Gefährlich für Blinde: U-Bahnen in München öffnen nicht mehr automatisch
München - Für viele war es eine der wenigen guten Neuerungen, die die Corona-Pandemie mit sich brachte: Die Türen von U- und S-Bahnen öffneten automatisch, man musste nicht mehr den Knopf drücken, den zuvor schon unzählige andere Fahrgäste angefasst hatten. Seit einiger Zeit jedoch gilt das nicht mehr.
Was für manche einfach nur ein Ärgernis ist, wird für Stefan Unterstraßer zum ernsten Problem: Als Blinder kann er nicht sehen, wo sich die Knöpfe befinden. Er muss sie erst mühsam ertasten. Mehrmals sei ihm die U-Bahn schon "unter den Fingern" davon gefahren, berichtet der Münchner.
U-Bahnen in München öffnen nicht mehr automatisch: Für Blinde ist das gefährlich
Einerseits ärgert er sich darüber, sich die Hände wieder schmutzig machen zu müssen: "Jetzt ist Hygiene plötzlich kein Argument mehr." Andererseits können aber auch lebensgefährliche Situationen entstehen: Denn Unterstraßer steht nahe am Gleis, um die Türen zu ertasten. Wenn die U-Bahn dann abfährt, kann er im schlimmsten Fall ins Gleis fallen.

Seit mehreren Monaten trägt Unterstraßer eigener Aussage nach seine Erfahrungen an die MVG heran und bittet um Verbesserungen. Für den Blinden könnte zum Beispiel ein Tonsignal hilfreich sein, sagt er. Beim Schließen der Türen ertöne das ja auch, wieso also nicht beim Öffnen? Unterstraßer könnte dann eigenen Worten zufolge erkennen, aus welcher Richtung der Ton kommt, und so zumindest die Tür schneller lokalisieren, um dort den Knopf zu suchen.
Doch bislang hatten seine Anfragen keinen Erfolg, wie er sagt. Ihm sei nur geraten worden, er solle doch bis nach vorn zum Fahrer laufen, um sich helfen zu lassen. Für Unterstraßer, der regelmäßig mit dem Bus auf der gegenüberliegenden Seite der Station ankommt, ist das nicht praktikabel.
U-Bahn-Fahren in München wird gefährlicher: Ratlosigkeit auch in der Politik
Auch der Politik ist aufgefallen, dass die Türen sich seit einiger Zeit nicht mehr automatisch öffnen: Bereits Anfang des Jahres stellten zunächst die Stadtratsfraktion der CSU und Freien Wähler und dann die Grünen des Ortsverbands Berg am Laim, Trudering und Messestadt Riem entsprechende Anfragen – unabhängig voneinander, und doch waren sie sich einig: Sie zeigten kein Verständnis dafür, dass die Türen wieder nur auf Knopfdruck aufgehen.
Auf Anfrage bestätigt die MVG, dass die vorübergehende zentrale Türöffnung zurückgenommen wurde. Auch während der Pandemie sei die Regelung jedoch nur bei den neuesten Zügen zum Einsatz gekommen. Bei den beiden älteren Generationen sei das technisch nicht möglich.
Zahlreiche Fahrgäste hätten sich über die Rücknahme der Funktion gefreut, sagt die MVG. Denn der Durchzug, der durch die ständig automatisch geöffneten Türen entstand, habe die Wirkung der Heizung beziehungsweise der Kühlung stark eingeschränkt. Zudem begründet die MVG die Rücknahme damit, dass das häufige Öffnen aller Türen den Verschleiß erhöhe – und somit auch deren Ausfallwahrscheinlichkeit.
Die MVG erklärt, dass die automatische Türöffnung bei hohem Fahrgastaufkommen umgesetzt wird
Für Stefan Hofmeir vom Fahrgastverband Aktion "Münchner Fahrgäste" ist dieses Argument in Zeiten von Fahrzeug- und Personalmangel eigener Aussage nach verständlich. Pauschal kann er dennoch nicht sagen, ob es besser wäre, wenn die Türen sich automatisch oder nur auf Knopfdruck öffneten. "Für beides gibt es Fans."

Bei großem Andrang ist eine automatische Türöffnung seiner Ansicht nach allerdings durchaus sinnvoll. "Dann können die Leute schneller aus- und einsteigen."
So wird es laut MVG auch umgesetzt: Die automatische Türöffnung werde bei starkem Fahrgastandrang weiterhin eingesetzt, teilt das Unternehmen auf AZ-Anfrage mit. Fahrer seien zudem angewiesen, die Funktion in den neuen Zügen zu aktivieren, wenn sie einen Blinden bemerken, der den Taster nicht findet.
Blinde im öffentlichen Nahverkehr: Könnte ein zusätzliches Tonsignal helfen?
Trotzdem ist die MVG sich bewusst, "dass Blinde bei der Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel vor besonderen Herausforderungen stehen", heißt es in der Antwort auf die AZ-Anfrage. Im Hinblick auf die kommenden Fahrzeuggenerationen sei man daher im Austausch mit Vertretern des Behindertenbeirats und dem Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund. Zudem werde geprüft, ob bei den bereits eingesetzten Fahrzeugen ein weiteres Tonsignal oder andere Maßnahmen möglich sind.
Stefan Unterstraßer beruhigen diese Ankündigungen nicht, wie er sagt, sie klingen für ihn wie eine weitere Vertröstung. Schon vor Jahren habe er sich für sicherere U-Bahn-Fahrten für Blinde eingesetzt: "Damals haben sie auch schon gesagt, dass sie Lösungen suchen."
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