Viehhof-Gelände: Der Orte-Erfinder Hartmut Senkel

Ludwigsvorstadt - Die Idee ist simpel: Bierkästen, ganz viele Bierkästen. "Bring mir mal 760 Bierkästen, hab ich zu meinem Getränkelieferanten gesagt. Wie die Kästen jetzt über die Fläche wandern, ist einzigartig", sagt Hartmut Senkel und freut sich so ehrlich, wie sich nur Hartmut Senkel freuen kann.
Seine acht Jahre alte Tochter ist hier aufgewachsen. An einem Abend haben die Kinder eine Burg aus den Kästen gebaut, am nächsten Abend klettern sie auf einem Bierturm.
Hartmut Senkel (52) mag Kinder, Menschen im Allgemeinen wie’s scheint. Der Betreiber vom Open-Air-Kino und dem "Biergarten zur Freiheit" bespielt mit seinem Team seit 2011 im Sommer den Viehhof – heuer wird’s das letzte Jahr sein. "Ich bin weder frustriert, noch böse. Das ist eine Zwischennutzung, die hat einen Anfang und ein Ende", sagt Senkel. Er denkt lange nach, bevor er spricht. Jeder seiner Sätze ist druckreif.
"Machen Sie." Und Senkel machte
Senkel macht auch die Münchner Feuerzangenbowle am Isartor und Open-Air-Kinos an 17 Standorten in Franken, wo er ursprünglich herkommt. Als sein Geschäftspartner das Viehhof-Gelände entdeckte und die Chefetage der städtischen Markthallen mit einem Kino-Konzept anschrieb, rechnete Senkel nicht mit einer raschen Antwort. Eine Woche später kam aber ein Schreiben von einem der Markthallen-Verantwortlichen: "Herr Senkel, ich bin Cineast. Machen Sie." Und Senkel machte.
Vor drei Jahren holte er sich von Wannda-Nachbar Daniel Hahn ein Zelt, um "liebenswerte Filme mit großem Unterton" zeigen zu können. Senkel ist auch Cineast, aber dazu noch Geschäftsmann. Die Arthouse-Filme zeigt er jetzt in einem zweiten "Saal" im Zirkuszelt.
Er hat mal Maschinenbau bei Grundig gelernt und Journalismus studiert. "Irgendwann macht alles Sinn, ohne das man es vorher wusste", sagt Senkel und erklärt seine Detailverliebtheit mit dem Maschinenbau.
So kommt’s, dass er mit großem und kleinem Kino, neuer und alter Volksmusik, spielenden Kindern und verhockenden Erwachsenen einen liberalen Ort geschaffen hat, an dem sich scheinbar jeder wohlfühlt. Eltern lassen die Kinder unbeaufsichtigt springen, weil der Viehhof ein großer Pippilotta-Spielplatz ist, den die Kids nie freiwillig verlassen würden. Jüngere Gäste greifen den Älteren unter den Arm, weil sich der Rollator so schlecht im Kies der viehhofschen Mondlandschaft schieben lässt. "Es ist einer der tolerantesten, angenehmsten Orte, die es gibt", sagt Senkel. Die Autorin, die hier viele Abende und Samstagnachmittage verbracht hat, kann nur zustimmend nicken.
Neue Heimstädte des Volkstheaters
Doch ab dem nächsten Jahr wird auf dem Viehhof gebaut. Wohnungen entstehen, das Volkstheater zieht hierher. "Klar, dass in einer Stadt wie München diese Fläche zur Diskussion steht. Aber es ist auch die letzte innerstädtische Fläche, wo man noch Subkultur leben kann. Wenn solche Flächen nicht mehr existieren, wird eine Stadt blass, weil die Identifikation verloren geht."
Verloren sieht Senkel seinen Kampf um den Viehhof, den er mit Unterschriften seiner 300 000 Gäste in einer Saison geführt hat, noch nicht. Es gibt einen Hoffnungsschimmer, dass Biergarten und Kino ein weiteres Jahr bleiben können. "Ohne mein Zutun gab es einen Stadtratsantrag, dass der Viehhof noch ein Jahr länger geht. Im Oktober ist die entscheidende Sitzung über den Bauantrag und wenn es da noch Änderungen daran gibt, kann ich noch ein weiteres Jahr machen."
Wenn nicht, ist er mit der Stadt bereits in Gesprächen wegen neuer Flächen. "Es macht wenig Sinn, den Viehhof nach Freiham zu verpflanzen, er soll im südwestlichen Teil dieses Subkulturuniversums bleiben."
Vielleicht, überlegt er einfach laut, hat es auch was Gutes, wenn er nach dem Ende des Viehhofs noch einen neuen Ort entdecken und erfinden muss.
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