Geflüchtet aus der Ukraine: Das Glück eines neuen Jobs in München

München - Sie hat in aller Eile zwei Koffer gepackt, ihre Tochter an der Hand genommen und ihre Stadt Odessa gen Westen verlassen. Hinter ihr der Krieg, die Eltern, die Wohnung und der Vollzeitjob als Küchenchefin. Vor ihr nichts als die Flucht ins Ungewisse.
Ukrainerin Tanya bekommt Job beim Augustiner Klosterwirt
2.000 Kilometer später kommt die Ukrainerin Tanya (36) mit Tochter Lina (16) und ihrem Verlobten Eugen (44) in München an, mit all den angstvollen Gedanken an Daheim und der Frage: Was jetzt, wie soll es jetzt eigentlich weitergehen?

Tanya hat Glück - denn als sie und Eugen, der ebenfalls ukrainischer Koch ist, sich beim Augustiner Klosterwirt an der Frauenkirche vorstellen, zögert ihr neuer Chef nicht lang, sondern reicht einfach spontan die Hand.
Münchner Wirt Gregor Lemke bietet Flüchtlingen Zimmer in Personalwohnung an
"Mit Arbeitsstellen", sagt Wirt Gregor Lemke, "können wir den Ankömmlingen hier am allerbesten helfen. So können sie für sich selber sorgen, bekommen Halt und spüren auch, dass sie bei uns willkommen sind." Lemke bietet sogar noch mehr an: zwei Zimmer in einer Personalwohnung für Augustiner-Köche, fußläufig zur Arbeit. Damit sind auch die Sorgen um ein dauerhaftes Dach überm Kopf für die kleine Familie vom Tisch.
Knapp zwei Wochen später hat Tanya ihre Arbeitserlaubnis und kann loslegen (bei Eugen stockt die Ausstellung von Papieren bei den Behörden noch). Und ihr erster Arbeitstag als Köchin im Münchner Traditionswirtshaus ist aufregend. Tanya spricht Ukrainisch und Russisch - aber weder Deutsch noch Englisch. Wie verständigt man sich da in einer Küche, in der pro Schicht elf Köche arbeiten und wo täglich an die 1.000 Speisen produziert werden?
"Das geht schon", sagt Lemkes Küchenchef Pero Veselcic und lacht, "mit Mimik und Gestik, mit ein bisschen Russisch, zur Not mit Händen und Füßen, wir sind's ja gewohnt, mit vielen Nationalitäten zu arbeiten." Im Augustiner Klosterwirt werkeln neben Bayern auch Kroaten, Tschechen und Slowaken.

Küchenchefin aus der Ukraine muss in München bei null anfangen
Und dann ist der Job für die Ukrainerin ja nicht ganz neu: Daheim in Odessa hat sie verschiedene Restaurantküchen geleitet, auch eine italienische. "Aber hier", erklärt sie über eine Übersetzer-App, "sind die Geräte anders, und ich kann die Rezepte noch nicht lesen." Sie müsse noch mal ganz klein anfangen. "Bei null. Aber das ist nicht schlimm. Alle hier im Team sind so nett zu mir und machen mir den Anfang leicht. Ich bin sehr dankbar, dass ich hier diese Chance bekomme."

Zum Start geht sie dem Vorbereitungskoch zur Hand, schichtet Lasagne, brutzelt Röstzwiebeln, formt Kartoffelknödel und lernt wichtige Wörter rund um Obst, Gemüse und Gewürze. An Tag vier geht's in die Hauptküche, wo vier Köche der Küchenbrigade die A-la-Carte-Gerichte anrichten: Gardemanger Violeta aus Mazedonien, Beilagenkoch Marian aus der Slowakei, Grillkoch Thomas aus Nordrhein-Westfalen und der Münchner Saucier Martin. "Jetzt kann Tanya schon saures Münchner Kalbsrahmlüngerl anrichten und gebackene Apfelkücherl", sagt Küchenchef Pero Veselcic, "es macht Freude, sie anzulernen, man sieht, dass sie das kann."
Für viele Gastronomen, die Fachkräfte suchen, können die angekommenen Ukrainer ein Gewinn sein, sagt Gregor Lemke, der schätzt, dass die Münchner Wirtshäuser, Cafés und Restaurants 15.000 Kriegsflüchtlinge beschäftigen könnten (AZ berichtete). Was noch fehlt, ist mehr Tempo bei den Behörden beim Ausstellen der Arbeitserlaubnisse. Laut KVR haben seit Kriegsbeginn bis Sonntag 6.830 Ukrainer in München einen Wohnsitz angemeldet, für rund 630 hat die Ausländerbehörde eine Arbeitserlaubnis erteilt.
Morgen lesen Sie: Wie es Tochter Lina in ihrer Münchner Schule und im Handballverein geht.