Euthanasie-Gehirne: Die dunkle Seite der Medizin

Gehirn-Präparate von Euthanasie-Opfern lagern immer noch in den Sammlungen der Max-Planck-Institute – auch in München
Von Anja Perkuhn |
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Gedenkstein auf dem Münchner Waldfriedhof.
wikipedia.de/Cholo Aleman 5 Gedenkstein auf dem Münchner Waldfriedhof.

München - Wenn man sich etwa 80 Jahre tief in die Archive zurückwagt, werden die Schatten besonders dicht. Eines der Verbrechen des Nationalsozialismus bestand darin, psychisch Kranke und geistig Behinderte zu ermorden – und deren Gehirne für wissenschaftliche Untersuchungen zu verwenden.

Zwei der Forscher, der sich dieser Quelle intensiv bedienten, waren Julius Hallervorden und Hugo Spatz vom Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung (KWI) und späteren Max-Planck-Institut.

Die Nachwirkungen dieser unmoralischen Forschung spürt man noch heute – auch das Münchner Max-Planck-Institut für Psychiatrie arbeitet sich gerade durch seine Archive, in denen sich noch immer mikroskopische Hirn-Präparate aus dieser dunklen Zeit befinden.

Noch bis in die 60er hat der Arzt mit dem Material gearbeitet

Von 600 Gehirnen, die Hallervorden nutzte, ist in einer späten Aufarbeitung der Max-Planck-Gesellschaft die Rede – noch bis in die 60er Jahre hinein haben beide Hirnforscher mit dem verbrecherisch beschafften Material gearbeitet. Erst in den Achtzigern ergaben externe Recherchen, dass etwa 700 Gehirnpräparate von Opfern der Nationalsozialisten über Hallervorden und Spatz in die Sammlungen des Instituts für Hirnforschung in Frankfurt gelangt waren.

Da nicht klar war, welche Präparate von Euthanasie-Opfern stammen und welche von Patienten, die eines natürlichen Todes gestorben sind, entschied sich die Gesellschaft, alle während der NS-Zeit 1933 bis 1945 angefertigten Hirnschnitte, die sich zu diesem Zeitpunkt in den Instituten befanden, zu bestatten.

Auf dem Münchner Waldfriedhof errichtete die Gesellschaft am 25. Mai 1990 eine Gedenkstätte – "zur Erinnerung an Opfer des Nationalsozialismus und ihren Missbrauch durch die Medizin", steht da.

Im vergangenen Jahr wurden aber im Archiv der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin überraschend weitere menschliche Hirnschnitte gefunden, die aus dem Nachlass des Arztes Julius Hallervorden stammen. Bei der Abgabe vom Neurologischen Institut am Universitätsklinikum ans Frankfurter Archiv waren sie offenbar nur oberflächlich kategorisiert worden.

Die Gesellschaft verfügte eine Revision für alle Max-Planck-Institute, die Sammlungen von Humanpräparaten besitzen – darunter auch das Historische Archiv des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in Schwabing.

"Wir sind entsetzt", sagt Klinikdirektor Martin Keck

Und erste Stichproben im März ergaben: Auch hier liegen noch immer solche Präparate, sowohl Hirnschnitte als auch Feuchtpräparate – also Organe und Organteile in Glasbehältern – die schon in den Neunzigern als Verdachtsfälle der NS-Euthanasie eingestuft worden waren und laut einer damaligen Mitarbeiterin des Instituts zusammengestellten Liste als bestattet geführt wurden.

"Wir sind entsetzt, dass es in unserem Archiv noch immer Präparate von Euthanasie-Mordopfern gibt, die 1990 nicht bestattet wurden", sagte Klinikdirektor Martin Keck.

Forscher des Max-Planck-Instituts: Arbeit macht nicht psychisch krank

Das Historische Archiv ist darum zur Zeit geschlossen. Der Forscher Gerrit Hohendorf vom Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der TU München ist für die Gesamtrevision aller Max-Planck-Institute zuständig und hat auch die Münchner Sammlung schon begutachtet. Weil es so viele Präparate sind, wird der gesamte Vorgang lange dauern, "Monate bis vielleicht Jahre", sagt eine Sprecherin der Gesellschaft der AZ.

Alle gefundenen menschlichen Präparate, die im Zusammenhang mit der verbrecherischen Forschung in der Nazi-Zeit stehen, sollen dann nachbestattet werden. Ein Projektantrag zur Opferforschung wird gerade begutachtet, die Entscheidung dazu soll Mitte September fallen. Die Inschrift auf dem Gedenkstein am Waldfriedhof soll dann auch überarbeitet werden – und die Namen aller Opfer genannt. Damit die Schatten von damals zumindest benannt werden.

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