Endlich wieder arbeiten! Münchner Stadtführer zeigen ihre Lieblingsorte
München - Bis vor der Pandemie boomte der Tourismus in München. Stadtreisende aus aller Welt schauten in der bayerischen Hauptstadt vorbei, um sie besser zu verstehen und auch das Land Bayern besser kennenzulernen.
München ist ein guter Startpunkt
Für viele Deutschlandtouristen ist München ein guter Startpunkt. Es ist die Residenzstadt sowie das pulsierende Herz Bayerns. 18,3 Millionen Übernachtungen zählte die Stadt noch im Jahr 2019 - also vor Corona. Und ein bedeutender Anteil bestand aus innerdeutschen Besuchern, zu denen ja auch Geschäftsreisende gehören: 4,6 Millionen.
Munich Walk Tours ist einer von mehr als 50 Tour-Anbietern in München. 40 freie Mitarbeiter hat Walk-Tours-Chef Ralph Lünstroth. Er versuchte, während der Pandemie immer den Fokus auf die Zeit nach dem Lockdown zu richten, vor allem gegenüber seinen Tourführern, auch wenn keiner genau wusste, wann das sein würde. Seit vergangenen Montag läuft das Geschäft ganz langsam wieder an.
Die Lockerungen in der Innenstadt sind spürbar. In manchen Momenten fühlt es sich schon fast so an wie vor der Pandemie. Bei schönem Wetter am vergangenen Wochenende sind sogar Straßenmusiker in der Fußgängerzone aufgetreten. "El Condor pasa" auf der Panflöte schallte durch die Luft - vielleicht einer der deutlichsten Hinweise, dass sich die Lage stabilisiert.
Und auch der ein oder andere Tourist wurde gesichtet, wie er seinen Kopf Richtung Glockenspiel verrenkt und sich nebenher das ganze Gewusel anschaut. Hauptsächlich streunen noch deutsche Touristen durch die Stadt. Trotzdem: endlich wieder potenzielle Kundschaft für all die Tourführer!
Die AZ wollte von den Guides nicht nur wissen, wie sie den Neustart planen, sondern auch, was ihre Lieblingsorte in der Stadt sind - und warum. Übrigens: Auch Ur-Münchner können auf Stadttouren von Stadtführern lernen. Interesse? Mehr Info unter
www.einfach-muenchen.de
Michael Berg: "Der Stachus hat ein starkes Großstadtflair"
Der gebürtige Lette und überzeugte Wahlmünchner Michael Berg (29) hat schon viel von Deutschland gesehen. Seine Eltern zogen oft um. Berg lebte schon in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und auch in Nürnberg. Seit Ende 2014 ist er in München.

Im selben Jahr begann er, für Munich Walk Tours zu arbeiten. Altstadt-Tour, Dritte-Reich-Tour, Dachau-Tour und Radl-Touren sind seine Spezialität, auf Englisch und Deutsch. Der Job lag nun monatelang auf Eis. Die Pandemie traf Berg sehr unerwartet. "Es war ein boomender Sektor", sagt Berg. Er sagt, er habe ein bisschen Glück gehabt: "Ich konnte mich bei meiner Verwandtschaft verschulden. Und jetzt kann ich das Geld langsam wieder abbezahlen." "Die Rad-Touren habe ich eigentlich am liebsten", sagt Berg. Sie seien entschleunigt und geben einem die Möglichkeit, mit Tourgästen ins Gespräch zu kommen. Hofbräuhaus, Max-Joseph-Platz, Residenz, Odeonsplatz, Königsplatz, Türkenstraße, Schwabing, Giselastraße, Englischer Garten, Chinesischer Turm. Eine lockere Atmosphäre sei das - und sehr entspannend, "manchmal endet die Tour mit den Gästen bei einem Getränk im Englischen Garten", sagt er.
Doch es wird ein wenig dauern, bis alles wieder so läuft, wie vor der Pandemie. "Bis alle US-Amerikaner, Briten und Australier geimpft sind, das wird Zeit brauchen", sagt Berg. Außerdem seien da schließlich noch viele Fragen offen, "wie etwa mit dem digitalen Impfpass". Bergs Lieblingsort ist der Stachus. "Diese Dimensionen! Das wirkt auf mich colosseumartig, so großstädtisch", sagt Berg.
Dorothea van Endert: So viel Italien wie nirgends sonst
Wer sich für Münchner Kunstgeschichte interessiert, der ist bei einer der Touren von Dorothea van Endert gut aufgehoben. Denn die Frau hat das alles umfangreich studiert: Geschichte, Archäologie sowie Kunstgeschichte, in Saarbrücken.

Dann verschlug es sie Ende der 90er nach München. Hier arbeitete sie 17 Jahre lang in der archäologischen Kunstsammlung. Zwei ganze Zweigmuseen hat sie in dieser Zeit unter anderem eingerichtet. Im Rentenalter, das war im Jahr 2015, wollte sie aber nicht einfach Schluss machen. "Rente hin oder her, ich brauchte Beschäftigung", sagt van Endert. Wenn nicht gerade Pandemie ist, führt sie auch die sogenannte "Dritte-Reich-Tour". Ein zentraler Halt auf der Strecke ist dabei der Königsplatz, wo Adolf Hitler bekanntlich Militärparaden aufmarschieren ließ. "Gäste aus Schweden, Südafrika, Südamerika oder Australien wollen viel darüber wissen", sagt van Endert, "ich meine, die Karriere Hitlers begann in dieser Stadt."
Über allem stehe oft die Frage: Wie konnte das alles passieren?" Die Pandemie traf van Endert hart. Gerade der erste große Lockdown sei sehr schwierig für sie gewesen. "Die zusätzlichen Einnahmen neben meiner Rente waren für mich wichtig", sagt van Endert. Seither lebe sie vor allem von ihren Dispo-Krediten, die ihre Bank gewährt - um ihre Grundkosten zu decken.
"Die Rente allein reicht in München einfach nicht", sagt van Endert. Als Freiberuflerin ohne Betrieb oder Büro habe sie keinen Anspruch auf Überbrückungshilfen gehabt. Nun hofft sie darauf, dass es schnell wieder losgeht mit den Touren, die sie so liebt, zunächst mit deutschen, dann mit den englischen. "Ich hoffe, dass ab September wieder vermehrt englische Touren stattfinden können", sagt van Endert. Sie spüre einen großen Hunger auf Reisen, wenn sie sich umhöre. Für Stadtführer wie sie wiegt die abgesagte Wiesn besonders schwer. Van Endert liebt München immer noch. Der italienische Lebensstil und die Lockerheit Südeuropas haben hier deutlich abgefärbt, sagt sie. Und das merke man vor allem im Hofgarten mit dem Dianatempel in der Mitte. "Hier bin ich besonders gerne. Es ist ein Ort, an dem ich zur Ruhe komme", sagt van Endert.
Max Richter: Perfekte Mischung aus Dorf und Stadt am Wiener Platz
Einen Mann wie Max Richter (66) als rastlos zu bezeichnen, wäre wahrscheinlich noch stark untertrieben. So wirkt es jedenfalls, wenn man ihn bei einem ausführlichen Telefongespräch kennenlernt. Im Berufsleben vor seiner Rente mit 60 ist Richter jahrzehntelang Marketing-Experte gewesen. Sein Leben lang interessierte er sich neben dem Job brennend für bayerische Geschichte, Kunstgeschichte - sowie grundsätzlich Geschichte.

"Kunst und regionale Geschichte sind eng verwoben", sagt der 66-Jährige. Und als die Frührente winkt, ist für ihn klar: "So, jetzt ist es Zeit, was Neues zu machen", sagt Richter. Da fügte sich eines zum andern. Und Richter begann vor sieben Jahren, als Stadtführer zu arbeiten. "Es ist einer der schönsten Berufe der Welt", sagt er. Mittlerweile, wenn ihm langweilig ist, zum Beispiel während einer Pandemie, da zieht der Mann los und entwickelt neue Touren für Munich Walk Tours.
Bei Richter klingt das alles so leicht, so positiv, wie: einfach das Beste daraus machen. Und beim Stichwort Corona sagt Richter: "Ich hatte Glück im Unglück, bin weich gefallen. Als die Pandemie losrollte, hatte ich ziemlich zeitgleich Anspruch auf die volle Rente, weil ich 65 wurde." Und jetzt, mit neuen Touren im Kopf, freue er sich sehr, wieder durch die Stadt vorausgehen zu können. Altstadt, Radtouren, Nationalsozialismus, Stadtteilführungen, Residenz, Schlösser: 80 Prozent aller angebotenen Touren seines Arbeitgebers kann Richter mittlerweile auswendig. Nur eine kleine Einschränkung hat er dabei: Er leitet die Touren ausschließlich auf Deutsch. Und da seien traditionell Gruppen aus den Volkshochschulen im Münchner Umland eine große Gästegruppe.
Vor dem Neustart als Stadtführer hat Richter Respekt. "Das ist viel Wissen, das man auf den Touren erzählt, vergleichbar mit einem Instrument, das man professionell spielt", sagt er. Und wer eben eine Zeit lang nicht spiele, der brauche zunächst bestimmt wieder ein wenig Übung. Der Lieblingsfleck Münchens ist beim früheren Marketing-Fachmann der Wiener Platz. Und er kann ganz genau sagen, warum: "Auch wenn man hier die Gentrifizierung schon deutlich spürt: Früher war das ein Viertel der einfachen Leute, wie ein kleines Dorf in der Stadt", sagt Richter. Trotzdem sei der dörfliche Charakter geblieben, vor allem durch die gut erhaltenen Altbauten. In einem Dorf zu sein und doch mitten in der Stadt, "ich finde, das ist eine perfekte Mischung", sagt Richter. Daher habe es ihn schon seit 1975 immer wieder hierher gezogen. Auch der Biergarten des Hofbräukellers hat es ihm angetan. "Für mich ist das einer der schönsten, wenn nicht sogar der schönste Biergarten Münchens", sagt Richter.
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