Geteilte Angst: Der Einfluss der sozialen Medien beim OEZ-Amoklauf

Schüsse am Stachus, auf dem Tollwood, im Hofbräuhaus: Während des und nach dem Amoklauf überschlagen sich die Gerüchte in den sozialen Netzwerken. Tweets und Posts halten die Stadt in Atem und verbreiten Angst, auch lange nachdem der Täter David Ali S. das Feuer am OEZ schon eingestellt hat.
Doch wie kam es dazu?
Mit den neuen technischen Möglichkeiten verbreiten sich Nachrichten und somit auch Gerüchte schneller, das beobachten auch Wissenschaftler. Christoph Neuberger ist Direktor des Departments Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität. "Plötzlich wissen wir viel schneller viel mehr", so Neuberger. Die Detailflut allerdings hat einen Nachteil: Sie macht Ereignisse plastischer und somit furchteinflößender. "Wer mehr weiß, ängstig sich mehr", erklärt Neuberger.
So auch im Fall des Amoklaufes. Es dauert nur wenige Minuten, bis Zeugen die ersten Bilder vom OEZ ins Internet stellen. Die Videos und Posts werden tausendfach geklickt.
Doch im Netz werden nicht nur korrekte Informationen geteilt. Auch Falschmeldungen verbreiten sich rasant. Ein Teil davon wird von verängstigten Münchnern aus gutem Glauben in die Welt gesetzt, teilweise werden aber auch bewusst falsche Informationen gestreut. Ein Foto, das in dieser Nacht dutzendfach geteilt wird, zeigt blutüberströmte Menschen in einem Einkaufscenter. Dabei ist das Foto nicht im OEZ entstanden, sondern Jahre zuvor bei einem Überfall in Südafrika.
Eigentlich unglaubliche Dinge werden als wahr akzeptiert
Warum so viele Menschen die Gerüchte glaubten, erklärt Neuberger so: "So eine Situation ist für jeden ungewöhnlich, sie passt nicht in den Erwartungsrahmen. Unter diesen Eindrücken sind Menschen dann geneigt, auch weitere, eigentlich unglaubliche Dinge als wahr zu akzeptieren".
Außerdem, so der Wissenschaftler, griffen Menschen in unsicheren Lagen auf das wahrscheinlichste Erklärungsmuster zurück. Der Anschlag von Nizza war am 22. Juli acht Tage her, die Axtattacke in einem Würzburger Regionalexpress gerade einmal vier. Terrorismus bot in der Amoknacht ein naheliegendes Erklärungsmuster für das Unerklärliche.
Trotzdem, so Neuberger, dürfe man auch die positiven Aspekte der sozialen Netzwerke nicht vergessen. Unter dem Hashtag #offenetür boten Münchner gestrandeten Fremden eine Unterkunft – eine Strategie, die sich schon während des Anschlags von Paris bewährt hat.
Im Netz finde derzeit eine Art "kollektives Lernen" statt, sagt Neuberger. Das gebe den Menschen nicht nur Verhaltensstrategien an die Hand, sondern könne auf lange Sicht auch dazu führen, dass aus falschen Nachrichten nicht mehr so schnell echte Furcht wird.
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