Fake News nach dem Anschlag in München: Spekulationen um Informationsfluss
München - Berichte über mehrere Täter mit Schusswaffen, eine Panik im Hofbräuhaus, Spekulationen um die Beweggründe des Gewalttäters: Das rechtsextreme Attentat am Olympia-Einkaufszentrum hat vor neun Jahren deutlich gezeigt, wie schnell die Gerüchteküche im Internet brodelt und wie unkontrollierbar sie ist. Eine ähnliche Dynamik hat sich nach dem Anschlag auf eine Demonstration der Gewerkschaft Verdi entwickelt. Die AZ hat unstimmige Mutmaßungen rund um die Tat überprüft und verfolgt, wie sie sich online verbreiten konnten.
Spekulationen um den Aufenthaltsstatus des Täters
Bereits kurz nach dem mutmaßlichen Anschlag verbreiteten sich auf sozialen Medien Gerüchte, dass der 24-jährige Farhad N. sich "illegal" im Freistaat aufhält. Rechtsextreme Politiker wie der über die Liste der AfD ins Europaparlament eingezogene Maximilian Krah beteiligten sich an den Spekulationen. "Wieder ein Afghane, wieder ausreisepflichtig, wieder Bayern, welche Behördenuntätigkeit", schrieb er auf X.
Mittlerweile ist klar: Der Asylantrag des Täters wurde zwar abgelehnt. N. war zu diesem Zeitpunkt jedoch minderjährig, deshalb bekam er eine sogenannte Fiktionsbescheinigung und damit Aufenthaltsrecht in Deutschland.
Die angeblich kriminelle Vorgeschichte von Farhad N.
Bayerns Innenminister kommunizierte nach der Gewalttat falsche Informationen über den 24-Jährigen. Joachim Herrmann (CSU) sagte vor Medienvertretern, dass der Täter "schon mit Betäubungsmitteln und Ladendiebstahl aufgefallen ist".
Davon hielt bis Donnerstagabend kaum etwas stand. Die Verantwortlichen korrigierten sich – doch da waren die irreführenden Nachrichten schon längst im Internet. Tatsächlich arbeitete Farhad N. als Ladendetektiv und habe auch nur als Zeuge eines Diebstahls ausgesagt; ein Verfahren wegen Drogendelikten habe es hingegen nie gegeben.
Ermittelt wurde gegen den Täter nur im Rahmen eines bereits unter Geldauflage eingestellten Betrugsverfahrens. Dem Arbeitsamt soll er die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit verschwiegen haben.
Die islamistischen Beiträge?
Der "Spiegel" berichtete wenige Stunden nach dem mutmaßlichen Anschlag von einem islamistischen Beitrag, den der Täter auf den sozialen Medien abgesetzt haben soll. Rechtsextreme Akteure stießen auf die Profile des Gewalttäters und veröffentlichten darauf falsche Übersetzungen angeblicher radikal-islamistischer Beiträge in arabischer Sprache. Die AZ konnte nur religiöse, aber keine radikalen Inhalte feststellen. Die Ermittler aus Bayern sehen Anzeichen für ein "islamistisches Motiv". Der Generalbundesanwalt, der das mittlerweile Verfahren übernommen hat, wollte sich zum Fall auf AZ-Anfrage nicht äußern.
Große Reichweiten erzielte ein Video, das die Festnahme zeigen soll. Dieses stammt jedoch gar nicht aus München, sondern aus Berlin. Zudem posiert der Täter auf durch von Künstlicher Intelligenz kreierten Bildern vor einer Flagge der Terrororganisation Islamischer Staat (IS). Die Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft München zeigen: Es gibt keine Verbindungen zum IS oder dessen regionalen Ablegern wie den ISPK. Geteilt wurde das Material von vermeintlichen Bots, die zuvor mit propagandistischen Posts zum Krieg in der Ukraine auffielen. Die Spuren führen ebenso zu reichweitenstarken Accounts in Polen.
Gerüchte über frühzeitigen Tod des Kindes
Besonders häufig wurde diskutiert, ob das zweijährige Kind und seine Mutter bereits am Donnerstag verstorben sind. Nutzer unterstellen den Behörden und Politikern zum Teil, über den Todeszeitpunkt vor der Wahl zu "schweigen". Die Beiträge basieren auf einer internen, kurz nach der Tat versandten E-Mail aus der Branddirektion. Auf AZ-Anfrage heißt es, man habe die falsche Meldung revidiert und prüft aktuell, wie es dazu kam. Die Lage sei unübersichtlich gewesen und die Ersteinschätzung habe sich als falsch herausgestellt.
Bayerns AfD Chef Stephan Protschka heizte die Debatte mit einem Beitrag an. Am Sonntag besuchte er zusammen mit dem ehemaligen Chef der Jungen Alternativen in Bayern, Franz Schmid, den Tatort. Videos dokumentieren seinen Aufenthalt: Er spricht darin von einer "guten" – wohl politischen –"Show".
Auch uns erreichen zahlreiche Zuschriften mit Spekulationen, deren Wahrheitsgehalt für Leser nur schwer überprüfbar ist. Gerade nach derartigen Gewalttaten empfiehlt die AZ einen vorsichtigen Umgang mit nicht verifizierten Beiträgen aus dem Internet.