Ex-Bauministerin Kerstin Schreyer im U-Ausschuss zur Stammstrecke: "An Mauer gelaufen"
München - In diese Zeugin im S-Bahn-Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags hatten die Oppositionsfraktionen große Erwartungen gesetzt. Und tatsächlich ließ es die ehemalige bayerische Bau- und Verkehrsministerin Kerstin Schreyer (CSU) an Deutlichkeit nicht fehlen: Beim Bau der Zweiten Stammstrecke in München wurde sie von der Deutschen Bahn (DB) an der Nase herumgeführt und Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat auf ihre Warnungen offenbar nicht reagiert.
Zur Vorgeschichte: 3,85 Milliarden Euro sollte der Bau eines zweiten S-Bahn-Tunnels unter der Innenstadt anfänglich kosten. 2028 sollten die ersten Züge durch die Röhre fahren. Inzwischen schätzt man das Projekt auf 8,5 Milliarden Euro und redet von einem Fertigstellungstermin nicht vor 2037.
Ronald Pofalla verharmloste die Situation an der Zweiten Stammstrecke
Schreyer, die ab Februar 2020 zwei Jahre lang Bau- und Verkehrsministerin in Bayern war, hatte bei dem Projekt nach eigenen Angaben von Anfang an ein "schlechtes Bauchgefühl". Dieses teilte sie mit den Experten eines vom Freistaat eingesetzten Baubegleitungs-Gremiums, doch der damalige Infrastruktur-Vorstand der Bahn, Ronald Pofalla, beruhigte noch im Juli 2020: Man sei im ursprünglichen Kosten- und Zeitplan.
Zweieinhalb Monate später legte die Bahn in einem Gespräch "auf Fachebene" andere Zahlen vor: Nun sollte der Tunnel erst 2033 fertig werden und 5,2 Milliarden Euro kosten. "Alarm", heißt es auf einem internen Vermerk der Bayerischen Staatskanzlei vom September 2020.
Zweite Stammstrecke: Zu spät auf die rasant steigenden Zahlen eingegangen
Doch offenbar waren untergeordnete Bahn-Planer gegen den Willen der Oberen vorgeprescht. Als ihn Schreyer wegen der neuen Zahlen am Rande einer Veranstaltung in Nürnberg ansprach, zeigte sich Bahn-Vorstand Pofalla gegenüber der Ministerin – nach deren Schilderung – von seiner cholerischen Seite: Was ihr denn einfalle, erfundene Zahlen in die Welt zu setzen, habe er sie "angeherrscht", berichtete Schreyer im Untersuchungsausschuss. Wenige Wochen später bezeichnete Pofalla die erhöhten Zahlen immerhin als "erste Diskussionsgrundlage", was die Ministerin auch nicht zufrieden stellte.
Zuvor hatte Schreyer den Ministerrat darüber informiert, dass hier etwas offenbar ziemlich schief laufe. Nachdem Pofalla die Zahlen für nichtig erklärt habe und sie auf allen Ebenen bei der Forderung nach exakten Zahlen bei der Bahn "an eine Mauer" gelaufen sei, habe sie in einem "Runden Tisch" unter Teilnahme aller obersten Chefs die einzige Möglichkeit zur Klärung der Lage gesehen, sagte die Ex-Ministerin. Unter obersten Chefs verstand sie Regierungschef Söder, der einladen sollte, den Bahn-Vorstandschef und Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) . "Ja, das machen wir", habe Söder gesagt.
Doch es wurde nicht gemacht, jedenfalls nicht in Schreyers Amtszeit. Warum konnte die Ex-Ministerin als Zeugin nicht beantworten. Sie habe immer die Antwort "kommt noch" erhalten.
Konkret bei ihrem Regierungschef und Parteivorsitzenden Söder insistiert, habe sie deshalb nicht, sagte Schreyer, aber ihr Ministerium habe weiterhin auf allen Ebenen versucht, einen solchen "Runden Tisch" herbeizuführen und andererseits verlässliche Angaben über Kosten und Inbetriebnahmedatum zu bekommen. Aus Ihrer Sicht habe "die Hütte gebrannt".
U-Ausschuss zur Zweiten Stammstrecke: Strafanzeige gegen Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer
Doch auch der damalige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) war seiner bayerischen Kollegin nicht behilflich, sondern verwies sie in einem Telefonat mit ihrer Bitte um genauere Informationen wiederum an die "Black Box" (Schreyer) DB. Als Reaktion auf diese Aussage Schreyers stellten die Landtags-Grünen am Dienstag Strafanzeige gegen Scheuer wegen des Verdachts der uneidlichen Falschaussage.
Er hatte im U-Ausschuss ausgesagt, sich weder an ein Telefongespräch mit Schreyer bezüglich der Verzögerungen an der Stammstrecke erinnern zu können noch ein Schreiben aus ihrem Hause zum Thema erhalten zu haben. Allerdings hatte auch der amtierende Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) den Eingang eines solchen Schreibens bestätigt.
Zweite Stammstrecke: Markus Söder spielte Probleme herunter
Die Aussagen Schreyers verstärkten den Verdacht der Opposition, dass Söder und seine Staatskanzlei die drohende Kostenexplosion im Bundestagswahljahr 2021 jedenfalls nicht an die große Glocke hängen wollten. "Neue Maßgabe der Staatskanzlei ist nun, die DB nicht weiter zu drängen", ist aus einem Vermerk zu entnehmen.
Sie habe den Eindruck gehabt, dass sie mit dem Druck gegenüber der Staatskanzlei nicht nur auf Gegenliebe gestoßen sei, sagte Schreyer: "Ich war vielleicht auch etwas naiv. Ich dachte, es haben alle das gleiche Interesse, das vorwärts zu bringen." In der Angelegenheit sei Schreyer "die einzige Frau gewesen, die ihren Mann gestanden hat", erkannte die SPD-Landtagsabgeordnete Inge Aures an.