Freund (16) des Amokläufers: Was wusste er?

Der 16-Jährige Hamid S. soll von der Waffe des Amokläufers gewusst haben und war am Tatort – trotzdem: kein Haftgrund. Der junge Afghane ist dem Täter in manchen Dingen sehr ähnlich.
von  az
Unauffällig, schüchtern, Einzelgänger, Ego-Shooter: Hamid D. (großes Foto) und Amokläufer Ali David S. (kl. Foto) hatten viel gemeinsam.
Unauffällig, schüchtern, Einzelgänger, Ego-Shooter: Hamid D. (großes Foto) und Amokläufer Ali David S. (kl. Foto) hatten viel gemeinsam. © privat

München - Kriminaldirektor Hermann Utz spricht von zwei Einzelgängern, „zwei Isolierten“: Er meint den Amokläufer Ali David S. († 18) und seinen 16-jährigen Spezl Hamid M. (Name geändert), den jungen Afghanen, den die Polizei am Sonntagabend in Laim festgenommen hat, weil sie ihn für einen möglichen Mitwisser des neunfachen Mörders hält. Den zuständigen Haftrichter konnten die Ermittler jedoch nicht überzeugen – er ließ Hamid D. am Montag wieder laufen. Dabei deutet einiges darauf hin, dass der Schüler zumindest geahnt hat, was Ali David S. seit langem plante: Er wusste offenbar von dessen Waffe – und war kurz vor dem Amoklauf am OEZ.

Der 16-Jährige war mit am Tatort

Die zwei hatten sich im vergangenen Sommer in einer Münchner Psychiatrie kennengelernt, wo beide wegen depressiver Erkrankungen behandelt wurden: beide extrem schüchtern, beide Fans sogenannter Ego-Shooter-Spiele. Ali sei richtig süchtig nach „Games“ gewesen und habe sich mit fast nichts anderem beschäftigt, sagt Hamid D. Offenbar zockten die Kumpel sogar im Krankenhaus. Schon damals erzählte Ali David S. seinem neuen Freund „er hätte einen Hass auf Menschen“ und bewundere den norwegischen Massenmörder Anders Behring Breivik. Später tauschten sich die Jugendlichen über den Nachrichtendienst WhatsApp über Amokläufe und persönliche Gewaltphantasien aus.

Auch falsche beziehungsweise gehackte Facebook-Accounts waren Thema. Ob Hamid M. bekannt war, dass Ali David S. ein solches Fake-Profil nutzte, um möglichst viele Opfer ins Schnellrestaurant am OEZ zu locken, ist unklar. Was die Ermittler jedoch annehmen: „Er wusste, dass der Amok-Schütze im Besitz einer Glock 17 ist“, sagt Oberstaatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch.

Außerdem sei der 16-Jährige gegen 16 Uhr am Tatort gewesen, gemeinsam mit dem Amokläufer. „Und wir vermuten, dass der Beschuldigte wusste, dass der Täter mindestens Munition dabei gehabt haben könnte.“ Um 17.52 Uhr griff Ali David S. zur Waffe und feuerte wahllos auf unschuldige Menschen. Er habe mehrere Opfer durch Kopfschüsse regelrecht hingerichtet und sich dabei vermutlich an Killerspielen orientiert, sagt Kriminaldirektor Hermann Utz. „Mein Eindruck war, der hat sich wie in einem Computerspiel bewegt.“ Hamid D. war zu diesem Zeitpunkt schon wieder zu Hause in Laim. Er lebt dort mit seiner Mutter.

Bei der Vernehmung verstrickte sich Hamid D. in Widersprüche

Nach AZ-Informationen wird die Familie von der Jugendhilfe betreut. „Der Junge ist nie negativ aufgefallen. Wenn man ihn begrüßt hat, war er immer nett. Mehr als eine Begrüßung gab es aber nie. Er wirkte schüchtern“, sagt ein Nachbar, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. „Seine Eltern sind sehr nette Menschen, hilfsbereit, höflich. Völlig normal und unauffällig. Wir wohnen in einem eher hellhörigen Haus, haben aber nie Streit oder Ähnliches gehört.“ Vom Amoklauf will Hamid D. über einen Bekannten erfahren und seinen Freund Ali dann auf einem Video erkannt haben, das im Internet kursierte. Gegen 21.30 Uhr ging er zur Polizei. „Für uns war er als Zeuge elementar wichtig“, sagt Kriminaldirektor Hermann Utz – vor allem, weil seine Aussage ein Beleg dafür war, dass es die Polizei mit einem Einzeltäter zu tun hatte.

Allerdings verstrickte sich der 16-Jährige bei späteren Vernehmungen in Widersprüche – und löschte heimlich die WhatsApp-Nachrichten, die er noch bis kurz vor dem Massaker mit Ali David S. getauscht hatte. „Es sind Zweifel aufgekommen, dass da nicht alles gesagt wurde“, so Oberstaatsanwalt Steinkraus-Koch. Die Polizei rekonstruierte die gelöschten Nachrichten, stolperte über die Stichwörter Amok, Facebook und OEZ. Die Ermittler beantragten Haftbefehl wegen des „Nichtanzeigens einer Straftat“. Der Haftrichter sah jedoch keinen Grund dafür, den jungen Mann in Polizeigewahrsam zu belassen. Hamid D. wurde auf freien Fuß gesetzt. „Die Staatsanwaltschaft München 1 wird diesbezüglich Beschwerde einlegen“, so ein LKA-Sprecher zur AZ.

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