Amoklauf in München: Der Täter nannte sich "Hass"
München - Als Taxifahrer Masoud S. am Freitagabend das Video vom Amoklauf am Olympia-Einkaufszentrum sah, wusste er sofort, wer da auf verwackelten Bildern wahllos auf Menschen schoss. Es war sein eigener Sohn Ali David.
Immer und immer wieder feuerte sein Ältester auf Menschen, die schreiend versuchten zu entkommen. Insgesamt 57 Mal schoss Ali David S., stellten Polizisten später fest. So viele Patronenhülsen sicherten sie an den Tatorten.
Wer war der junge Mann mit iranischen Wurzeln, der am Freitagabend acht Migrantenkinder und eine Frau tötete und anschließend sich selbst? Ali David war mit seinem jüngeren Bruder und seinen Eltern, in Moosach und am Lerchenauer See aufgewachsen.
"Der Ali war komisch"
Er besaß beide Staatsbürgerschaften, besuchte in Moosach die Schule und ging wie viele Jugendlichen aus der Gegend gern zum McDonald’s an der Hanauer Straße. "Meggi" nennen sie das Restaurant. Doch während sich die anderen Jugendlichen meist in Gruppen dort trafen, war David S. viel allein. Er gehörte nicht dazu.
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"Der Ali war komisch. Er ging komisch, er sagte seltsame Sachen und er führte Selbstgespräche", beschreibt ihn ein früherer Mitschüler. "Er hatte eine Sing-Sang-Stimme und zog ein Bein nach", beschreibt ihn ein anderer. "In der Klasse wollte keiner mit dem etwas zu tun haben", ergänzt er.
Vor sechs Jahren – Ali David war zwölf Jahre alt – wurde ein Fall bei der Polizei aktenkundig: Er war von anderen Jugendlichen verprügelt worden. Zwei Jahre später wurde er auf dem Schulweg von drei Mitschülern gehänselt. Auch dieser Vorfall wurde der Polizei gemeldet. Doch die Ermittlungen sollen im Sande verlaufen sein.
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"Er wurde immer seltsamer", beschreiben ihn Altersgenossen. Doch Ali David S. wirkte nicht nur anders auf seine Altersgenossen, er war psychisch krank. Der inzwischen 18-Jährige, der nach der Mittelschule zuletzt die Fachoberschule besuchte, war 2015 zwei Monate lang stationär in einer Münchner Klinik behandelt worden und danach in ambulanter Behandlung. Die Ärzte hatten ihm Psychopharmaka verschrieben. Ob er sie nahm oder nicht, ist noch unklar.
Angststörung mit Depressionen
"Er litt unter einer Angststörung mit Depressionen und einer Sozialphobie", sagte Oberstaatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch am Sonntag. Soziale Phobien gehen in der Regel mit einem Vermeidungsverhalten einher. Um Angstzustände zu vermeiden, ziehen sich die Betroffenen zurück und isolieren sich.
Auf Ali David S. traf das zu. Statt sich mit Freunden zu treffen, schloss sich der 18-Jährige stundenlang in seinem Zimmer ein und saß vor dem Computer. Wie Robert Heimberger, Präsident des Landeskriminalamtes am Sonntag bekanntgab, wurde auf seinem PC das Spiel "Counter-Strike Source" gefunden. Bei dem Spiel geht es um den Kampf zwischen Terroristen und einer polizeilichen Sondereinheit. "Alle Amokläufer haben dieses Spiel gespielt", sagt der LKA-Chef.
Recherche über Amokläufe
Ali David S. sei ein ausgeprägter "Ego-Shooter" gewesen: Die bewaffneten Spieler kämpfen in der Ich-Perspektive in einer frei begehbaren, dreidimensionalen Spielwelt. Ali David S. gab sich in der Gamer-Gemeinschaft auf der Plattform Steam den Namen "Hass". Darunter schrieb er: "I see dead people" (Ich sehe Tote) – ein Zitat aus dem Film Sixth Sense mit Bruce Willis.
Ali David S. war nicht nur vom Töten in einer virtuellen Scheinwelt fasziniert. In den vergangenen Monaten oder möglicherweise sogar Jahren interessierte er sich zunehmend für tatsächlich stattgefundene Amokläufe. Er recherchierte stundenlang im Netz über den Attentäter von Utoya und Oslo (Norwegen), der vor fünf Jahren 90 vor allem junge Menschen ermordet hatte.
Er fotografierte die Tatorte von Winnenden
Und er sammelte Zeitungsartikel über den Amoklauf in Winnenden. Dort hatte der Schüler Tim K. (17) am 11. März 2009 an seiner ehemaligen Schule 15 Menschen mit der Waffe seines Vaters erschossen. "Im letzten Sommer ist er nach Winnenden gereist, um die Tatorte zu besuchen und sie zu fotografieren", berichtete LKA-Chef Heimberger.
Die Ermittler gehen inzwischen davon aus, dass Ali David S. den Amoklauf vom Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) lange vorbereitet hatte. "Auf seinem PC hat er ein eigenes Manifest verfasst", sagt Robert Heimberger – wie sein Vorbild Anders Behring Breivik.
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Auch fand die Polizei in der Nacht zum Samstag im verschlossenen Zimmer von Ali David S. das Fachbuch "Amok im Kopf" von Peter Langman. Am Freitag jährte sich der Amoklauf von Anders Behring Breivik zum fünften Mal.
Ali David S. versuchte offenbar möglichst viele Jugendliche in seine tödliche Falle zu locken. Der 18-Jährige war Gleichaltrigen oft durch fremdenfeindliche Äußerungen aufgefallen. Er schimpfte auf Juden und Türken und gab sich im Netz den Namen "Amokläufer".
Über einen gefälschten Facebook-Account lud er Jugendliche ins "Meggie" nach Moosach. "Ich war genau um 16 Uhr da. Da saß er schon oben und aß was. Er war allein", erzählt Jamal, der ihn vom Sehen kannte. "Ich habe ihn noch gegrüßt. Er wartete offenbar auf jemanden, der ihn über Instagram kontaktiert hatte und treffen wollte."
Knapp zwei Stunden später stand Ali David S. auf und begann auf die Jugendlichen im McDonald’s zu schießen. Jamal entkam. Zwei Freunde starben. Masoud S., der Vater des Amokläufers, ging am Freitagabend noch zur Polizei. Um zu sagen, dass er seinen Sohn erkannt hatte auf den Videos. Doch da war es bereits zu spät.