Fashion Week: AZ blickt bei Aigner hinter die Kulissen

Mailand/München - Ganz Mailand ist bis Sonntag ein einziger Laufsteg gewesen. Die Fashion Week spült nicht nur Stars und Supermodels nach Italien, auch Kritiker und Blogger, Fotografen und Nachwuchs-Schönheiten, die durch ein Foto auf Instagram entdeckt werden wollen, brezeln sich auf, als würden sie über den Catwalk laufen und nicht nur schnell einen Sprizz am Dom trinken gehen.
Selbst einige Obdachlose haben sich der Atmosphäre angepasst: Einer trägt eine goldene Ritterrüstung, der andere immerhin eine verspiegelte Sonnenbrille und rosa Socken. "Das ist Streetstyle", sagen beide und lachen. Die Stadt steht Kopf, obwohl die Welt nur auf das da drunter schaut: die Mode!
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Zwischen Versace und Gucci
Zwischen all den großen Luxus-Labels mit den klingenden Namen (und den klingelnden Konten), also Versace, Gucci und Pucci, Prada, Moschino, Fendi, Roberto Cavalli und Dolce Gabbana, hat es die Münchner Traditions-Marke Aigner geschafft, ebenfalls dabei zu sein. Mit einer Fashion Show in der Via Savona im berühmten Tortona-District.
Dass die Firma mit dem kultigen Hufeisen-Logo seit 2003 die Mailänder Modewoche mitbestimmt, liegt nicht nur am Erfolg, sondern auch an der Tatsache, dass die Aigner-Produkte zwar am Harras entworfen, größtenteils aber in Italien produziert werden. "Wir haben eine italienische Seele“, sagt Vorstand Sibylle Schön, die so klar und schnörkellos redet, wie sie sich kleidet. "Es ist für uns alle ein Highlight, hier zu sein. Aber es ist auch verdammt viel Arbeit."
Wie diese Arbeit ausschaut? Einen Einblick liefert der AZ-Besuch hinter die Kulissen, in den heiligen und sonst streng geheimen Backstage-Bereich. Es ist 18 Uhr, seit drei Stunden läuft der Aufbau auf Hochtouren. Vorher durfte niemand aus der Aigner-Crew in die neue Location, da blieben selbst die sonst so lässigen Italiener streng. Auf der Fashion Week herrschen halt andere Gesetze. Hier muss alles pünktlich, diszipliniert und unchaotisch ablaufen.
Auf und neben dem Laufsteg dabei: AZ-Kolumnistin Kimberly Hoppe.
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Die AZ-Reporterin hinter den Kulissen
Backstage wuseln unheimlich viele Menschen herum. Doch dafür ist es erstaunlich still, geradezu gespenstisch und kein Vergleich zu dem Leben da draußen in Mailand. In einem Raum werden die Models geschminkt, frisiert, gestylt. Was positiv ins Auge sticht: Aigner schickt keine 08/15-Mädels, blass und klapperdürr, auf den Catwalk, sondern echte Typen. Frauen mit Ausstrahlung.
Anastasia etwa, die mit der knallig roten Mähne und den frechen Augen, kommt aus der Ukraine. Lampenfieber? "Nö", sagt sie und lacht dann doch leicht nervös. "Ich will nur nicht ausrutschen."
Am Dienstag sind die Models gecastet worden, eine einzige Generalprobe hat es gegeben. Nicht viel an Übung, wenn die ganze Mode-Welt hinschaut. Aber anders geht’s nicht. An einem Tag finden in Mailand bis zu zehn Shows statt, alles ist auf die Sekunde durchgetaktet. Models, Locations, zackzack. Hier muss alles sitzen. Jede Bewegung, jedes Outfit, jede Wimper.
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Namenlose Models
Die Models neben Anastasia, die noch schnell ihrer Mama eine SMS mit Kuss-Smiley schicken, bekommen pinken Lidschatten, andere goldene Lippen geschminkt. Eine Ecke weiter steht eine Bügel-Expertin bereit, die nach der Anprobe jede noch so winzige Falte glättet: "Eine Mini-Unebenheit kann später auf den Hochglanz-Fotos wie ein Krater ausschauen", sagt sie.
In mehreren Reihen sind die Wechselklamotten mit den dazugehörigen Accessoires aufgereiht, das Umziehen darf nur Sekunden dauern. Dazu baumeln Zahlen an den Kleiderstangen. Die Models werden nicht mit Namen angeredet, sondern mit Nummern. Das ist weder unhöflich noch diskriminierend gemeint, sondern praktisch. So kommt’s zu keinen Verwechslungen.
Der Kreativ-Direktor aus dem Glockenbachviertel
Zu dem leisen, wilden Gewusel der Mitarbeiter mischt sich laute Musik. Technik-Check. Der Elektro-Sound wummert durch die Hallen. Es ist kurz vor 19 Uhr. Gleich kommen die Gäste – falls Versace davor pünktlich aufgehört hat. Christian Beck schaut auf die Uhr. Der junge Kerl aus dem Glockenbachviertel mit der Elvis-Tolle, den kurzen Hosen, dem kleinen Nasenpiercing und den vielen Ringen, ist der Kreativ-Direktor von Aigner. Wenn er den Kopf frei bekommen will, geht er mit seinen drei Hunden an der Isar spazieren. Dogwalk statt Catwalk.
Sibylle Schön hat ihn 2008 geholt, da war er 25. Zusammen haben sie die Firma entstaubt, modernisiert. Die beiden sind die Zukunft. Aufgeregt ist Christian Beck nicht. Zumindest sagt er das nicht. Er sagt gerade nämlich gar nix. Lächelt nur, läuft herum, checkt die Models, zupft an Stoffen und Haaren, ist hochkonzentriert. Er schaut auf die Uhr. "Das wird schon", sagt er plötzlich – zu sich selbst.
Draußen um den silbernen und spiegelglatten Laufsteg herum füllen sich die Reihen und die Champagner-Gläser. Promis sind aus Deutschland da, Moderatorin Nova Meierhenrich zum Beispiel, die seit einer Woche strikt Diät hält, nur um in ihr dursichtiges Aigner-Kleid zu passen. Oder Arabella Kiesbauer, die einstige Talkshow-Ikone, die es geschafft hat, sich in nur 20 Minuten zu stylen.
Die wichtigsten Gäste einer Fashion Show
Dazu gesellen sich viele Mode-Mächtige und -Blogger. Gerade die aus dem Nahen und dem Fernen Osten sind wichtig (sagen alle). So sehen sie auch aus. Sie tragen eine Kombi allerneuester Kollektionen, Sonnenbrillen, obwohl es duster ist, ihr Handy in der einen, die It-Bag in der anderen Hand.
Kurz nach 19.30 Uhr heißt es "Kaleidoscopia“-Showtime. Ein überdimensionales Kaleidoskop erstrahlt vor dem Laufsteg, wechselt die Farben zum Takt der Musik. Das erste Model läuft los, wackelt kurz, aber puuh, kein Ausrutscher. Es läuft – im wahrsten Sinne.
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Zum Abschluss: Vino, Pasta, Pesce
Die rund 300 Gäste im Publikum zücken die Handys. Die Frühling/Sommer-Kollektion kommt farbenfroh und leicht, cool und feminin daher. Inspiriert vom Disco-Flair der 70er, die Schnitte und Silhouetten erinnern an die 90er. Nach nicht mal einer knappen Viertelstunde ist alles vorbei. Schade. Gerade ist man doch erst in die Welt eingetaucht, hat sich verzaubern lassen. Und dafür dieser gigantische Aufwand. Ein Wahnsinn.
Christian Beck schreitet ins Rampenlicht, was er nicht mag. Aber die Gäste wollen ihn feiern. Viele jubeln, springen auf, klatschen. Christian grinst, verschwindet, die Gäste eilen raus. Die nächste Show... 40 engste Mitarbeiter und Freunde werden von Sibylle Schön in die Osteria del Binari geladen. Es gibt Vino, Pasta, Pesce – und viele Gründe anzustoßen. "Das war die beste Show von allen", sagt sie.
Christian steht draußen, raucht, atmet durch. Ob er sich freut? "Klar, aber mir ist das etwas unheimlich. Also alles." Wer eine Fashion Show erlebt hat, weiß ziemlich genau, was er damit meint.
Vom Harras in die Welt
Als Modedesigner Etienne Aigner aus Ungarn 1950 in New York seine erste eigene Taschen-Kollektion vorstellt, kommt das einem Paukenschlag gleich. Das Publikum ist von den exklusiven Lederkreationen begeistert, weil es seit der Erfindung der Überseekoffer für die legendären Transatlantik-Liner oder den Orient-Express keine Innovationen im Reisegepäck mehr gegeben hat.
Als Aigner später auf Geschäftsmann Heiner H. Rankl trifft, schlägt die Geburtsstunde der Kultmarke Aigner 1965 in München. Hier ist der beste Platz, um eine neue Modemarke zu gründen. Denn in München herrscht Aufbruchstimmung. Durch die Italiennähe ist man "La Dolce Vita" näher als irgendwo sonst.
Das charakteristische Aigner-"A" in Form eines kleinen Hufeisens prangt bald nicht nur auf Taschen und Gürteln, 1990 kommt die erste Fashion-Kollektion. 2000 stirbt Etienne Aigner, doch es geht weiter. Heute ist Evi Brandl (Vinzenzmurr-Chefin) Besitzerin von der traditionsreichen und zugleich modernen Firma mit Sitz am Harras.