"Es tut mir so leid, dass ich dich nicht beschützen konnte!"

München - Bei der Gedenkfeier am OEZ sprachen auch zwei Angehörige der neun Todesopfer: Abnor Segashi, der Bruder von Armela (†14) und Sibel Leyla, die Mutter von Can (†14). Die sehr persönlichen Worte rührten die 2.000 Zuhörer zu Tränen. Sibel Leyla wurde von ihren Gefühlen übermannt, eine Mitarbeiterin des Kriseninterventionsteams (KTI) sprach für sie zu Ende.
Die erschütternde Rede im Wortlaut:
"Ich möchte zu allererst meine Worte an meinen Sohn Can richten: Lieber Can, es tut mir so leid, dass ich Dich an diesem Tag nicht beschützen konnte, dass ich Dich nicht vor all dem Leid bewahren konnte, dass Du erleben musstest! Ich empfinde einen unerträglichen Schmerz, wenn ich daran denke, wie alleine und hilflos Du an diesen Tag hier gewesen sein musst.
An dem Tag, als mir mein Sohn entrissen wurde, bin ich zusammengebrochen. An diesem Tag verlor ich auch gleichzeitig mein Leben, unser Leben. Es ist eine nicht enden wollende, übermächtige Dunkelheit über uns gebrochen. Diese Dunkelheit hat uns begraben und hat uns unseres Lebens beraubt. Wer wird uns unser altes Leben wieder geben? – Niemand!
Seither lebe ich mit einem sehr großen Schmerz und dem Verlust, dass wir nie wieder eine komplette Familie sein können. Nie wieder werden wir gemeinsam voller Lachen sein. Meinem Sohn wurden seine Jugend, seine Träume und seine Zukunft genommen. Wir werden nicht mehr erleben, wie unser Sohn seine Schule abschließt, seine erste Freundin mit nach Hause bringt, oder seine erste Arbeitsstelle bekommt. Wir werden nicht erleben, wie er heiratet und selbst Vater wird. Am schwersten fällt mir die Vorstellung, dass er niemals seinen 18. Geburtstag erlebt. Es sollte ein großes, fröhliches Fest werden. Er fehlt uns so!
Seit einem Jahr bin ich in dieser Dunkelheit begraben, aber inzwischen kann ich wieder gehen und stehen, wieder versuchen, mich mit dem Leben zu befassen. Dann wieder wünsche ich mir, man hätte mich an diesem Tag ebenfalls getötet. Ich bekomme viele Beileidsbekundungen, aber das hilft mir nicht. Das geht an mir vorbei, es ist mir gleichgültig.
Meine Ohnmacht ist immer noch da, aber inzwischen ist eine unbeschreiblich große Wut in mir gewachsen. Ein große Wut, die sich an alle Menschen richtet, deren Aufgabe es gewesen wäre, diese Morde zu verhindern. Ich kann nicht glauben, dass dieses große Unglück, der gewaltsame Tod von neun jungen Menschen, die sich im Frühling ihres Lebens befunden haben, von nur einem einzelnen Täter verursacht wurde. Ich begreife es nicht - und meine Wut redet mir ein, dass das System versagt hat, unfähig war und nachlässig. Ich weiss es nicht, aber meine Wut möchte sich gegen jemanden richten, der verantwortlich ist für unser Unglück und der mir sagt, warum das geschehen musste.
Ich möchte, dass er und alle meine Wut zu spüren bekommen und dass es unverzeihlich ist, was passiert ist! Ich möchte meine Wut gegen jemanden richten und abgeben können, denn ich halte sie kaum aus.
Jetzt wissen Sie, wo ich nach einem Jahr meiner Trauer stehe. Ich möchte mich abschließend bei allen Freunden, Bekannten und allen Unbekannten hier bedanken, die an diesem Tag hier sind und mit uns den Schmerz teilen. Ich wünsche den Familien der anderen Opfer viel Kraft. Vielen Dank Euch allen."