Freiberufler verzweifeln: Bummelgeld statt Soforthilfe

Millionen will der Freistaat an Freiberufler mittlerweile ausbezahlt haben. Viele warten aber noch immer – und wissen nicht weiter.
von  Lea Kramer und Hüseyin Ince
Bleibt die Bühne – wie hier in der Muffathalle – leer, muss auch kein Beleuchter ran. Mit jedem Tag ohne Veranstaltung bangt der um seine Existenz.
Bleibt die Bühne – wie hier in der Muffathalle – leer, muss auch kein Beleuchter ran. Mit jedem Tag ohne Veranstaltung bangt der um seine Existenz. © Christoph Köstlin

München - Musiker, die nicht mehr auftreten, Friseure, die nicht mehr schneiden, kleine Läden und Gastrobetriebe, die nicht verkaufen dürfen und, und, und ... In diesen Corona-Wochen kämpfen viele Freiberufler, Kleinunternehmer oder Landwirte um ihre Existenz. Damit sie die Krise überleben, haben Bundesregierung und Freistaat unbürokratische und schnelle finanzielle Hilfe zugesagt. Doch bei der Auszahlung der Gelder läuft nicht alles reibungslos.

Selbständige kritisieren Chaos im Wirtschaftsministerium

Zwei unterschiedliche Anträge gibt es, einen vom Freistaat, dann den der Bundesregierung. Erst zum Ausdrucken, dann doch als Onlineformular. Anschließend fehlen Eingangsbestätigungen, weder Zu- noch Absagen werden erteilt: Sechs Wochen nach Einführung der sogenannten "Sofortzahlung Corona" kritisieren Selbständige das Chaos im Bayerischen Wirtschaftsministerium.

Dort bemüht man sich um Schadensbegrenzung. Eigentlich liege die Bearbeitung "in den Händen der Bezirksregierungen und der Stadt München", sagt eine Sprecherin der Behörde. In München ist das das Referat für Wirtschaft und Arbeit (RAW). "Trotz der vielfältigen Einschränkungen im Alltag wollen wir alles geben. Das sind wir als Referat für Arbeit und Wirtschaft nicht nur der Münchner Wirtschaft schuldig", sagte Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner (CSU) vor Wochen. Jetzt verweist seine Pressestelle an den Freistaat als "federführende" Behörde in Sachen Soforthilfe.

Bleibt die Bühne – wie hier in der Muffathalle – leer, muss auch kein Beleuchter ran. Mit jedem Tag ohne Veranstaltung bangt der um seine Existenz.
Bleibt die Bühne – wie hier in der Muffathalle – leer, muss auch kein Beleuchter ran. Mit jedem Tag ohne Veranstaltung bangt der um seine Existenz. © Christoph Köstlin

400.000 Hilfe-Anträge aus ganz Bayern

Etwa 400.000 Anträge aus dem ganzen Freistaat sind bislang eingegangen. Bis Ende März lagen in München knapp 30.000 Anträge vor. Wie viele bewilligt wurden, ist schwer zu ermitteln. Einerseits weil Zuschüsse aus zwei Töpfen kommen und auch viele Aufstockungsanträge darunter sind, also "Anträge, die erneut eingereicht werden, um (höhere) Bundessoforthilfe zu bekommen", heißt es aus dem Ministerium. Andererseits, wurden Anträge falsch oder unvollständig ausgefüllt. Das verlangsame die Bearbeitung.

Fest steht: 109 Millionen Euro hat der Freistaat an Münchner ausbezahlt. Bei einer durchschnittlichen Fördersumme von 6.500 Euro pro Antrag müssten rein rechnerisch mehr als die Hälfte der Berechtigten die Zuschüsse erhalten haben. Die Tausend Mitarbeiter der Regierungen bemühten sich - inklusive Wochenendarbeit - die Formulare schnellstmöglich abzuarbeiten.

Ihr Chef, Wirtschaftsminister Huber Aiwanger (Freie Wähler), bittet um Verständnis, dass es ein "Mindestmaß" an Prüfung benötige. Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), Bertram Bossardt, pflichtet bei: "Die Prüfungen müssen sein, auch weil es in anderen Ländern zu Betrugsfällen gekommen ist, die Betroffenen den Weg zur Soforthilfe versperren." Von seinen Mitgliedern gebe es positive Rückmeldungen. "An der ein oder anderen Stelle funktioniert das System noch nicht reibungslos, aber in der Summe ist dem Freistaat eine schnelle und echte Meisterleistung gelungen."

Auszahlungserfolg: Branche hat keinen Einfluss

Für die, die noch warten, ist das kein Trost. Auch nicht, dass Aiwanger immer wieder betont wie "atemberaubend schnell" die Bearbeitung voranginge und, dass die Bezirke maximal zehn Tage Zeit dafür benötigten. Der Gewerbeverband bayerischer Selbständiger (BDS) bestätigt dies mit einer Einschränkung: Nach einer Umfrage unter den Verbandsmitgliedern stellte sich nämlich heraus, dass einige Firmen "deutlich länger als 14 Tage auf das Geld warten mussten", sagt ein Sprecher. Frühzeitiges Handeln scheint keinen Einfluss auf den Erfolg einer Auszahlung zu haben, ebenso wenig wie die Branche, in der die Selbständigen tätig sind. Für Ärger sorgt auch, dass mancher nicht als selbständig gilt, weil er kein Geschäftskonto besitzt oder keine Büromiete bezahlt.

Und selbst wer schon Zahlungen erhalten hat, kann noch nicht Aufatmen. Fallen langfristig die Projekte weg und die Kosten bleiben, ist die Soforthilfe allenfalls Palliativmedizin für viele Betroffene.


Soforthilfe: Das gilt, damit Kleinbetriebe Geld bekommen

Freiberufler und Unternehmer mit Firmensitz in Bayern erhalten sowohl vom Bund als auch vom Freistaat eine finanzielle Unterstützung, wenn sie durch die Corona-Krise in Liquiditätsengpässe geraten sind. Diese muss nicht zurückgezahlt werden. Ein solcher Engpass liegt etwa dann vor, wenn die Einnahmen nicht ausreichen, um die Kosten der folgenden drei Monate zu decken.

Bei fünf Mitarbeitern gibt es 9.000 Euro (zuvor 5.000). Firmen mit bis zu zehn Mitarbeiter erhalten 15.000 Euro. Bayern zahlt Unternehmen mit bis zu 50 Mitarbeitern maximal 30.000 Euro und Betrieben mit bis zu 250 Mitarbeitern 50.000 Euro. Der Antrag wird beim Bayerischen Wirtschaftsministerium gestellt. Bloße Umsatz-, Gewinn- oder Verdienstausfälle oder -rückgänge berechtigen nicht allein zur Soforthilfe!


Bar-Betreiber: No money, no drinks

Marvin Ullmann in seinem Raw.
Marvin Ullmann in seinem Raw. © Daniel von Loeper

Martin Ullmann (50), Hotelfachwirt, Betreiber der Metal-Kneipe "Raw": "Wir Barleute sind die Ersten, die schließen mussten und werden die letzten sein, die wieder eröffnen dürfen. Vor allem Wirte mit einer kleinen Nischenbar, wie es das Raw ist, haben derzeit null Perspektive. Wir gehen alle kaputt.

Ich habe jeden Monat 6.000 Euro Grundkosten. Den Soforthilfeantrag habe ich vor über einem Monat gestellt. Mit den 9.000 Euro würde ich etwa ein bis zwei Monate überstehen, ohne die Kneipe zu eröffnen. Ich habe mir auch schon alternative Strategien überlegt. Aber als ich mit meiner Bank gesprochen habe, um nach einem Überbrückungskredit zu fragen, lachte mich der Sachbearbeiter halb aus. Sie wüssten ja nicht, ob es meine Kneipe nach der Krise überhaupt noch geben würde, haben sie mir gesagt, ganz unverblümt. Sie haben also Angst, dass sie ihren Kredit nicht mehr zurückbekommen.

Nicht nur, dass ich derzeit keine Einnahmen habe. Ich habe auch zusätzliche Verluste. Die Ware, die ich kurz vor den Ausgangssperren eingekauft hatte, wird irgendwann schlecht. Frische Bierfässer, die ich noch angezapft hatte, sind ohnehin schon schlecht. Die kann ich wegschmeißen, wenn ich wieder eröffne. Und auch wenn ich sofort aufmachen dürfte, wäre es finanziell eng mit den Kosten für den nächsten großen Einkauf. Außerdem befürchte ich, dass eingebrochen werden könnte. Deshalb habe ich ein Schild an die Türe gehängt: There's no money and drinks left inside."

Friseurin wurde kalt erwischt

Stefanie Berchthold ist Mutter von 13-jährigen Zwillingen.
Stefanie Berchthold ist Mutter von 13-jährigen Zwillingen. © Daniel von Loeper

Stefanie Berchthold (34), Bürokauffrau, Friseurin, alleinerziehende Mutter von Zwillingen: "Die Corona-Krise hat mich sehr ungünstig erwischt. Ich hatte gerade ein Patent angemeldet für 'Healthy Hair Extensions', also Haarverlängerungen, die natürlich sind und ohne chemische Zusatzstoffe auskommen. Vor einigen Wochen, kurz vor dem Lockdown, habe ich alles bezahlt: Anwalt, Patentamt, Produktentwicklung – das alles kostete mich etwa 10.000 Euro.

Wenn von staatlicher Seite ein Berufsausübungsverbot ausgesprochen wird, muss der Staat doch schnell helfen. Ich war eine der Ersten, die den Soforthilfe-Antrag ausgefüllt und abgegeben haben. Und zwar am 18. März. Auch den digitalen Antrag habe ich nochmal ausgefüllt, weil ich die Info bekam, ich solle das nachträglich tun. Bis heute aber kam kein Geld an. Und ich kenne 20 bis 25 weitere Selbständige, die ebenfalls auf die Soforthilfe angewiesen sind und auch noch kein Geld bekamen.

Irgendwie muss ich meine ausgefallenen Einkünfte ausgleichen. In einem Friseursalon an der Hackerbrücke habe ich einen Stuhl angemietet. Das Geschäft mit den Extensions lief sehr gut bis zum Lockdown. Zum Glück habe ich keine Mietkosten für einen eigenen Laden. Und zum Glück habe ich ein bisschen Perspektive, im Vergleich zu vielen anderen. Friseure dürfen ja demnächst wieder arbeiten.

Jetzt könnte man sagen, die Bearbeitung der Anträge dauert nun mal. Aber warum haben dann die Lotto-Toto-Geschäfte schon die Soforthilfe bekommen, die ohnehin geöffnet haben durften? Weil hier die Steuereinnahmen sprudeln? Ich finde, das hat einen seltsamen Beigeschmack. Und von anderen Bundesländern hört man, dass die Soforthilfe längst angekommen ist."

Zur Not Stapler fahren

Tom Smutny vertreibt sich die Zeit mit Motorradfahren.
Tom Smutny vertreibt sich die Zeit mit Motorradfahren. © Daniel von Loeper

Tom Smutny (52), freiberuflicher Kameramann und Veranstaltungstechniker: "Ich war Mitte März gerade mitten im Job, als mich die Corona-Krise aus dem Alltag gerissen hat. Zusammen mit meinen Kollegen bereiteten wir uns gerade auf die Vorstellung eines Fahrzeugmodells in Spanien vor. Es sollte eine Überraschung werden. Und kurz vor dem Event hieß es nach fünf Wochen Aufbau: Lockdown. Alles abgesagt, wir müssen sofort nach Hause, damit keiner unfreiwillig in Spanien bleiben muss.

Seither habe ich genau null Aufträge. Ich verdiene also null Euro, obwohl ich seit 30 Jahren in ganz Europa gearbeitet habe, bei Theatern, Roadshows, Konzerten oder Messen. Es weiß ja auch keiner, wann wieder solche Großveranstaltungen stattfinden dürfen.

Den Soforthilfeantrag habe ich gestellt, sobald es möglich war. Seitdem nichts gehört. Einmal rief ich an, um zu fragen, wie der Stand der Dinge ist. Da hieß es im übertragenen Sinne: Füße stillhalten, sonst verzögert sich die Auszahlung. Es ist ein ungleiches Verhältnis. Wenn ich dem Staat Steuern schulde, dann holt er sich das Geld, mit aller Macht. Wenn es sein muss, wird ja auch schnell gepfändet. Aber umgekehrt ist man machtlos. Ein vernünftiger Ansprechpartner würde schon reichen.

Zum Glück arbeitet meine Frau als Teamleiterin bei einer Versicherung. Und zum Glück habe ich keine Lagerkosten. So können wir uns mit den Kindern durchhangeln. Aber wenn sich bis Ende Mai nichts ändert, wechsle ich den Job. Zur Not werde ich Staplerfahrer."

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