Gastro sperrt zu: Das Ende der Münchner Wirtshaus-Kultur?

München - Mickey Mouse schreiben manche bei der Gästeregistrierung aufs Formular zur Kontaktnachverfolgung im Coronafalle, oder Markus Söder – und finden das offenbar sehr lustig.
Die Gastronomen, die nicht auch noch ihre letzten paar Gäste wegen übertriebener Spießigkeit vertreiben wollen, können nichts anderes machen, als es freundlich zu ignorieren. Der Kunde ist König – und war das nie mehr als heute. Ja, Corona hat die ganze Welt aus den Angeln gehoben. Aber wie viel sich in so kurzer Zeit wirklich verändert hat, merkt man besonders drastisch, wenn man sich in der Münchner Wirtshaus-Kultur umschaut.
Die Lokale, Restaurants und Biergärten dürfen wieder offen sein, sogar bis 22 Uhr, doch Grund zum Jubeln hat niemand. Im Gegenteil: Die ersten Wirtshäuser haben schon wieder freiwillig zugesperrt, weil die Kosten zu hoch sind, Touristen fast komplett fehlen und Münchner Gäste sich auch nur sehr verhalten zeigen, was ihre Lust am Ausgehen betrifft.
Etliche Münchner Traditionslokale sind dicht
Nach dem Park Café hat auch der Ratskeller am Marienplatz wieder geschlossen – genauso wie der Hofbräukeller, der nur bei schönem Wetter den Biergarten öffnen möchte, ansonsten sei das alles "ein finanzielles Desaster", wie es Wirt Ricky Steinberg nannte. Immer mehr, fürchten Gastro-Experten, werden folgen.
Das Traditionslokal Zum Spöckmeier ist derzeit ebenfalls zu, der Austernkeller lässt verkünden, dass es sich aktuell nicht lohnt, zu öffnen. Auch das Riva im Tal und das Riva in Schwabing, beliebte Pizza-Treffpunkte, sind geschlossen.
Ein Streifzug am Dienstagmittag bei schönstem Sonnenschein belegt die vorläufige traurige Bilanz: Ob im Hofbräuhaus, im Biergarten am Chinesischen Turm, im Seehaus oder Waldheim – nur wenige Gäste versuchen, es sich in Corona-Zeiten gemütlich zu machen. Wie das zwischen Mindestabstand, Angst vor Aerosolen und maskierten Kellnern geht, weiß niemand so genau.

Edi Reinbold: "Das Wirtshaus-Gefühl ist weg!"
Edi Reinbold, der seine beiden Gaststätten Franziskaner und Löwenbräukeller aus Spar-Gründen vorerst sonn- und montags schließt, sagt zur AZ: "Die Gewinnzone erreichen wir nicht annähernd. Ich versuche mit aller Kraft, die Betriebe aufrecht zu erhalten. Aber die Menschen sind verunsichert. Gerade drinnen wollen nur ganz wenige sitzen. Die Corona-Maßnahmen sind zwar alle völlig richtig, aber die Gemütlichkeit ist weg! Das Wirtshaus-Gefühl geht verloren – und dabei blutet mir das Herz. Ich fürchte: So wie es mal war, wird es nie wieder sein."
Schräg gegenüber führt Hieu Tran das Anoki an der Oper. "60 Prozent der Plätze und Gäste sind weg", sagt er. Sein erstes Lokal, das er in München eröffnet hat, das Anh-Thu in der Kurfürstenstraße, hat er wieder zugesperrt. "Zehn statt 40 Plätze, das hätte sich nicht gelohnt." Dafür ist sein Streetfood-Laden Chi Thu im Glockenbachviertel gefragter denn je. "Aber das ist ja keine richtige Gastronomie und nicht Sinn der Sache", wie Hieu Tran den jetzigen To-Go-Boom kommentiert.

Nach Lockdown: To-Go-Boom in München
Ali Güngörmüs antwortet auf die Frage nach seinem Gemütszustand: "Viel Arbeit für nix." Trotzdem hat der TV-Koch sein Restaurant Pageou in der Kardinal-Faulhaber-Straße geöffnet: "Was soll ich tun? Jammern und weinen, dass alles furchtbar ist? Nein, ich finde, wir müssen weitermachen und uns Alternativen schaffen."
So eine Alternative heißt bei ihm: "Ali To Go", Essen zum Mitnehmen: "Ich versuche, die Aufbruchstimmung positiv zu sehen. Nichts wird mehr wie früher sein, deshalb habe ich meinen Mitarbeitern gesagt: Wir fangen wie damals zur Eröffnung vor sieben Jahren wieder bei Null an. Das ist hart, aber wir packen das."
Ugo Crocamo, der im Tambosi und H'ugo's jetzt weniger als 50 Prozent Platz für seine Gäste hat, sagt: "Wir Gastronomen sind bereit für diese neue Ära. Jetzt liegt es an den Münchnern, dass sie uns ihr Vertrauen schenken."
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