Fahrt mit der S-Bahn: Saftige Strafe trotz gültiger Tickets?
München - Doris Kraeker aus Erding kümmert sich seit neun Jahren ehrenamtlich um Asylbewerber. Seit Monaten steht sie der afghanischen Familie A. aus Altenerding bei - in einer Auseinandersetzung um Fahrscheine.
Die Familie soll 120 Euro Strafe an die Bahn zahlen. Für Kraeker ist der Vorfall "diskriminierend" und "ungerecht". Und sie wendet sich deswegen jetzt an die AZ.
Was war passiert? Vater (44) und Sohn (15) fuhren Anfang Februar mit der S-Bahn. Der Vater besucht in München seit Januar einen Integrationskurs. Laut Kraeker kauft er sich dafür immer eine Monatskarte.
Gültiges Ticket nicht schnell genug vorgezeigt?
Doch als die beiden zwischen Altenerding und Erding kontrolliert werden, können sie der Flüchtlingshelferin zufolge nicht sofort ihre Tickets finden. "Er hat gesucht und gesucht und es dann auch gefunden", so Kraeker, die selbst nicht dabei war, aber der sich der Vater anvertraut hat. Der Sohn hatte ihr zufolge eine Streifenkarte.
Der Kontrolleur aber habe gesagt: Es sei zu spät, die Fahrpreisnacherhebung - pro Person 60 Euro - sei bereits ausgestellt, schildert Kraeker. Sie hat dafür kein Verständnis: "Ich bin am Wochenende zu meiner Mutter gefahren und ich habe das Ticket auch nicht gleich gefunden. Was hat der Kontrolleur zu mir gesagt? Lassen Sie sich Zeit, es pressiert überhaupt nicht."
Die Flüchtlingshelferin ist überzeugt: Die Afghanen hatten ein Ticket und werden ungerecht behandelt, nur weil sie die Fahrkarten angeblich nicht schnell genug zeigten. 120 Euro seien für diese Familie sehr viel Geld, sie müssten ohnehin jeden Cent umdrehen.
Seither wandern Briefe zwischen der Bahn und der Familie hin und her. Auch mit der IsarCard als Beweis anbei. Als Antwort seien immer nur Argumente gekommen, "die für mich keine sind", so die Helferin. Etwa, man habe das Ticket "unverzüglich" vorzulegen und deswegen "griffbereit" zu halten.
S-Bahn München präsentiert AZ eine andere Version
Die AZ hat bei der S-Bahn München nachgefragt. Die Angelegenheit ist bekannt, die Version fällt allerdings anders aus. Ein Sprecher teilt der AZ mit: "Im Rahmen der Kontrolle haben unsere Mitarbeitenden zwei sogenannte Fahrpreisnacherhebungen für die beiden Fahrgäste erstellt."
Ein Fahrgast habe bei der Kontrolle "laut unseren Aufzeichnungen" angegeben, dass es in Altenerding keinen Fahrausweisautomaten gebe und er deswegen keine Fahrkarte hätte. "Der andere Fahrgast gab an, dass er seinen Fahrausweis gerade nicht finden kann."
Die Flüchtlingshelferin widerspricht dem und hält daran fest, dass beide ein gültiges Ticket hatten. Damit steht Aussage gegen Aussage. "Bei dem nachgelagerten Kontakt zwischen diesem Fahrgast und der Fahrpreisnacherhebungsstelle wurde dann lediglich eine übertragbare IsarCard vorgelegt", so die Bahn weiter. Diese Tickets sind aber nicht personalisiert - und damit davon ausgeschlossen, sie im Nachgang vorzuzeigen. Der Grund: "Um Missbräuche und Doppelnutzung zu vermeiden, können übertragbare Tickets grundsätzlich nicht nachträglich vorgelegt werden, sondern müssen während der Fahrkartenkontrolle vorgezeigt werden." Ansonsten könnte theoretisch ein übertragbares Ticket doppelt gezeigt werden.
Wie viel Zeit hat man denn nun, um sein Ticket zu suchen? "Erfahrungsgemäß kommt es durchaus häufiger vor, dass Fahrgäste auch mal etwas länger nach ihrem Ticket suchen. In solchen Fällen warten unsere Mitarbeitenden natürlich zunächst ab, bis das Ticket gefunden ist."
Helferin will nicht aufgeben
Auch die Ausstellung der Fahrpreisnacherhebung an sich nehme nochmal eine gewisse Zeit in Anspruch. "Nach Abschluss der Kontrolle im Zug kann dann - beispielsweise am Bahnsteig - kein Ticket mehr nachträglich vorgezeigt werden." Was dann nur noch möglich ist: "Persönliche Tickets können in solchen Fällen gegen eine Bearbeitungsgebühr auch nachträglich noch vorgelegt werden."
Ein weiteres Problem bei solchen Angelegenheiten: Aus technischen Gründen ist es nicht in jedem Fall ohne Weiteres möglich, eine Fahrpreisnacherhebung überhaupt rückgängig zu machen.
Kraeker von der Aktionsgruppe Asyl Landkreis Erding jedenfalls gibt den Kampf in dieser Angelegenheit noch nicht auf, auch wenn die Frist für die Zahlung Mitte Mai verstrichen ist.
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