Flashmobs in München
München - Bereits Erich Kästner beschrieb 1929 in seinem Roman “Emil und die Detektive” die grundlegende Struktur eines Flashmobs: Durch einen privat organisierten Nachrichtendienst gelingt es Hauptfigur Emil und seinen Freunden in kurzer Zeit eine große Gruppe von Kindern zu versammeln, die gemeinsam die Flucht eines gesuchten Bankräubers vereiteln. Die grundlegenden Eigenschaften des modernen Flashmobs wurden somit bereits schon vor knapp hundert Jahren beschrieben: Eine Gruppe von Menschen kommt über ein Mediennetzwerk zusammen um diese Versammlung durch eine selbstgewählte Ausdrucksform einem bestimmten Zweck zu unterstellen.
Heute haben die Grundpfeiler des Flashmobs eine sichtbare Modernisierung durchlaufen. Nachrichtendienste wie SMS, Facebook oder Twitter stehen uns dank Smartphone nahezu flächendeckend zur Verfügung um spontane Menschenaufläufe für einen wie auch immer gearteten Zweck zu organisieren. Bisher wurden Flashmobs allerdings noch nicht zur Überführung flüchtiger Bankräuber genutzt.
Doch gerade der Sinn und Zweck hinter vordergründig lediglich spaßbetonten Flashmobs bleibt für viele Zuschauer und Kritiker der “sinnfreien Kurz-Happenings” teilweise im Verborgenen. Eine Sinnhaftigkeit lässt sich oft erst auf den zweiten Blick ausmachen. Welche Botschaften verstecken sich nun hinter spontan tanzenden, singenden oder anders aus der Norm fallenden Passanten? Wir haben verschiedene Beispiele Münchner Flashmobs aus den letzten Jahren gesammelt und erläutern Ihre Hintergründe.
Smart oder nicht?
Im Frühjahr dieses Jahres schälten sich plötzlich 60 Sänger des Münchner Gospelchors “Gospels at Heaven ” aus den Reisenden am Flughafen im Erdinger Moos. Die Sänger wollten mit einer Acapella-Performance auf das Gospel-Benefizkonzert zur Flüchtlingshilfe in der Matthäus-Kirche aufmerksam machen.
Einen ähnlich guten Zweck verfolgten die Flashmobber des Streetlife-Festivals im Mai mit einer spontanen Gesangsdarbietung aus etwa 3000 Kehlen. Der an das Partisanenlied “Bella Ciao” angelehnte Singmob (“We need to wake up now”) sollte an die dieses Jahr anstehende Klimakonferenz in Paris erinnern.
Durch einen Fußgänger-Flashmob machten eine Reihe von Münchnern 2014 auf die geplante, jedoch nicht eingerichtete Ampel an der Welfenstraße aufmerksam. In einer Endlosschleife blockierten Radfahrer, Eltern und Schulkinder den ampellosen Zebrastreifen um ihrer Forderung Ausdruck zu verleihen.
Mit einem etwas anderem Flashmob-Ansatz machte die Schöpfer des Mode-Portals “Stylebox” diesen März auf sich aufmerksam: Eine Woche vor Ostern performten rund 30 Tänzer mit Osterhasenmasken eine kurze Choreographie in den Stachus-Passagen und anschließen auf dem Marienplatz.
Eine professionelle Tanzeinlage präsentierten auch die Teilnehmer eines Flashmobs auf dem Streetlife-Festivals des letzten Jahres. Der perfekt choreographierte Tanz sollte den Launch des Telefonbuchs TB GUIDE bewerben.
Der amerikanische Soziologe Howard Rheingold prägte für diese zielgerichteten, sinnstiftenden FlashmobIdeen den Begriff des so genannten Smartmobs, zu Deutsch: dem schlauen Flashmob. Lediglich vorrangig spaßbetonte Aktionen ohne konkretes Ziel bezeichnet Rheingold allgemein als reinen Flashmob. Dabei kann das Ziel eines Flashmobs durchaus auch einfach im gemeinschaftlichen Erlebnis liegen, wie die folgenden Beispiele verdeutlichen:
Gemeinsames Tanzen und Singen
Glücklich singende und tanzende Menschen brachte die Aktion der Münchner Acapella-Band voXXclub zusammen, die nach ihrem Spontanauftritt in den Riem Arcaden im März 2013 knapp 1500 Anhänger in die Münchner Waldwirtschaft lotsten um gemeinsam einen Song der Band zu performen.
Ein besonders festliches gemeinschaftliches Event war auch die Flashmob-Veranstaltung “Weiße Nacht” , bei der im Juli 2014 der Marienplatz in ein Luxusrestaurent mit über hundert ganz in weiß gekleideten Gästen verwandelt wurde.
Der Harlem-Shake-Flashmob auf dem Odeonsplatz war 2013 ebenso wenig politisch, dafür aber umso größer. Gut über 2000 Münchner zappelten und hüpften gemeinsam zu nahezu unhörbar leiser Musik.
In diesen Fällen lässt sich vortrefflich darüber streiten, ob die vermeintliche Sinnentleerung der Flashmobs nicht von der Magie der gemeinschaftlichen und unkonventionellen Aktion überlagert wird. Kann eine solche Aktion als sinnfrei bezeichnet werden, wenn die Teilnehmer danach mit leuchtenden Augen von einem berauschenden Gemeinschaftsgefühl schwärmen?
Gescheiterte Flashmobs
In der Münchner Flashmob-Geschichte lassen sich zwei grundsätzliche Grunde für das Scheitern einer solchen Aktion ausmachen. Die naheliegende zuerst: Die Versammlung der notwendigen Mindest-Mob-Stärke misslingt. Die Zweite: Der Flashmob verselbstständigt sich und verfehlt sein Ziel. Zwei Beispiele:
Nicht immer gelingt es trotz nahezu flächendeckender Smartphone-Dichte die entsprechenden Menschenmassen am Ort des Flashmobs zu versammeln. Im Mai diesen Jahres scheiterten zwei von Elterninitiativen geplante Flashmobs, die den Kita-Streik thematisieren wollten, an zu wenig Teilnehmern. Was stattfand war ein trauriges Bild einer Handvoll sich gegenseitig suchender Mitstreiter.
Und manchmal scheitern Flashmob leider auf besonders unschöne Art und Weise. Um gegen das Alkoholverbot in den Münchner S-Bahnen zu demonstrieren, organisierten sich mehreren tausend Menschen 2011 zum gemeinsamen Umtrunk in den zur Diskussion stehenden öffentlichen Verkehsmitteln. Das so genannte “MVV-Abschiedstrinken ” geriet dank übereifrigem Trink-Engagements vieler Teilnehmer stellenweise völlig außer Kontrolle und endete in einer beschämenden Bilanz: Polizeieinsätze, beschädigte S-Bahnen und ein sechsstelliger Sachschaden. Kein gutes Argument gegen das Alkoholverbot.
Aber auch solche Auswüchse gehören anscheinend zum Wesen des Flashmobs: Er kann auch mal gar nicht oder nach hinten losgehen. Um den Bogen zu seinem Ursprung in “Emil und die Detektive” zu schlagen, soll ein treffendes Zitat des Autors Erich Kästner unsere Ausführungen beschließen: “Auch aus Steinen, die dir in den Weg gelegt werden, kannst du etwas Schönes bauen.” Unsere letzten Beispiele zeigen: Es kommt dabei immer auf den Architekten an.
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