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Geflüchteter aus dem Iran gründet Kita in München – das ist seine Geschichte

Das Wort "Remigration" weht wie ein Schreckgespenst durch Deutschland. Millionen Ausländer sollen nach Ansicht von Rechtsextremen deportiert werden. Was macht diese Drohung mit den Menschen? Benjamin Tajedini aus München beantwortet diese Frage in Teil 3 der AZ-Serie. Er hat einen iranischen und einen französischen Pass, ihm macht die Debatte um eine drohende Welle der "Remigration" keine Angst.
Guido Verstegen
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"Jetzt müssen wir wachsam sein und darauf achten, dass die Schere zwischen Reich und Arm nicht noch weiter auseinandergeht, jetzt müssen alle Verbände, alle politischen Gruppierungen zusammenarbeiten",  sagt Benjamin Tajedini, Vorstandsvorsitzender des Dachverbandes Bayerischer Träger für Kindertageseinrichtungen (DBTK).
"Jetzt müssen wir wachsam sein und darauf achten, dass die Schere zwischen Reich und Arm nicht noch weiter auseinandergeht, jetzt müssen alle Verbände, alle politischen Gruppierungen zusammenarbeiten", sagt Benjamin Tajedini, Vorstandsvorsitzender des Dachverbandes Bayerischer Träger für Kindertageseinrichtungen (DBTK). © David Young/dpa

München – An den aktuell anhaltenden Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und gegen die AfD beteiligen sich weiterhin Zehntausende Menschen. Die AfD zeigt sich von den Massenprotesten gegen ihre Politik unbeeindruckt. Benjamin Tajedini ist 1981 aus dem Iran nach München geflüchtet und gibt sich kämpferisch.

Auslöser der Proteste war ein Bericht des Recherchezentrums "Correctiv" über ein Treffen radikaler Rechter in Potsdam mit einigen AfD-Politikern sowie einzelnen Mitgliedern der CDU und der sehr konservativen Werteunion. Dabei ging es den Angaben zufolge unter dem Schlagwort "Remigration" um eine Strategie, Migranten aus Deutschland auszuweisen, notfalls auch unter Zwang.

DBTK-Chef Benjamin Tajedini.
DBTK-Chef Benjamin Tajedini. © privat

DBTK-Chef Benjamin Tajedini zur "Remigrationsdebatte": "Ich glaube an unser Rechtssystem"

"Wir fürchten das nicht“, sagte Bernd Baumann, der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion: "Wir sehen das sozusagen als den letzten Versuch, das letzte Aufgebot, in den auf uns zukommenden Wahlen noch irgendwie zu punkten, weil die politischen Argumente ausgegangen sind in den Parlamenten."

Benjamin Tajedini macht die Debatte um eine drohende Welle der sogenannten Remigration keine Angst: Der französische Staatsbürger und gebürtige Iraner lebt seit 2006 wieder in München, er hat einen iranischen, einen französischen und keinen deutschen Pass.

"Ich glaube an unser Rechtssystem – und ich spreche in meinem Beruf mit sehr vielen Leuten, auch mit Politikern aus Stadt und Land. Wir haben hier vorwiegend vernünftige, intelligente Menschen. Zudem muss hier keiner ein Blatt vor den Mund nehmen", sagt Tajedini, Vorstandsvorsitzender des Dachverbandes Bayerischer Träger für Kindertageseinrichtungen (DBTK).

Lesen Sie hier unsere Serie: "Warum bin ich wichtig für Deutschland?"

In der AZ-Serie sprechen Menschen, die einen Migrationshintergrund haben, und von der "Remigration" betroffen wären.
In der AZ-Serie sprechen Menschen, die einen Migrationshintergrund haben, und von der "Remigration" betroffen wären. © imago/AZ

Teil 1: Folgen der "Remigrations"-Pläne der AfD in München und Bayern – Augustiner-Wirt: "Ein Weiterbetrieb wäre nicht oder nur völlig reduziert möglich"

Teil 2: Geflüchteter Syrer erzählt in der AZ, wie er sich in München ein neues Leben aufgebaut hat

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Macher mit Migrationshintergrund in München: Tajedini "wollte nicht meckern, sondern mitgestalten"

"Unsere Mitarbeiter sind besorgt, sie machen sich aber keine Sorgen über ihre Daseinsberechtigung in Deutschland", ergänzt er im Gespräch mit der AZ. Der 54-Jährige studierte unter anderem an der Technischen Universität (1989/1990) und an der Ludwig-Maximilians-Universität (1990-1996) in München und machte später einen Bachelor of Arts an der Hochschule Esslingen als Sozialfachwirt.

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2006 kehrte er nach seinen IT-Jobs in Frankreich, in der Schweiz und in Frankfurt endgültig nach München zurück, um eine private Kindertagesstätte zu eröffnen. "Die Idee ist entstanden, als wir händeringend einen Kita-Platz für unsere erste Tochter gesucht haben", erzählt Benjamin Tajedini – seine geschiedene Frau Agnes (53) ist Französin und Jüdin. Er erinnert sich: "Ich wollte nicht meckern, sondern mitgestalten."

Benjamin Tajedini wünscht sich "eine Welt ohne Grenzen" 

Gesagt, getan: Im Januar 2007 gründete er seine erste Kindertagesstätte in München, im November 2007 dann auch schon den Dachverband, in dem sich die privaten Träger zusammenschlossen. Tajedini reiste in die USA, nach Kanada, Schottland, Irland, China, Finnland, Frankreich oder Rumänien, um Mitarbeiter für die inzwischen über 20 "Infanterix"-Kitas in München zu rekrutieren. Zum einen, weil in Deutschland qualifizierte Erzieher und Kinderpfleger fehlen, zum anderen, weil er für seine bilingualen Krippen- und Kindertagesgruppen entsprechende Muttersprachler benötigte.

Mit seinen zweisprachigen Einrichtungen vertrat Tajedini – im Juni 2021 zog er sich aus der Geschäftsführung und als Gesellschafter aus gesundheitlichen Gründen von "Infanterix Multilinguale Krippen und Kindergärten" zurück – jene Weltoffenheit und jenes Miteinander, für das er einsteht.

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Benjamin Tajedini: "Heute sehe ich München als meine Stadt an" 

 "Als ich als Elfjähriger 1981 mit der Familie aus Teheran nach München kam, gab es da viele Menschen, die uns helfend zur Seite standen. Und das will ich auf jeden Fall zurückgeben." Benjamin Tajedini wünscht sich "eine Welt ohne Grenzen" und sieht Europa dabei auf einem guten Weg: "Dann ist man überall zu Hause!"

Die Welt stecke mittendrin in einem "Transformationsprozess", Länder wie die USA und Deutschland verlören an Bedeutung, die asiatischen Länder seien auf dem Vormarsch: "Jetzt müssen wir wachsam sein und darauf achten, dass die Schere zwischen Reich und Arm nicht noch weiter auseinandergeht, jetzt müssen alle Verbände, alle politischen Gruppierungen zusammenarbeiten – und Flagge zeigen im Kampf gegen rechte Kräfte, die dieses Klima für sich nutzen."

Man dürfe diesem Gedankengut keinen Raum lassen, die Geschichte habe doch gezeigt, wohin das führe: "Ich habe davon profitiert, dass Deutschland die Nazi-Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg aufgearbeitet hat, heute sehe ich München als meine Stadt an und möchte dazu beitragen, dass man hier besser leben kann."

Benjamin Tajedini: Deshalb bin ich wichtig für Deutschland

Die Mitarbeiter in den DBTK-Trägereinrichtungen sind zu rund 40 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund, an die 80 Prozent davon stammen aus dem europäischen Ausland. Das größte Problem, das sich den nach Deutschland kommenden Ausländern stelle, sei die Wohnungssuche. "Es ist in München ohnehin schwierig, eine Wohnung zu finden, und wenn du der deutschen Sprache nicht mächtig bist, macht das natürlich etwas aus", sagt Tajedini .

Er plädiert dafür, dass jeder Neuankömmling so schnell wie möglich Deutsch lerne, das mache alles leichter. "Und bei der Wohnungssuche binden wir die Eltern unserer Kita-Kids mit ein. Wir sind da wie eine große Familie und unterstützen uns gegenseitig." Auf die angesichts der "Remigrationsplän"e zugespitzte Frage, warum er denn wichtig sei für Deutschland, antwortet Benjamin Tajedini: "Damit aufgezeigt werden kann, dass Menschen mit Migrationshintergrund einen wesentlichen gesellschaftlichen Auftrag mit übernehmen können, in meinem Fall ist das die Umsetzung des Bildungsauftrages in Bayern."

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28 Kommentare
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  • Der wahre tscharlie am 27.02.2024 16:58 Uhr / Bewertung:

    Sehr positiver Artikel.
    Er zeigt doch, dass es bei uns Tausende von Menschen mit Migrationshintergrund gibt, die sich in unserem Land etwas aufgebaut haben, auf das sie mit Rcht stolz drauf sein können.

  • Giasinger Bua am 27.02.2024 19:32 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Der wahre tscharlie

    Ach, der Einzelfall steht nun stellvertretend für viele Tausende?
    Wenn wieder jemand mit einem Liebesgruß aus Solingen unterwegs ist, dann steht der Einzelfall nicht für zig andere?
    Bigotterie nennt sich das!

  • Der wahre tscharlie am 28.02.2024 15:39 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Giasinger Bua

    Ich bin mir nicht ganz sicher, was du mir genau mitteilen willst.
    Wenn man aber im Zusammenhang mit Solingen von, dein Zitat, "Liebesgruß aus Solingen" schreibt, dann erspar ich mir einen weiteren Kommentar dazu.....

    Und noch etwas zu dem, was du "Einzelfall" nennst......einfach nur mal in München rumschauen, wieviel ausländische Mitbürger sich bei uns eine Existenz aufgebaut haben. Gilt übrigens auch für ganz Deutschland.

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