.
Diesen Platz zu erreichen, obwohl sie bislang der breiten Öffentlichkeit wohl kaum bekannt sein dürfte, gelang ihr, weil sie innerhalb der Partei hat bereits seit Jahren Karriere macht. Sie war Sprecherin der Grünen Jugend, seit drei Jahren ist sie im Bundesparteivorstand. Zuletzt arbeitete sie an der Wahlkampf-Kampagne der Grünen mit. Den Weg von München nach Berlin kennt Jamila Schäfer, die eigentlich Soziologie studiert, also schon gut - auch ohne Mandat.