Eröffnung der Fußgängerzone: Als die Autos weggesperrt wurden
München - Mit 10.000 Gratisbrezen und 21 Hektolitern Freibier wurde am 30. Juni 1972 die Fußgängerzone eröffnet. Gerade rechtzeitig hatten Gärtner reihenweise Tröge mit immergrünen Büschen aufgestellt, Maler die Fassaden verschönt, Pflasterer in dem 50.000 Quadratmeter-Areal, dem größten Fußgängerbereich Mitteleuropas, die letzten Steine verlegt.
Fußgängerzone München: Der "Flur" der Stadt
Geliefert wurden sie aus der DDR. Mit einem Aufwand von 13,5 Millionen Mark wurde der "Flur" der Stadt, der früher nur dem Durchgang oder noch früher der Durchreise diente, von den Architekten Bernhard Winkler und Siegfried Meschederu systematisch als "gute Stube" eingerichtet.
Die Stadt will mehr bieten, als nur die Autos zu verbannen
"Die Altstadt soll den Menschen zurückgegeben werden", erklärte Winkler, Funktion des Stadtkerns müsse sein, dem Bürger die primitivsten Dinge zur Verfügung zu stellen. Dieser wolle ja nicht nur einkaufen, sondern schauen, sich ergehen, ausruhen, ungestört plaudern, sich langweilen oder auch "nur mal einen Schluck aus der hohlen Hand trinken". Zur Eröffnung, der letzten Amtshandlung von OB Hans-Jochen Vogel kamen Tausende Münchner in die Stadt.

Urbane Kultur
Deshalb wollten es die Planer nicht, wie in anderen Städten geschehen, einfach dabei belassen, dass die Autos und Straßenbahnen aus den Geschäftsstraßen verbannt werden. Die so gewonnenen Flächen sollten vielmehr angereichert werden durch eine Fülle neuer Strukturen, die dem Spaziergänger gleichwohl das vertraute Stadtbild, die alte urbane Kultur so intensiv wie möglich nahebringen.
Einheitliche Gestaltung
Das begann schon mit der Pflasterung. Ein einheitliches System von Bändern aus Natur- und Kunststein, aus Kleinstein- und Mosaikpflaster korrespondierte mit einem Spalier von 357 Leuchten. Auf acht Plätzen wurden Stühle und zum Teil Tische aufgestellt. Außerdem wurden 18 Freischankplätze ausgewiesen, so dass etwa 1.500 Menschen dort essen und trinken können. Daneben luden drei Spielanlagen mit Elementen zum Bauen die Kinder ein.
Fußwaschen erlaubt
Acht Brunnen plätscherten, drei waren begehbar. Fußwaschen, übrigens eine urchristliche Sitte, war dort erlaubt. Gegen den begehbaren Brunnen vor der Frauenkirche, der ja Stadtstreicher und Dirnen anlocken könnte, muckte das Erzbischöfliche Ordinariat auf. Doch die Stadtgestaltungskommission überstimmte die oberhirtlichen Bedenken.
"Die Frauenkirche ist kein Dom, sondern eine Bürgerkirche", so Stadtbaumeister Uli Zech (SPD). Die Befürchtung der Geschäftsleute, außer den Autos könnten auch die Käufer ausbleiben, wurde sehr schnell ausgeräumt, indem Ladenbesitzer umliegender Straßen baten, den Fußgängerbereich bis zu ihnen hin auszudehnen.
Drei Tage S-Bahn umsonst
Tatsächlich zogen die Planer bereits damals in Erwägung, die ganze City für Autos zu sperren und nur noch schmale Fahrrinnen zu den Parkhäusern offen zu halten. Vier Wochen lang pendelte die fast gleichzeitig eröffnete S-Bahn im Vier-Minuten-Takt unter der neuen Fußgängerzone zwischen Haupt- und Ostbahnhof, drei Tage kostenlos für die Bevölkerung.
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