Forscher des Max-Planck-Instituts: Arbeit macht nicht psychisch krank

Stress im Job führen allein nicht zu Depressionen, sagt die Untersuchung. Schuld fürs Seelenleiden seien vor allem private Sorgen.
Sophie Anfang |
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Arbeit macht froh? Zumindest nicht depressiv, meint die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft.
AZ-Archiv Arbeit macht froh? Zumindest nicht depressiv, meint die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft.

München - Betram Brossardt, das sieht man ihm an, ist sichtlich zufrieden an diesem Donnerstagmittag. Kein Wunder, kann der Chef der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) doch für ihn positive Nachrichten verkünden: Arbeit ist kein besonderer Risikofaktor für psychische Erkrankungen. So steht es in einer von der VBW in Auftrag gegebenen Studie des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie. Krank macht der zufolge Stress im Privatleben.

Das Thema, sagt der Unternehmensvertreter, geistere schon seit Längerem durch die Medien. Mit einer laut Brossardt falschen Stoßrichtung und „platten Behauptungen der Gewerkschaften“. Die sehen die Arbeitgeber durchaus in der Pflicht, wenn es um psychische Gesundheit geht (siehe unten). Mit der Studie wolle man die „Diskussion versachlichen“, heißt es bei der VBW.

Der Untersuchungszeitraum betrug 20 Jahre

Um das zu tun, hat die Vereinigung Florian Holsboer beauftragt, ehemaliger Leiter des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie. Die Datenbasis bilden 814 Münchner. 1995 wurden die Teilnehmer ausgewählt, sie waren damals zwischen 14 und 24 Jahre alt. Sie wurden im mehrjährigen Abstand befragt.

Jeder Fünfte aus der untersuchten Gruppe gab an, schon einmal wegen Angst oder einer Depression am Arbeitsplatz gefehlt zu haben. In diesem Punkt geht die VBW-Studie in eine ähnliche Richtung wie Vorgängerstudien. Weitere Ergebnisse widersprechen jedoch dem, was man sonst in Arbeiten zum Thema liest. So kamen Holsboer und seine Kollegen zu dem Ergebnis, dass psychische Erkrankungen bei ihren Untersuchungsteilnehmern in den vergangenen zehn Jahren nicht zugenommen haben.

Steigende Fallzahlen, etwa der Krankenkassen erklärt Holsboer damit, dass Ärzte zum einen sensibler für derartige Erkrankungen sind. Zum anderen trauen sich Betroffene eher, zum Arzt zu gehen. „Wir haben keine Zunahmewelle, sondern eine Akzeptanzwelle“, sagt Holsboer.

Arbeitende haben genauso oft Depressionen wie Nicht-Arbeitende

Zweite Erkenntnis: Bei der Frage, ob ein Mensch depressiv wird, macht es keinen Unterschied, ob er arbeitet oder nicht. Psychische Erkrankungen kamen bei den untersuchten Personen in der Gruppe der Berufstätigen und Nichtberufstätigen gleich häufig vor. Daraus schließt Holsboer, dass Arbeit weder vor psychischen Erkrankungen schützt, noch sie befördert.

Warum kommen andere Studien aber zu anderen Ergebnissen? Das erklärt Holsboer mit der Methodik. Bei Studien mit der gleichen Fragestellung werden meist eine große Anzahl an Untersuchungsteilnehmern einmal befragt. Menschen mit Depressionen oder Angststörungen beschreiben ihren Arbeitsplatz in diesen Studien oftmals als Belastung.

Holsboer hält entgegen, dass man nicht wissen könne, ob eine psychische Erkrankung durch den Arbeitsplatz entstanden ist, oder ob wegen der Erkrankung das Leben insgesamt, also auch die Arbeit, als negativ empfunden wird. Bei der Fragetechnik seiner Studie, so der Forscher, sei das anders. Dass Arbeit krank macht, habe man nicht feststellen können.

Ursache für eine psychische Erkrankung sind laut der neuen Studie Alltagsstress, traumatische Erfahrungen in der Kindheit und das unterschiedliche Temperament von Menschen. Selbst Ärgernisse wie der tägliche Stau belasteten mehr als ein arbeitsreicher Tag im Büro. Arbeitsfaktoren, die krank machen, hat Holsboer nur wenige feststellen können: Wenn der Arbeitsplatz laut, staubig oder stickig ist, kann das zu psychischen Belastungen führen. „Aber das ist etwas, das ich relativ leicht beheben kann“, – sagt zumindest Holsboer. Arbeitnehmer werden das vielleicht anders sehen.

Kritik des Gewerkschaftsbunds

Der Gewerkschaftsbund Bayern hält die Studie für wenig aussagekräftig. „Das unterschlägt viel“, sagt David Schmitt, zuständig für Arbeitsmarktpolitik. Es sei sicher schwer zu unterscheiden, welche Stressfaktoren von der Arbeit und welche aus dem Privatleben kommen. Arbeit als Ursache für Belastungen auszuschließen, hält Schmitt jedoch für unseriös.

Vor allem, weil durch die Anforderungen der Arbeitswelt Grenzen zwischen Privatem und Arbeit verschwimmen. Natürlich gebe es Menschen, die anfälliger für psychische Erkrankungen sind: „Trotzdem entlastet das nicht die Unternehmer.“ Schmitt sieht in der Studie weniger einen Versuch, das Problem anzugehen als eine „Abwehrreaktion“ der Unternehmer – etwa gegen die geplante Anti-Stress-Verordnung der Bundesregierung.

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